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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Gescheiterte Parteiverbote Warum die NPD keine Blaupause für die AfD ist
Zweimal hat das Bundesverfassungsgericht ein Verbot der rechtsextremen NPD geprüft. Beide Male scheiterten die Verfahren. Was bedeutet das für ein mögliches Verfahren gegen die AfD?
Die "Correctiv"-Enthüllungen über rechtsextreme Geheimpläne zur Massendeportation von Migranten haben die Debatte um ein Verbot der AfD befeuert. Mitglieder der rechtsradikalen Partei sollen an den geheimen Treffen, auf denen die Pläne besprochen wurden, teilgenommen haben, darunter auch ein Vertrauter von AfD-Chefin Alice Weidel.
Schon 2003 und 2017 hat das Bundesverfassungsgericht über Verbotsfahren gegen eine Partei des rechten Randes entschieden. Damals ging es um die rechtsextreme NPD. Beide Male sind die Verfahren gescheitert – aus unterschiedlichen Gründen. Wieso hat das Bundesverfassungsgericht die Partei damals nicht verboten? Und was können wir daraus für ein mögliches Verbotsverfahren gegen die AfD lernen? t-online gibt Antworten.
Warum scheiterten die beiden Verfahren gegen die NPD?
Die kurze Antwort: einmal an Verfahrensfehlern, einmal an der Schwäche der NPD. Beim ersten Verbotsversuch 2003 stellte das Bundesverfassungsgericht das Verfahren aufgrund eines "nicht behebbaren Verfahrenshindernis" ein. Drei der vier zuständigen Richter vertraten diese Auffassung. Das genügte, um das Verfahren zu beenden.
Die NPD hatte die Einstellung des Verfahrens damals beantragt. Hintergrund war, dass die Partei von Informanten der deutschen Verfassungsschutzbehörden durchsetzt war. Zahlreiche Mitglieder der Parteiführung sollen verdeckt Informationen an den Inlandsgeheimdienst weitergereicht haben. Das Gericht konnte deshalb nicht klären, inwiefern Aktivitäten der Partei von ihr selbst oder aber von den Geheimdiensten initiiert waren.
Die Verfassungsfeindlichkeit der Partei, eine entscheidende Voraussetzung für ein Verbot, prüfte das Gericht damals nicht. Beim zweiten Verfahren 2017 stellte das Gericht fest, dass die NPD verfassungsfeindlich ist und die freiheitlich demokratische Grundordnung abschaffen möchte. Trotzdem stimmten die Richter gegen ein Verbot. Ausschlaggebend war das Kriterium der "Potentialität": Die NPD sei nicht in der Lage, ihre verfassungsfeindlichen Ziele in die Tat umzusetzen, argumentierten die Richter. Folglich könne sie auch nicht verboten werden.
Wie kann eine Partei überhaupt verboten werden?
Laut Artikel 21 des Grundgesetzes sind Parteien dann verfassungswidrig, wenn sie "nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden". Die Verfassungswidrigkeit muss das Bundesverfassungsgericht feststellen. Hinter dem Begriff "darauf ausgehen" verbirgt sich das "Potentialitäts"-Kriterium, woran der zweite Verbotsversuch scheiterte.
Ein Verbotsverfahren können nur Bundestag, Bundesrat oder die Bundesregierung per Antrag anstoßen. Sollte es sich um eine Partei handeln, die nur in einem Bundesland aktiv ist, kann auch die Landesregierung einen entsprechenden Antrag stellen. Klar dürfte auch sein, dass die Hürden für ein Verbot nicht nur hoch sind, sondern das Verfahren auch zeitintensiv ist: Im Falle der NPD dauerten beide Prozesse mehrere Jahre.
Zwei Parteien hat das Verfassungsgericht in seiner Geschichte verboten: Die Sozialistische Reichspartei (SRP), Nachfolgerin der NSDAP, im Jahr 1952 und die linksextreme Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) 1956. Anlass für das KPD-Verbot waren unter anderem deren Aufruf zum revolutionären Sturz der Adenauer-Regierung und die engen Kontakte zur DDR-Einheitspartei SED.
Was bedeutet das für die AfD?
Gerade mit Blick auf die politische Schlagkraft unterscheidet sich die AfD von der NPD: Die AfD sitzt im Bundestag und in 14 von 16 Landesparlamenten, oft mit zweistelligen Stimmenanteilen. In Thüringen sieht eine aktuelle Umfrage die AfD bei 31 Prozent. Die NPD hingegen schaffte in ihrer Geschichte nur den Einzug in einzelne Landesparlamente. Zur Zeit des Urteils im Jahr 2017 war sie bereits in keinem mehr vertreten.
Der Verfassungsrechtler Christian Waldhoff ist sich sicher, dass die "Potentialiät" der AfD im Gegensatz zur NPD gegeben sei. 2017 habe das Bundesverfassungsgericht "pointiert gesagt: Die NPD ist eine Nazipartei, aber sie ist so unbedeutend, dass wir sie nicht verbieten können", sagte Waldhoff gestern dem Fernsehsender Phoenix. "Diese Unbedeutendheit wird man der AfD nun wirklich nicht unterstellen können."
Entscheidender dürfte bei einem AfD-Verbotsverfahren die Frage nach der Verfassungsfeindlichkeit und der Intensität der Umsetzung sein. Um die AfD verbieten zu können, müsste das Bundesverfassungsgericht der Auffassung sein, dass sie aktiv an der Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung arbeitet. Das sei "eine offene Frage", so Verfassungsrechtler Waldhoff.
- Beschluss des Bundesverfassungsgericht im ersten Verbotsverfahren 2003
- Urteil des Bundesverfassungsgericht im zweiten Verbotsverfahren 2005
- sueddeutsche.de: "Warum das NPD-Verbotsverfahren scheiterte"
- deutschlandfunk.de: "Warum die NPD nicht verboten wurde"
- phoenix.de: "Gefahr von rechts - Gehört die AfD verboten?"
- Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags zu den SRP- und KPD-Verboten