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Sahra Wagenknecht im Interview: "Putin hat schon oft gelogen"


Interview
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Sahra Wagenknecht
"Wenn das so ist, dann haben wir schlechte Karten"


12.04.2024Lesedauer: 9 Min.
Sahra Wagenknecht: "Wir werden garantiert nicht mit Rechtsradikalen wie Herrn Höcke koalieren."Vergrößern des Bildes
BSW-Chefin Sahra Wagenknecht: "Wir werden garantiert nicht mit Rechtsradikalen wie Herrn Höcke koalieren." (Quelle: Dominik Butzmann)
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Sahra Wagenknecht will mit ihrem "links-konservativen" BSW die deutsche Politik neu vermessen. Was hat sie vor, wenn sie im Osten plötzlich mitregiert? Ein Gespräch über neue Machtoptionen, alte Forderungen und das Vorbild Markus Söder.

In ihrer alten Partei war sie isoliert, mit ihrer neuen könnte sie schon bald regieren: Sahra Wagenknecht und ihr neu gegründetes BSW (Bündnis Sahra Wagenknecht) kommen in Sachsen und Thüringen mittlerweile auf zweistellige Werte – und könnten das Zünglein an der Waage bei den anstehenden Ost-Wahlen sein.

Wagenknecht, die noch mit den Geburtswehen einer Parteigründung zu tun hat, muss plötzlich Leute finden, die eine Regierung bilden könnten. Im Interview mit t-online wirkt die ehemalige Linkenpolitikerin kontrolliert und wach, obwohl, wie sie sagt, eine "Horrorwoche" hinter ihr liege. Sie spricht über eine mögliche Koalition mit der CDU in Sachsen, "ideologiegetriebene" Politik der Grünen und Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine. Sie fordert Verhandlungen, aber auch Sicherheitsgarantien für die Ukraine – und erklärt, unter welchen Bedingungen auch Nato-Staaten die Ukraine militärisch verteidigen sollten.

t-online: Das BSW könnte bei den anstehenden Wahlen in Ostdeutschland das Zünglein an der Waage werden, eventuell sogar mit in die Regierung gehen. Hat Ihre Partei dafür überhaupt genug erfahrene Leute?

Sahra Wagenknecht: Die Umfragewerte sind ein großer Vertrauensvorschuss. Das freut mich sehr. Ich habe aber auch großen Respekt davor. Auf unseren Wahllisten werden viele stehen, die nicht aus der Politik kommen. Kompetente Bürgerinnen und Bürger aus der Mitte der Gesellschaft, die bisher als Unternehmer, Krankenschwester, Lehrer, Arzt oder Handwerker gearbeitet haben. Solche Menschen gehören in die Parlamente.

Sie wären zu einer Regierungsbeteiligung also noch nicht fähig?

Doch, selbstverständlich. Auf unseren Listen werden auch Persönlichkeiten mit politischer und administrativer Erfahrung kandidieren, wie die Oberbürgermeisterin von Eisenach, Katja Wolf, auch andere ehemalige Bürgermeister und langjährige Kommunalpolitiker. Gerade diese Mischung aus Erfahrenen und Neueinsteigern macht das Neue und den Charme unserer Partei aus.

Ist denn eine Koalition mit der CDU in Thüringen oder Sachsen für Sie denkbar?

Denkbar ist vieles, wenn es zu einem echten politischen Neubeginn und spürbaren Verbesserungen für die Menschen führt. Wir werden allerdings keine fügsamen Mehrheitsbeschaffer sein, egal für wen, sondern nehmen ernst, was wir den Menschen im Wahlkampf versprechen.

Was wären Ihre Forderungen?

Wir brauchen eine vernünftige Wirtschaftspolitik. Kleine und mittlere Unternehmen müssen stärker unterstützt, bürokratische Zumutungen abgebaut werden. Das Verbrenner-Aus auf EU-Ebene muss zurückgenommen werden. Eine Landesregierung, an der wir uns beteiligen, muss die Bundesregierung über den Bundesrat in dieser Frage zum Handeln zwingen. Außerdem brauchen wir eine radikal andere Bildungspolitik. Es muss wieder so sein, dass Schüler in der Grundschule erst einmal ordentlich lesen, schreiben und rechnen lernen. Die Vermittlung dieser elementaren Kenntnisse muss im Mittelpunkt stehen und nicht eine wolkige "Kompetenzorientierung".

