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Nachfahrin von NS-Widerstandskämpfern: "Meine Großmutter wäre entsetzt"


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Nachfahrin von Widerstandskämpfer
"Meine Großmutter wäre entsetzt"

  • Annika Leister
InterviewVon Annika Leister

05.02.2024Lesedauer: 4 Min.
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Adolf Hitler nach dem gescheiterten Attentat des 20. Julis 1944: Nachfahren von Widerstandskämpfern fürchten um die Demokratie. (Quelle: Keystone/getty-images-bilder)
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Ihre Eltern und Großeltern kämpften gegen die Nazis. Nun rufen 280 Nachfahren selbst zum Schutz der Demokratie auf. Warum? Das erklärt Initiatorin Gemma Pörzgen im Interview.

"Wir haben in Deutschland schon einmal erlebt, wohin das führen kann" – mit diesen Worten rufen die Nachfahren von NS-Widerstandskämpfern gerade zum Schutz der Demokratie gegen den Rechtsextremismus auf. Rund 280 Menschen haben unterzeichnet, darunter die Nachkommen von Dietrich Bonhoeffer, Claus Schenk Graf von Stauffenberg und Carl Friedrich Goerdeler.

Gemma Pörzgen hat den Aufruf mit Mitstreitern formuliert und die Unterschriften gesammelt. Die 61-jährige Journalistin warnt eindringlich vor der AfD. Sie fühlt sich dabei ihren Großeltern verpflichtet, die gegen die Nazi-Diktatur kämpften. Ihr Großvater verlor durch die SS sein Leben.

t-online: Frau Pörzgen, wie kam es zu dem Aufruf?

Gemma Pörzgen: Wir tauschen uns im Netzwerk der Angehörigen von NS-Widerstandskämpfern eng aus. Es hat uns dort schon länger umgetrieben, dass die Umfragewerte für die AfD so stark sind. Die Enthüllung von "Correctiv" war ein letzter Funken. Er hat dazu geführt, dass wir uns dachten: Wir müssen etwas tun, so geht es nicht mehr weiter.

Wie hat Ihr Großvater in der NS-Zeit Widerstand geleistet?

Mein Großvater Heinrich Körner war christlicher Gewerkschafter in Bonn und hat mitgewirkt am Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944. Nach dem Scheitern des Attentats wurde er verhaftet und hatte Glück, dass er nicht hingerichtet wurde. Der Berliner Volksgerichtshof verurteilte ihn zu vier Jahren Haft. Er saß in Plötzensee ein, auch in Ravensbrück. Als die sowjetischen Truppen die Haftanstalten befreiten, ist er in die Straßenkämpfe mit der SS geraten und dort erschossen worden.

Was würde Ihr Großvater zur Lage in Deutschland heute sagen?

Ihn konnte ich leider nie kennenlernen. Aber seine Frau, meine Großmutter, Therese Körner. Auch sie war im Widerstand aktiv und hat die CDU in Bonn mitaufgebaut. Sie wäre entsetzt, wenn sie hören würde, was die Leute heute wieder von sich geben.

Welche Parallelen zum Nationalsozialismus sehen Sie heute?

Die "Correctiv"-Enthüllungen haben nicht bahnbrechend Neues über die Ideologie von AfD-Politikern und Rechtsextremisten gezeigt. Aber sie haben wachgerüttelt, ein besonderes Entsetzen wurde geweckt. Ich denke, das hat auch mit der Wannsee-Konferenz zu tun. Allein die Nähe des Treffens in Potsdam zu diesem Ort ist gespenstisch. Das hat auf besondere Weise klargemacht: Es steht gerade viel auf dem Spiel.

280 Nachkommen von Widerstandskämpfern haben den Aufruf unterschrieben, ihr politischer Hintergrund ist sehr unterschiedlich. Wie haben Sie die zusammengeführt?

Ich sehe da Parallelen zur Vergangenheit: Wir stellen bei unseren Treffen immer wieder fest, wie verschieden und doch eng verbunden unsere Vorfahren waren. Mein Großvater als christlicher Gewerkschafter hatte zum Beispiel keinerlei Berührungsängste zu Kommunisten. Sie hatten eine Gemeinsamkeit, sie hatten dasselbe Ziel.

