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Baerbock im Krisenmodus: Ukraine, Israel, Gaza – das kostet Nerven


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Annalena Baerbock
Ein schmerzhaftes Eingeständnis


12.04.2024Lesedauer: 6 Min.
Annalena Baerbock bei einem Besuch des Heizkraftwerkes Cottbus im April: Aufgrund der zahlreichen Krisen hat die Außenministerin kaum Kapazitäten für deutsche Innenpolitik.Vergrößern des Bildes
Annalena Baerbock bei einem Besuch des Heizkraftwerkes Cottbus im April: Aufgrund der zahlreichen Krisen hat die Außenministerin kaum Kapazitäten für deutsche Innenpolitik. (Quelle: Frank Hammerschmidt/dpa)
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Ukraine, Israel, Gaza: Annalena Baerbock ist im Krisenmodus. In Deutschland wird das im Wahlkampf für die Außenministerin zum Problem.

Es gibt Momente, bei denen auch die Außenministerin kurz die Geduld verliert. Wie am Mittwoch. Annalena Baerbock (Grüne) ist im Bundestag, Regierungsbefragung. Gemeinsam mit Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) stellt sie sich 90 Minuten lang den Fragen der Abgeordneten. Dabei wird vor allem deutlich: Deutschland befindet sich vor den Europawahlen im Juni und mehreren Landtagswahlen im Herbst bereits im Wahlkampf. Und die Parteien nutzen die Regierungsbefragungen, um ihre eigene Informationsblase zu bedienen. Und besonders Baerbock steht immer mehr im Zentrum des Sturms.

So möchte die AfD die Sanktionen gegen Russland rückgängig machen, trotz Wladimir Putins Invasion der Ukraine. Sie wirft Baerbock blinde Gefolgschaft gegenüber den USA vor, die Linke und das Bündnis Sahra Wagenknecht dagegen sehen die deutsche Unterstützung für Israel im Gazakrieg kritisch. Baerbock und ihr Ministerium haben schon auf derartige Anschuldigungen reagiert. Sie wirft den Abgeordneten der beiden Parteien im Bundestag vor, nicht zuzuhören. Das ruft Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki auf den Plan, der von der Außenministerin mehr Respekt vor dem Plenum einfordert.

Aber eigentlich geht es nicht um mangelnden Respekt. Baerbock reist von Krisenherd zu Krisenherd, war seit dem Terroranschlag der Hamas am 7. Oktober allein siebenmal in Israel. Es ist das, was ihre Kritiker lange von der Außenministerin gefordert haben: Diplomatie, Gespräche im Hinterzimmer, ohne moralischen Zeigefinger, immer mit dem Leid in den jeweiligen Ländern konfrontiert. Das geht an die Substanz.

Der Job der Außenministerin bringt aktuell sehr viele Unwägbarkeiten mit sich. Auch Baerbock könnte am Ende scheitern, ihr Einsatz in der Legislatur könnte nicht zu den gewünschten Ergebnissen führen. Denn über Erfolg oder Misserfolg entscheiden vor allem andere, es liegt wenig in den Händen Baerbocks. Damit werden die Krisen besonders für die Grünen zur Belastungsprobe im Wahlkampf.

Die Grünen im Fall

Einige politische Analysten in Berlin bescheinigen Baerbock, sie habe sich von ihrer Partei entfremdet. Doch am Mittwoch im Bundestag sieht es vielmehr nach einer Distanz zur deutschen Innenpolitik aus. Baerbock wirkt, als habe sie für innenpolitische Ränkespiele keine Kapazitäten, als seien andere Dinge wichtiger. In der Tat: Im Angesicht multipler Krisen ist besonders für sie kaum Zeit für Wahlkampf, keine Zeit für das taktische Tête-à-Tête im Bundestag. Das liegt in der Natur der Sache.

Ein Wort benutzt die Außenministerin in diesen Tagen oft: Dilemma. Natürlich bezieht sie es auf die Komplexität der Krisen der Welt, etwa in der Ukraine und in Gaza. Aber es könnte genauso für ihre Partei, die Grünen, gelten.