Wenn Herr Kretschmann von den Grünen meint, Kinder müssten heute keine Rechtschreibung mehr können, weil es ja die Autokorrektur gibt, zeigt das den ganzen Irrsinn grüner Bildungspolitik, die leider die Lehrpläne in vielen Bundesländern bestimmt. Auch bei der Integration von Zuwanderern in den Arbeitsmarkt oder beim Thema innere Sicherheit muss sich vieles verbessern: Wir brauchen sichere Straßen und Wohnviertel und dafür in problematischen Bereichen auch mehr Polizeipräsenz.

Das dürfte für die CDU attraktiv klingen. Noch mal die Frage: Kommt eine Koalition mit der Union für Sie infrage?

Wir sagen nicht "Ja" oder "Nein" zur CDU, sondern "Ja" zu einer vernünftigen Politik. Wenn die CDU bereit ist, die mit uns zu gestalten, werden wir mit ihr über konkrete Inhalte sprechen.

Und mit den Grünen?

Das Sympathische an Ostdeutschland ist, dass sich diese Frage gar nicht stellt, weil die Grünen nach den aktuellen Umfragen in den künftigen Landtagen wohl nicht vertreten sein werden. Zu Recht, denn die Grünen sind der Inbegriff inkompetenter, ideologiegetriebener Politik.

Schließen Sie eine Koalition mit der AfD aus?

Wir werden garantiert nicht mit Rechtsradikalen wie Herrn Höcke koalieren.

Und mit anderen Teilen der AfD?

Die sind ja in der ganzen Partei auf dem Rückzug.

Sie haben mal gesagt, das BSW sei "links-konservativ". Was heißt das überhaupt?

Es bedeutet, dass wir für soziale Gerechtigkeit sind, für ordentliche Löhne und gute Renten und zugleich für eine vernünftige und realistische Wirtschafts- und Energiepolitik. Was wir zurzeit erleben, ist eine planlose, realitätsuntaugliche Politik, die die Energiepreise hochtreibt, einen zunehmenden Fachkräftemangel verantwortet und unkontrollierte Zuwanderung zulässt. Das alles muss sich ändern.

Das würden auch die Christdemokraten sagen.

Naja, sagen … Sie sind ja mitverantwortlich für die Misere. Ein weiterer wichtiger Punkt: Die Menschen wehren sich zu Recht dagegen, wenn ihre Traditionen und ihre Lebensweise herabgesetzt werden und einige Politiker, die sich für progressiv halten, mit missionarischem Eifer versuchen, ihnen beizubringen, wie sie zu leben, zu denken und zu sprechen haben.

Spielen Sie aufs Gendern an?

Unter anderem. Jeder soll nach seiner Façon leben und glücklich werden. Wir haben aber ein Problem, wenn normale Menschen mit einer klassischen Familie sich nicht mehr wertgeschätzt fühlen und jemand, der weiß, männlich und heterosexuell ist, sich fast schon dafür entschuldigen muss. Konservatismus heißt eben auch zu respektieren, dass es Traditionen, Bräuche und Kultur gibt, die eine Gesellschaft zusammenhalten.

Sie befürworten also ein Genderverbot, wie es Markus Söder jetzt in Bayern für staatliche Stellen verordnet hat?

Ja. Es geht nicht darum, Menschen in ihrem Privatleben vorzuschreiben, wie sie reden sollen. Wer die deutsche Sprache lieber hässlich und regelwidrig mag, soll gendern und stottern, wie er möchte. In Schulen und in öffentlichen Einrichtungen bin ich für ein Genderverbot.

Und das ist nicht ideologiegetrieben? Es gab ja vorher keinen Genderzwang.

Es gibt Regeln der deutschen Sprache. Die sollte man in den öffentlichen Einrichtungen und Schulen korrekt anwenden.

Sie fordern Gespräche mit Russland, um den Ukraine-Krieg einzufrieren. Mal abgesehen davon, dass die Ukraine das ablehnt: Wie wollen Sie Russland an den Verhandlungstisch zwingen?

Ob man die Russen dazu zwingen muss oder ob sie dazu bereit wären, muss man testen. Putin sagt in jedem dritten Interview, dass er verhandeln will.

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Putin sagt alle möglichen Dinge in Interviews. Ist es nicht naiv, ihn beim Wort zu nehmen?

Klar, vielleicht lügt er. Putin hat schon oft gelogen, aber wir können es nicht wissen, solange wir uns weigern, ihm ein ernst gemeintes Verhandlungsangebot zu machen, wie es viele Länder des Südens und auch der Papst fordern.

Mit einem seriellen Lügner verhandeln? Bitte erklären Sie uns, wie das gehen soll.

Die meisten Politiker lügen. Trotzdem wurden die meisten Kriege dieser Welt durch Verhandlungen beendet. Die USA haben in Afghanistan mit den Taliban verhandelt. Es ist doch absurd, dass Kanzler Scholz mit Gerhard Schröder jemanden in seiner Partei hat, der über einen direkten Gesprächskanal zu Putin verfügt, aber ihn nicht bittet, hinter den Kulissen die Chancen für einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen auszuloten.

Das ging im März 2022 schon einmal schief, als Gerhard Schröder zwar von Putin empfangen wurde, aber mit leeren Händen zurückkam.

Weil Schröder dort ohne offiziellen Auftrag war.

Schröder war jahrelanger Gaslobbyist, steht auf der Gehaltsliste russischer Staatskonzerne und nennt einen Kriegsverbrecher seinen Freund. Halten Sie es für klug, ihn mit einem offiziellen Mandat auszustatten?

Meines Wissens hat er seine Mandate niedergelegt. Er soll außerdem nicht die Verhandlungen führen, sondern vorab ausloten, was funktionieren könnte. Schröder ist ein ehemaliger Bundeskanzler mit Draht zum russischen Präsidenten. Es ist fahrlässig, das nicht zu nutzen.

Was soll denn konkret ausgelotet werden?

Ob die Russen zu einem sofortigen Waffenstillstand bereit wären, wenn man anbietet, dann keine Waffen mehr zu liefern. Es geht zunächst einmal darum, den Konflikt einzufrieren, wie SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich vor Kurzem richtigerweise gefordert hat. Ziel sollte dann ein Kompromiss sein: Die USA verzichten darauf, die Ukraine zu ihrer militärischen Einflusszone zu machen: also keine Militärstützpunkte, keine Raketenbasen, keine Spionagezentren. Die Russen haben immer wieder moniert, dass sie das als Verletzung ihrer Sicherheitsinteressen ansehen.

Das sind nur Forderungen an die Ukraine und den Westen. Was verlangen Sie von Putin?

Die Waffen müssen schweigen. Nach Möglichkeit sollte es in den besetzten Gebieten ein UN-beaufsichtigtes Referendum geben, in dem die Menschen selbst entscheiden, zu welchem Staat sie gehören wollen. Nicht die Fake-Abstimmungen, die Russland abgehalten hat, sondern echte Abstimmungen, die demokratischen Standards genügen.

Die besetzten Gebiete sind laut russischem Recht Teil der Russischen Föderation. Halten Sie das für realistisch, dass Russland sich darauf einlässt?

Ich weiß es nicht. Nur wenn verhandelt wird, kann man herausfinden, was erreichbar ist. Ohne Verhandlungen wird die Lage der Ukraine sich weiter verschlechtern. Die Militärfreunde, die für immer mehr Waffenlieferungen werben, haben immer behauptet, Waffen würden die Verhandlungsposition der Ukraine verbessern. Das Gegenteil ist eingetreten. Sollen wir also einfach so weitermachen wie bisher oder versuchen wir einen anderen Weg?

Putin sagte zuletzt, dass es absurd sei, gerade jetzt mit der Ukraine zu verhandeln, da ihr die Munition ausgehe. Zeigt das nicht, dass Russland kein Interesse an Verhandlungen hat und stattdessen mit weiteren Gebietsgewinnen rechnet?

Es stimmt, je prekärer die Situation der Ukraine ist, desto weniger wird Russland ein Interesse haben zu verhandeln. Rückwirkend wäre es besser gewesen, im vergangenen Herbst zu verhandeln.

Das heißt im Umkehrschluss, dass eine militärische Ertüchtigung der Ukraine, etwa mit mehr Munition, die Chancen auf Verhandlungen erhöht.

Nein. Wir liefern doch ständig, ohne dass sich etwas für die Ukraine verbessert.

Aber offensichtlich nicht genug, sonst hätte die Ukraine keinen Munitionsmangel.

Weil wir nicht genug haben. Die USA liefern jetzt sogar beschlagnahmte Gewehre aus dem Iran.

Den Munitionsmangel könnte der Westen politisch lösen, wenn er wollte. Daher noch mal: Wenn Sie selbst feststellen, dass sich die Verhandlungsposition der Ukraine verschlechtert, warum sollte man sie dann nicht stärken – auch militärisch?

Einfach weiterzumachen, was wir seit zwei Jahren machen, wird kein besseres Ergebnis bringen. Was der Ukraine vor allem ausgeht, ist ja nicht die Munition. Es sind einsatzfähige Soldaten. Wir müssen unsere Strategie ändern. Was der Westen bisher nicht gemacht hat, ist ein realistisches Verhandlungsangebot an Russland zu formulieren, wie ich gerade skizziert habe.

Aber eine neutrale Ukraine, die auch noch von westlichen Waffenlieferungen abgeschnitten ist, wäre einem erneuten russischen Angriff schutzlos ausgeliefert. Sie sagen selbst, Sie trauen Putin nicht über den Weg. Ist das nicht ein völlig unrealistisches Szenario?

Neutralität schließt Sicherheitsgarantien nicht aus. Neutralität heißt, dass die Ukraine kein militärischer Vorposten der Vereinigten Staaten wird.

Wie sollten solche Sicherheitsgarantien Ihrer Meinung nach konkret aussehen?

Das ukrainische Territorium müsste von Garantiemächten geschützt werden. Die Ukraine bräuchte dann eine Beistandspflicht. Das heißt, wenn sie angegriffen würde, müssten diese Mächte das Land auch militärisch verteidigen.

Wer könnte das sein?

Das müssen die Verhandlungen ergeben. Ich kann mir China, die Türkei oder auch Frankreich vorstellen.

Deutschland auch?

Ob Deutschland die Situation entspannen würde, bezweifle ich. Deutschland hat sich in einer Weise in den Krieg involviert, dass es wohl schwer als Garantiemacht vermittelbar wäre. Jede Einigung muss außerdem immer im Blick haben, dass es zu keiner direkten Konfrontation zwischen Russland und der Nato kommt.

Was ist Putins Kriegsziel?

Dazu gibt es zwei Theorien. Die eine besagt, dass Russland die Ukraine auslöschen will. Wenn das so ist, dann haben wir schlechte Karten. Ich halte aber die zweite Theorie für plausibler.

Und die wäre?

Dass Russland die Invasion begonnen hat, weil es die amerikanische Militärpräsenz in der Ukraine als Bedrohung für die eigenen Sicherheitsinteressen ansieht. Das kann man nachvollziehbar finden oder nicht. Immerhin waren vor dem Krieg 4.000 Nato-Soldaten in dem Land stationiert, es gab gemeinsame Manöver im Schwarzen Meer. Für diese Theorie spricht nicht nur, dass die russische Führung das vor dem Krieg immer wieder angesprochen hat, sondern auch der Umstand, dass nicht die neutrale, militärisch schwache Ukraine vor 2014 von Russland angegriffen wurde, sondern die hochgerüstete Ukraine, die das Ziel der Nato-Mitgliedschaft 2014 in ihre Verfassung geschrieben hat.

Warum leugnet Putin dann das Existenzrecht der Ukraine?

Der Krieg hat sich mittlerweile nationalistisch aufgeladen, auf beiden Seiten. Putin nutzt die nationalistische Erzählung, um Unterstützung in der Bevölkerung zu bekommen. Es ist das Narrativ vom großrussischen Reich, in dem die Ukraine gar nicht existiert. Die entscheidende Frage ist aber doch, worum es in diesem Krieg tatsächlich geht.

Aber wenn Sie zugestehen, dass Putins auch nationalistische – andere würden sagen imperialistische – Motive hat, ist es dann nicht naiv, auf ein Einfrieren zu hoffen?

Nationalismus kann man auch wieder abbauen. Das zeigt die Geschichte von Deutschland und Frankreich, die von Erzfeinden zu Freunden geworden sind.

Das hat Jahrzehnte gedauert und konnte erst nach Kriegsende gelingen.

Genau deswegen müssen erst mal die Waffen schweigen. Sonst wird der Hass auf beiden Seiten immer größer und die nationalistischen und militaristischen Kräfte in Russland werden immer einflussreicher. Ein Kriegsende wird so immer unwahrscheinlicher.

Frau Wagenknecht, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Sahra Wagenknecht
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