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Dreikönigstreffen der FDP: Retten, was zu retten ist


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Dreikönigstreffen der FDP
Hier spricht der Bundespräsident


Aktualisiert am 06.01.2024Lesedauer: 5 Min.
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Dreikönigstreffen in Stuttgart: Lindner kontert Klimaaktivisten und kritisiert die Bauernproteste scharf. (Quelle: t-online)
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Vor der FDP liegt ein schweres Jahr. Und der Chef? Versucht, mit einer Mischung aus Attacken und Verteidigung die Liberalen zu retten. Report vom Dreikönigstreffen der Partei.

Auf Bühnen gilt ein Grundsatz: Sprich an, was durch den Raum wabert, sonst spült es dich weg. Man kennt das von Stand-up-Comedians, die Witze über ihre eigenen Missgeschicke reißen, damit es sonst keiner macht. Auch die Verantwortlichen bei der FDP haben den Grundsatz verinnerlicht. Auf die große Bühne beim Dreikönigstreffen in Stuttgart lassen sie – Schriftgröße etwa 20.000 – drei Worte projizieren: "Alles, außer unentschieden."

Denn die Unentschlossenheit schwebt über den rund 600 Anwesenden im Stuttgarter Opernhaus – und damit über der ganzen Partei. Gerade hatte die FDP eine interne Abstimmung durchgeführt: 52 zu 48 Prozent sprachen sich die Mitglieder knapp dafür aus, weiter mit der Ampelkoalition zu regieren. Eine Hälfte ist dafür zu gehen, eine Hälfte dafür zu bleiben. Wirkt sehr unentschlossen. Doch genau diesen Eindruck will die Führung der Partei vermeiden, deshalb sprechen die verschiedenen Vorredner von Christian Lindner vor den drei Worten an der Leinwand. Es ist der Versuch, die Wogen zu glätten.

Seit Jahrzehnten treffen sich die Liberalen am Dreikönigstag in Stuttgart, seit Jahrzehnten ist es ihr politischer Jahresauftakt. Immer werden euphorische Reden gehalten, Zuversicht strömt aus den glatt gebügelten Hemden und man spricht sich gegenseitig Mut zu. Doch selten war die Ausgangslage so miserabel wie 2024. Es droht ein schlimmes Jahr für die FDP. Und das liegt nicht nur an der inneren Zerrissenheit, an der Frage, ob sie weiterregieren will.

Die Partei steht in den Umfragen seit Wochen bei fünf Prozent, die Landtagswahlen der letzten zwei Jahre liefen fast alle desaströs. Für dieses Jahr stehen nun eine Europawahl und drei Landtagswahlen an. Und jetzt? Dreht sich die Spirale weiter nach unten? Beim Dreikönigstreffen lässt sich beobachten, wie die Partei sich aus der eigenen Misere schälen will. Es ist vor allem der Parteichef, der in einer selbst geschaffenen Klemme sitzt.

"Hören Sie genau zu", ruft Strack-Zimmermann

Das Programm geht auf die Minute pünktlich los, kein Zögern und kein Zweifeln soll im Ablauf erkennbar sein. Verschiedene Vorredner wie der FDP-Fraktionschef in Baden-Württemberg bringen den Saal in Stimmung. Man teilt gegen die dortige Landesregierung aus: "Sie erinnert an eine modische Jeans: Die Nieten trägt man außen." Allgemeine Heiterkeit, der Boden ist geebnet.

Über den rollt dann das rhetorische Großkaliber der Partei: Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Sie ist die designierte Spitzenkandidatin der Europawahl der Liberalen und legt donnernd nach: "Wir brauchen weniger von der Leyen und mehr von der Freiheit." Als sie über die Waffenlieferungen an die Ukrainer spricht, ruft eine Frau rein, die das kritisiert. Es wirkt, als hätte Strack-Zimmermann nur darauf gewartet. "Hören Sie genau zu!", schleudert sie der Frau entgegen, "wenn wir das nicht machen, dann ist hier Ende Gelände! Auch für Sie!" Lauter Applaus.

Strack-Zimmermann warnt in Bezug auf die Europawahl vor einem Erstarken der Populisten. Sie nennt die AfD und Wagenknecht, die nicht gewinnen dürften, sonst "ist die Kacke am Dampfen! Die braune und die rote!"