Ein Blick auf eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Infratest dimap vom April zeigt, dass die Deutschen das Thema Zuwanderung mit Abstand als größtes Problem wahrnehmen. Es folgen der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland auf Platz zwei und drei. Alle drei Themen betreffen die beiden wichtigsten grünen Minister in der Regierung.

Das Thema Asyl ist für die Grünen traditionell problematisch. Baerbock wirbt für mehr Pragmatismus, begrüßt die umstrittene Asylreform der Europäischen Union. Das sieht vor allem die Basis der Partei kritisch. Auch beim Thema Wirtschaft verliert die Partei an Vertrauen: Die stagnierende wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland hängt natürlich mit den Folgen des Krieges in Europa zusammen. Aber Unternehmen beklagen sich auch über einen fehlenden Kurs der Ampel in der Wirtschaftspolitik.

In Bezug auf den Ukraine-Krieg dagegen ist Wladimir Putin der Unsicherheitsfaktor. Aber auch die Kommunikation der Ampel ist teilweise unglücklich: Bundeskanzler Olaf Scholz und seine SPD mahnen zur Vorsicht und sehen eine Eskalationsgefahr für Deutschland. Die Grünen und Baerbock streiten dagegen zusammen mit der Union für mehr Entschlossenheit bei der Unterstützung der Ukraine. Das sorgt auch für Kriegsmüdigkeit in Teilen der deutschen Bevölkerung – und kostet Vertrauen. Auch in Teilen der grünen Wählerschaft stößt der Ukraine-Kurs der Partei auf Skepsis, denn die Grünen kommen aus der Friedensbewegung und Putins Krieg zwingt sie teilweise zu einer Neuorientierung, mit der einige Grüne noch fremdeln.

In Summe schadet all das den persönlichen Beliebtheitswerten von Habeck und Baerbock. Und laut einer Insa-Umfrage für t-online zur Europawahl kommen die Grünen noch auf 11,5 Prozent der Stimmen. Für die Partei, die bei der Europawahl 2019 bei 20,5 Prozent lag, wäre ein derartiges Ergebnis eine Katastrophe.

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Dramatische Lage in der Ukraine

Klar: Die Umfragewerte der Grünen spiegeln auch wider, dass die aktuellen Kriege und Konflikte die Klimakrise in den Schatten stellen. Das wird sich bis zur Europawahl wohl nicht mehr ändern. Dabei ist Baerbock die zentrale Identifikationsfigur der grünen Außenpolitik. Doch derzeit geht nicht viel voran, und das färbt direkt auf die Grünen und die Bundesregierung ab. Aber wie groß ist der Handlungsspielraum, den Baerbock hat? Welche Einflussmöglichkeiten hat die Bundesregierung international?

In der Ukraine ist die russische Armee aktuell in der Offensive und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj warnt vor einer Kriegsniederlage. Baerbock hat in den vergangenen zwei Jahren dafür gekämpft, dass die Ukraine den Krieg gewinnt. Die Bundesregierung hat zwar oft bei Waffenlieferungen gezögert, aber sie hat sich bei der Unterstützung des angegriffenen Landes in vielen Bereichen an die Belastungsgrenze gestreckt. "Wir haben keine mehr", sagt Baerbock im Bundestag etwa auf die Frage, ob Deutschland weitere Patriot-Flugabwehrsysteme liefern könnte. Ein schmerzhaftes Eingeständnis.

Die gegenwärtige Schwächephase der Ukraine ist nicht auf die militärische Übermacht Russlands zurückzuführen, auch nicht auf die Zögerlichkeit der deutschen Politik. Das Problem liegt vor allem in den USA, wo die Republikaner die Hilfen für die Ukraine im Kongress blockieren. Donald Trump und seine Anhänger haben die US-Wahl im November im Blick. Das bietet Baerbock und Scholz nur wenig Spielraum für Einflussnahme, denn ihre Ansprechpartner in der US-Regierung sind mit ihnen auf einer Linie. Da ist es wieder, das Dilemma.