Und heute?

Wir haben als Nachkommen keinen Verdienst an den Taten unserer Vorfahren. Ich würde niemals behaupten, dass ich selbst so mutig gewesen wäre. Aber man ist auf besondere Weise sensibilisiert. Wir alle spüren eine tiefe Verpflichtung, uns für die Demokratie starkzumachen und scharf abzugrenzen gegen Rechtsextremisten und Rechtspopulisten, über alle anderen politischen Differenzen hinweg.

Bei den aktuellen Protesten gegen AfD und Rechtsextremismus gibt es immer wieder Diskussionen, wer mitmachen darf: Linke wollen CDU und CSU ausschließen, manch CSUler die Klimaaktivisten. Ein Fehler?

Darüber haben auch wir diskutiert. Viele Aufrufe aktuell laufen unter der Überschrift "gegen rechts". Aus dem Kreis der Angehörigen gab es dazu kritische Stimmen. Weil Menschen, die CDU und CSU wählen oder konservativ denken, sich ausgeschlossen fühlen könnten. Für uns ist das Einende das Entscheidende: Aktiv einstehen für die Demokratie, gegen Rechtsextremismus.

Sie rufen die Menschen zur Wahl auf und zur Diskussion. Das sind recht kleine Schritte.

Aber sie können so viel bewirken. Bei der Europawahl muss man die Sorge haben, dass wir allein durch eine mangelnde Beteiligung erschreckende Ergebnisse erhalten, die uns alle betreffen werden. Deswegen war die Bitte "Geht zur Wahl" für uns ein so entscheidender Punkt. Zusammenzukommen, zu diskutieren, Differenzen zu überwinden ist außerdem gerade sehr wichtig. Wir bitten: Sprecht mit denen, die Gefahr laufen, AfD zu wählen, zu Protestwählern zu werden. Und auch mit denen, die sie schon wählen.

Tun Sie das selbst?

Auch ich habe in meinem Bekanntenkreis Menschen, die AfD wählen. Wie vermutlich jeder inzwischen. Die gebe ich nicht verloren.

Wie diskutieren Sie mit ihnen?

Ich versuche, mit guten Argumenten gegenzuhalten und die persönliche Verbindung nicht zu verlieren. Ich kann verstehen, dass Menschen enttäuscht sind und Dinge ganz anders sehen als ich. Aber ich verstehe nicht, dass es sie zu dieser Partei treibt.

Führen Sie auch Ihren Großvater an?

Natürlich spricht man über die eigene Sozialisation, wie man geprägt ist. Da spreche ich auch über meinen Großvater.

Und berührt das?

Ich weiß nicht, wie relevant die Geschichte in solchen Gesprächen ist. Die Motive für viele Menschen, aus Protest AfD zu wählen, sind sehr in der Gegenwart verwurzelt, zum Beispiel in der Enttäuschung über die Bundesregierung.

Ihre Initiative kritisiert in ihrem Aufruf auch die anderen Parteien, weil sie es nicht schaffen, die AfD zu stoppen. Was würden Sie sich von ihnen wünschen?

Ich kann nicht für alle Unterzeichner sprechen. Aber was uns, denke ich, bei aller Unterschiedlichkeit verbindet: Wir wünschen uns von der Regierung mehr Kommunikation und eine Vision für die Zukunft. Eine starke Idee davon, was es bedeuten kann, in einer Demokratie zu leben. Ohne Frage hat diese Bundesregierung viele Krisen zu bestreiten. Aber im Klein-Klein der Gesetzgebungsverfahren geht das völlig unter.

Was befürchten Sie, wenn es zu einer AfD-Regierung kommen würde – zum Beispiel bei den Landtagswahlen in Ostdeutschland, wo die AfD derzeit stärkste Kraft ist?

Ich mag mir das gar nicht vorstellen. Ich hoffe sehr, dass die Demonstrationen und Aufrufe wie der unsere dabei helfen, das abzuwenden.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Gemma Pörzgen
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