Es ist ein Auftritt, wie man ihn von Strack-Zimmermann kennt: wuchtig, lautstark, treffsicher. Dann, um 12.29 Uhr, betritt Parteichef Lindner die Bühne. Er sagt: "Manche werden nach Europa geschickt, damit sie von der Bildfläche verschwinden. Marie-Agnes Strack-Zimmermann geht nach Brüssel, damit die Stimme der Freiheit unüberhörbar wird." Es ist der erneute Versuch, anzusprechen, was ohnehin durch den Raum wabert.

Der erste Pfeiler, den Lindner für das Jahr einrammt

Denn es gibt Stimmen in der Partei, die den Schachzug von Lindner in diesem Jahr für strategisch klug halten: Mit Strack-Zimmermanns Spitzenkandidatur sichert er der Partei eine hohe Aufmerksamkeit im Europawahlkampf – und mutmaßlich deutlich mehr Stimmen, als wenn ein anderer angetreten wäre. Gleichzeitig könnte ihr Wechsel nach Brüssel dafür sorgen, dass Lindner in Berlin künftig geräuschloser regieren kann. Eine laute Stimme wird im Betrieb der Koalition ab der Europawahl wohl fehlen. Es ist der erste wichtige Pfeiler, den der Parteichef für das Jahr in den Boden rammt.

Lindner spricht knapp zehn Minuten, da erheben sich in den Logen des Theaters einige Klimakleber. Sie halten ein Plakat hoch, versuchen, die Rede zu stören. Lindner sagt: "Wenn Attac jetzt für das Klimageld wirbt, ist es das erste Mal, dass linke Autonome für das Wahlprogramm der FDP werben." Gemeint ist die Nichtregierungsorganisation Attac, die sich für mehr Klimaschutz starkmacht. Danach kann Lindner weitersprechen – und nutzt die nächste halbe Stunde für einen großen Schwenk durch die deutsche Politik. Kein Thema ist ihm zu abstrakt, keine Gemengelage zu abseitig.

Er verteidigt die Schuldenbremse und das Klimaschutzgesetz, attackiert politische Extremisten und spricht sich gegen die Wiedereinführung der Wehrpflicht aus. Zu den aktuellen Protesten der Landwirte sagt er: "Sie haben sich verrannt, bitte kehren Sie um."

Dann spricht der FDP-Chef allgemein über die Stimmung im Land: "Ich kann es kaum mehr ertragen!" Dass das von ihm mitregierte Deutschland "schlecht geredet" werde, sei nicht in Ordnung. Und: "Es gibt einen dritten Weg zwischen Gesundbeten und Schwarzmalerei: sich den Realitäten stellen und etwas unternehmen."

Manchmal klingt er dabei wie der Bundespräsident. Etwa, wenn er sagt: "Das ist eine Aufgabe für jede und jeden von uns. Jeder kann sich die Frage stellen: Stehe ich auf oder bleibe ich liegen? Schaue ich hin oder schaue ich weg? Schenke ich anderen ein Lächeln oder bringe ich jemanden zur Wut?"

Lindner versucht zweierlei

Hinter Lindner hat sich der angezeigte Slogan geändert. Nach "Alles, außer unentschieden" steht nun "Alles für die Zukunft" auf der Leinwand. Der Parteichef ist besonders entschieden, das soll vielleicht die Botschaft sein. Lindners Team twittert in Echtzeit die wichtigsten Aussagen, es ist eine Art Grundsatzrede.

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Lindner versucht zweierlei: Einerseits spricht da der FDP-Chef, der seiner Partei sagt, wer sie eigentlich ist. Andererseits steht der Finanzminister auf der Bühne, der am aktuellen Regierungsstil festhält, ihn und sich selbst verteidigt. Es ist der Versuch, die FDP irgendwie weiterhin zu beruhigen und gleichzeitig sanfte Korrekturen anzudeuten.

Ob das gelingt, ist noch nicht sicher. Die drei Landtagswahlen in diesem Jahr werden für die FDP nicht leicht. Die abwägende, eher allgemeine Rede von Lindner dürfte für ihn eher die Grundlage sein. In welche Richtung die Partei sich entwickeln wird, kann der Vorsitzende der Liberalen noch entscheiden. Damit ist der Ausgang, wie die Wahlen laufen werden, aber auch noch nicht sicher. Nur eines ist klar: Alles ist offen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen vor Ort in Stuttgart durch den Reporter
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