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Woher kommt das Geld für die Aufrüstung?

Deswegen schlägt Baerbock im Bundestag vor, die deutsche Schlagkraft zu erhöhen – mit zusätzlichen Haushaltsmitteln für die Sicherheitspolitik. "Wir sind in einer absoluten Ausnahmesituation", meint die Außenministerin mit Blick auf die Schuldenbremse und darin enthaltene Ausnahmeklauseln. Man dürfe in Sicherheitsfragen nicht länger nur in Ein-Jahres-Haushalten denken. "Auch in fünf Jahren müssen wir Sicherheitsinvestitionen leisten."

Dabei geht es nicht nur um die Unterstützung der Ukraine, sondern auch um die Sicherheit Deutschlands und Europas. Denn sollte Putin den Krieg gewinnen, steht er direkt an der Türschwelle der Nato. Deutschland aber streitet innenpolitisch ums Geld und die Rüstungsunternehmen können ihre Kapazitäten nicht hochfahren, weil sie auf Bestellungen und Abnahmegarantien warten. Das ist alles andere als gut gelaufen.

Ein weiterer Kraftakt ist die Bemühung Deutschlands um eine Deeskalation im Gazastreifen. Nach dem Terroranschlag der Hamas vom 7. Oktober und die Entführung israelischer Geiseln geht die israelische Armee weiterhin kompromisslos gegen die Terroristen im Gazastreifen vor. Die Bombardierung des Gazastreifens führte bereits zu Tausenden zivilen Opfern. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu steht international am Pranger, selbst die USA entzogen im UN-Sicherheitsrat ihre Unterstützung.

Krisen werden zum Spielball der Populisten

Baerbock und ihr US-Amtskollege Antony Blinken reisen regelmäßig in die Region, führen Gespräche mit allen Akteuren, damit dieses Sterben ein Ende findet. Ob das erfolgreich ist, wird sich vor allem daran bemessen, ob Netanjahu von einem Angriff auf die Stadt Rafah abgehalten werden kann. Dort sollen sich Hunderttausende Binnenflüchtlinge befinden und es droht ein Blutbad, sollte die israelische Armee ihre Pläne in die Tat umsetzen.

Das bringt Baerbock unter Druck, Deutschland steht international in der Kritik, weil es weiter Waffen an Israel liefert. So hat etwa Nicaragua den deutschen Staat beim Internationalen Gerichtshof wegen der "Beihilfe zur Verübung eines Völkermordes" verklagt. Die Bundesregierung verteidigt sich. Baerbock wirft im Bundestag dem südamerikanischen Land vor, dem Staat Israel in der Anklageschrift das Existenzrecht abzusprechen. Damit will Deutschland klarmachen, welchen ideologischen Hintergrund die Klage hat und sie damit entkräften.

Auch die Frage nach Waffenlieferungen ist nicht so einfach, wie sie im politischen Diskurs gelegentlich klingt. Wenn Deutschland und die USA keine Waffen mehr liefern, wäre die Existenz Israels in Gefahr, sollte sich der Konflikt – etwa durch den Iran – doch zu einem Flächenbrand ausweiten. Deswegen verzichten beide Länder bisher auf die Vollbremsung bei Waffenlieferungen. Trotzdem soll der Druck auf Israel erhöht werden, was Netanjahu aber bisher beharrlich ignoriert. Bislang habe man nicht die gewünschten Erfolge erzielt, gibt Baerbock zu.

Somit kämpft die deutsche Außenministerin momentan an mehreren Fronten. Mal gibt es kleine Erfolge wie einen neuen Hilfskorridor für Zivilisten im Gazastreifen, mal Rückschläge wie einen israelischen Angriff auf eine westliche Hilfsorganisation. Es ist ein Wechselbad der Gefühle, ein zermürbendes Auf und Ab. Für Baerbock wird das auch innenpolitisch zum Problem, vor allem wenn eben diese komplexen Krisen zum Spielball der Populisten im Wahlkampf werden.

Verwendete Quellen
  • Beobachtung der Regierungsbefragung am 10. April im Bundestag
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