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Zum journalistischen Leitbild von t-online.FDP und Grüne streiten "Das grenzt an Ignoranz"
Für die Grünen ist die Kindergrundsicherung ein zentrales sozialpolitisches Projekt der Ampel. Doch die Verhandlungen stocken. Die FDP will ein Kernelement nicht mittragen.
In der Ampelkoalition ist der Streit über die Kindergrundsicherung wieder aufgebrochen. Nachdem FDP und Grüne schon Ende des vergangenen Jahres offen gezankt hatten, droht das Projekt von Familienministerin Lisa Paus (Grüne) nun im Parlament zu scheitern – zumindest in der bisherigen Form.
Im Kern geht es um die Frage, ob für die Kindergrundsicherung tatsächlich eine neue Behörde mit rund 5.000 Stellen geschaffen werden soll, wie es Paus unlängst abermals betonte. Und ob für den Staat eine "Bringschuld" bestehe, er also dafür verantwortlich ist, dass die gebündelten Leistungen für bedürftige Kinder bei den Familien ankommen.
Gyde Jensen, FDP-Fraktionsvize und liberale Verhandlerin des Gesetzes im Bundestag, sieht beide Punkte kritisch. Die neue Behörde brauche es nicht, die betroffenen Familien wüssten selbst, was für sie am besten ist. Und sie ärgert sich darüber, dass Paus die Verhandlungen im Parlament nicht ausreichend vorbereitet habe, schließlich habe die FDP-Fraktion bereits in der ersten Lesung des Gesetzes deutlich gemacht, dass sie "erheblichen Änderungsbedarf" sehe.
"Teilhabe organisiert man nicht mit mehr Bürokratie, sondern mit besseren Bildungschancen", sagte sie am Dienstag t-online. Den 5.000 neuen Stellen im Staatsapparat könne die FDP deshalb nicht zustimmen: "Das weiß die Ministerin auch. Dass sie trotzdem an dem missglückten Entwurf festhält, grenzt meiner Wahrnehmung nach an Ignoranz und Desinteresse für die aktuell laufenden Gespräche in den Koalitionsfraktionen. Das ist ein sehr schlechtes Vorzeichen für die weiteren Verhandlungen."
Grüne erwarten Vertragstreue
Bei den Grünen ist die Wut über die FDP groß. "Wir erwarten, dass die FDP vertragstreu handelt und mit uns gemeinsam die Kindergrundsicherung umsetzt", sagte Grünen-Fraktionsvize Maria Klein-Schmeink. "Die FDP muss sich fragen lassen, ob sie nach 2,5 Jahren Regierungsbeteiligung nun den Wahlkampf beginnen oder sich mit uns gemeinsam der Verantwortung für die Kinderarmut in unserem Land stellen will."
Mit der Kindergrundsicherung sollen ab 2025 bisherige Leistungen wie das Kindergeld, Leistungen aus dem Bürgergeld für Kinder und der Kinderzuschlag gebündelt werden. Neue Anlaufstelle soll dafür der sogenannte Familienservice werden, für ihn sind die 5.000 Stellen gedacht. Das Familienministerium beziffert die Verwaltungskosten für die Administration der Kindergrundsicherung auf 0,41 Milliarden Euro im Jahr 2025.
Das Bundeskabinett hat – mit Zustimmung von Finanzminister Christian Lindner (FDP) – schon im September einen Gesetzentwurf gebilligt, der all das enthält. Das betonen die Grünen nun. "Alle Koalitionspartner haben sich zur Kindergrundsicherung bekannt, die Kindergrundsicherung wird kommen", sagte der stellvertretende Grünen-Fraktionsvorsitzende Andreas Audretsch t-online.
Grüne: Wir lösen Bürokratie-Dschungel auf
Für Audretsch und die Grünen ist die Kindergrundsicherung "ein wichtiger Schritt zur Bekämpfung von Kinderarmut, aber auch ein wichtiger Schritt zur Vereinfachung des Sozialstaates". Das derzeitige System sei "hochkomplex und unübersichtlich". Nur ein Drittel der Familien, die Anspruch auf Kinderzuschlag haben, erhielten ihn auch. "Diesen Bürokratie-Dschungel lösen wir mit der Kindergrundsicherung auf." Für Familien werde es übersichtlicher und unbürokratischer.
Die zusätzlichen 5.000 Stellen halten sie bei den Grünen darum für nötig. Den Großteil davon allein deshalb, weil die zusätzlichen Kinder, die aus der Armut geholt werden sollen, auch zusätzlichen Verwaltungsaufwand bedeuten. Statt etwa 1,9 Millionen armutsgefährdeter Kinder sollen laut Familienministerium künftig bis zu 5,6 Millionen erreicht werden.
Die Liberalen halten dagegen. Sie pochen darauf, dass Paus' Ministerium jetzt zügig mit dem Sozialministerium von Hubertus Heil (SPD) einen neuen Gesetzentwurf erarbeitet, über den dann besser verhandelt werden könne.
In der Zwischenzeit, so Jensen, ließe sich ein mit der Kindergrundsicherung verbundenes Teilprojekt vorziehen, an dem sich weniger Streit entzündet: das sogenannte Kinderchancenportal, eine Webseite, auf der sich bedürftige Familien einzelne staatlich bezahlte Bildungsangebote buchen können, zum Beispiel Klavierunterricht. "Das Kinderchancenportal wäre ein guter erster Schritt", sagte Jensen. "Wenn wir den hinbekämen, würde das für die weiteren Verhandlungen zur Kindergrundsicherung helfen."
Nach t-online-Informationen ist dazu nächste Woche ein Informationsgespräch im Bundestag geplant. Zudem wollen sich die familienpolitischen Berichterstatter der Koalitionsfraktionen nach einer wochenlangen Verhandlungspause erstmals wieder treffen – ohne die Ministerin.
- Eigene Recherchen
- bmfsfj.de: Fragen und Antworten zur Kindergrundsicherung
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa