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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Radikalisierung auf Telegram "Reichsbürger" unterwandern Bauernproteste
Vor dem Höhepunkt der Bauernproteste wächst die Sorge, dass die Landwirte die Kontrolle über ihre Aktionen verlieren. "Reichsbürger" arbeiten daran gezielt.
Auch danach laufen die Bilder auf allen Kanälen. Zu sehen ist ein Mob wütender Menschen, der auf die Fähre des Urlaubsrückkehrers Robert Habeck will. Die Polizei kann die Menschen nur mühsam davon abhalten, noch zum ablegenden Schiff zu stürmen, auf dem sich der Wirtschaftsminister und Vizekanzler befindet. Pfefferspray liegt in der Luft.
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Angesichts der für die kommende Woche angekündigten Bauerndemos werfen die Bilder eine entscheidende Frage auf: Haben die Landwirte die Kontrolle über ihren Protest gegen die Streichung von Agrarsubventionen verloren? Recherchen von t-online zeigen, wie weit Versuche von Trittbrettfahrern gehen. Spuren führen ins Umfeld angeklagter Terrorverdächtiger aus der Corona-Zeit, in eine Szene, die seit Jahren zielstrebig daran arbeitet, Bauernproteste zu vereinnahmen.
Am Donnerstag um 14.29 Uhr erhielten die Mitglieder von zwei Gruppen im Messengerdienst Telegram mit Namen "Verbraucher&Bauern geeint" und "Freie Schleswig-Holsteiner" zeitgleich die Information: Robert Habeck wünsche sich zu einem "Bürgerdialog" "unendlich viel Interesse". Es wurde dazu aufgerufen, den grünen Wirtschaftsminister an diesem Abend auf dem Heimweg vom Urlaub am Fährhafen von Schlüttsiel abzupassen.
Telegram ist das Netzwerk, in dem Unzufriedene radikalisiert werden. Eine Gruppe von "Reichsbürgern" hat dort ein Netzwerk aufgebaut, das bereits bei der Ahrtalflut eine Grundschule bezog, von einem Systemsturz träumte und nun offenbar über den Messengerdienst versucht, Einfluss auf die Bauernproteste zu nehmen.
Doch Telegram ist nicht das Netzwerk der Landwirte.
"Telegram kommt bei Bauern nach dem Fax"
"Telegram kommt bei den meisten Bauern noch lange nach dem Fax", sagt Bernhard Barkmann, 51-jähriger Landwirt mit Ackerbau und Tierhaltung im Emsland. Der Vorsitzende des örtlichen CDU-Ortsvereins tritt mit seinem Blog blogagrar.de für die Belange der Bauern ein, kritisiert aber auch manches Auftreten. Er erklärt: "Bauern nutzen WhatsApp. 2019 gab es betagte Kollegen, die plötzlich ein Smartphone haben wollten, obwohl sie es immer abgelehnt hatten. Aber ohne WhatsApp gehörte man nicht mehr dazu."
Über WhatsApp-Gruppen und auf Facebook organisierten sich 2019 erstmals im großen Stil Proteste, die im November ihren Höhepunkt bei einer Demonstration mit mehr als 8.500 Traktoren in Berlin fanden. Daraus entstanden Zusammenschlüsse wie "Land schafft Verbindung", die regional ganz unterschiedlich auftreten, aber mit ihrer Mobilisierungskraft seitdem neben dem behäbigen Bauernverband als neue Akteure auftreten.
Ein solcher neuer Akteur ist Alf Schmidt, der in Thüringen für seine Schafherden 17 Hütehunde braucht. Ohne einen Verband im Rücken organisierte er 2021 einen mehrwöchigen Dauerprotest in Berlin, der wegen diverser Zwischenfälle auch von vielen Landwirten kritisch gesehen wird. Schmidt ist an den derzeit angekündigten Bauernprotesten in der kommenden Woche beteiligt und plant über den 15. Januar hinaus. "Mein Handy ist ein mächtiges Instrument", sagt er – Telegram sei allerdings nicht darauf. Er ist mit Bauern aus ganz Deutschland vernetzt und stand auch mit Hinterleuten der Demo in Schlüttsiel in Kontakt, wie er sagt. "Vernünftige Leute" sind das aus seiner Sicht.
Einer, der dort verantwortlich war, meinte zum Protest, das seien doch "normale Menschen aus der Mittelschicht auf dem Land" gewesen, und ob jemand wirklich "glaube, dass die Gewalt gegen andere ausüben" wollten. Der Mann heißt Jann-Henning Dircks. Er hat aber auch in einem Interview dem Journalisten Martin Lejeune gesagt, in Nordfriesland gebe es den Spruch "Lever dood as Slaav", "Lieber tot als Sklave". 2022 stand er vor Gericht, weil er zwei Jahre zuvor in einer geschlossenen WhatsApp-Gruppe Landwirte ermuntert hatte, zu einer Blockade von Tierschützern mit "Vorschlaghammer, Akkuflex und Bolzenschneider" zu kommen. Von dem Vorwurf, zu einer Straftat angestiftet zu haben, wurde er jedoch freigesprochen.
"Die haben von den Bauern Bescheid gekriegt"
Dircks sagt über die Protestierenden in Schlüttsiel am Donnerstag: "99 Prozent waren friedlich." Ob bei dem Gerangel ausschließlich "Menschen bei uns aus der Mitte der Gesellschaft waren", das könne er nicht beurteilen. Ein Kollege von ihm, Stefan Hansen, auf YouTube "Sibbershusum", wurde deutlicher: "In diese Schiene wollen wir nicht gesteckt werden. Das waren ungefähr 10 von 1.000, die haben von den Bauern Bescheid gekriegt." Als es passiert war.
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Tatsächlich waren bei dem Bauernprotest längst nicht nur Bauern. t-online hat eine Person ausfindig gemacht, die um 13.04 Uhr in einer WhatsApp-Gruppe mit 382 Mitgliedern die Nachricht postete, man solle Habeck empfangen. Auf Nachfrage will der Mann sich jedoch nicht äußern. Er unterhalte sich nicht mit Presseleuten, sagt er, es werde ja alles nur falsch dargestellt. Dann sagt er noch: Anderthalb Stunden hätten sie "lieb und nett" dagestanden, aber Habeck habe nicht den Mut gehabt, mit ihnen zu reden. Er selbst sei Angestellter: "Da waren Handwerker, Lkw-Fahrer, da war alles."
Die Aufrufe zu Protesten haben längst die Kreise der Bauern verlassen. Auf Telegram mobilisieren auch ganz offen Rechtsextreme wie die ehemalige NPD oder die "Freien Sachsen" in allen Berufsgruppen. Auf Telegram gibt es seit Juli 2022 aber auch Angebote, die zunächst unverdächtig wirken: Ein bundesweites Netz von Kanälen "Verbraucher und Bauern geeint" gibt vor, Unterstützung des Volkes mit den Bauern demonstrieren zu wollen.
"Arminius Erben" versuchten es schon 2021 bei Bauernprotest
Dahinter steckt maßgeblich eine Gruppierung, die sich "Arminius Erben" nennt, nach dem Cheruskerfürsten Arminius. An ihn und seinen Sieg über die Römer im Teutoburger Wald erinnert das Hermannsdenkmal, in manchen Kreisen wird er als der "erste Deutsche" verehrt. "Arminius Erben" versuchten schon 2021, sich den Bauernprotesten von Alf Schmidt in Berlin anzuschließen. Alle möglichen Gruppen seien gekommen und hätten ihre Themen platzieren wollen, erinnert sich Schmidt. Die Bauern seien auch für eine 'Merkel muss weg'-Demo angesprochen worden. "Ich habe gesagt, wer da mitmacht, gehört nicht mehr zu uns." Schmidt will Menschen mit anderen Anliegen gesagt haben, wenn sie etwas wollten, sollten sie eben in der Nachbarstraße was anmelden und sehen, wer kommt.
"Arminius Erben" riefen zu Spenden für die Bauern auf, Mitglieder organisierten Verpflegung für die Landwirte, sie suchten Anschluss. Schmidt wies das öffentlich zurück, er wolle mit "Arminius Erben" nichts zu tun haben. Daraufhin habe es sogar Lynchaufrufe gegen ihn gegeben, berichtet er. Was genau "Arminius Erben" wollen, sei ihm nie klar geworden.
An der Spitze von "Arminius Erben" steht ein Nebenerwerbslandwirt aus der Nähe von Kiel, der regelmäßig Videos von sich veröffentlicht und für Vorträge in geschlossenen Kreisen quer durch die Republik reist. "Reichsbürger"-Ideologie steckt offenbar dahinter, die Idee, dass Deutschland von den USA besetzt sein soll, die Deutschen sich befreien müssten und dann ein "1000-jähriges Friedensreich" warte. Es gibt Anklänge an NS-Ideologie, es geht sehr völkisch und sehr russlandfreundlich zu. Zeitweise gab es Überschneidungen mit einer nicht mehr auftretenden Gruppe namens "DEUNOD", deutscher Ableger einer russischen nationalen Befreiungsbewegung.
Diverse Mitglieder von "Arminius Erben" sind jetzt die Administratoren der Gruppen, in denen Bauern und Verbraucher vermeintlich vereint werden sollen. Die kleinste für Bremen hat 200 Mitglieder, die größte für Bayern fast 5.000. Es sind viele Menschen neu dazugekommen, die vielleicht nur solidarisch sein wollen mit den Bauern, offenkundig selbst enttäuscht sind von der Politik der Ampel – und nicht zu ahnen scheinen, wo sie gelandet sind.
In Gruppen wurde für mutmaßliche Terrorpläne rekrutiert
Das Team der Verantwortlichen leitete Gruppen mit QAnon-Verschwörungsgläubigen, sie steuerten Zusammenschlüsse, die zu einem "Tag X" angelegt waren oder zum "DDay 2.0" mit bundesweiten Blockaden aufriefen, und sie administrierten die "Vereinten Patrioten" oder den "Veteranenpool": Es sind Gruppen, in denen zum Teil nachweislich rekrutiert wurde für mutmaßliche Terrorzellen.
Eine aktuelle Administratorin etwa ist eine Isa. Sie war eine enge Vertraute von Sven Birkmann, der "ein Drehbuch für den Umsturz" hatte. Seit Mai 2023 wird in Koblenz gegen Birkmann und vier weitere Angeklagte verhandelt, die den Plan einer Entführung von Karl Lauterbach und eines deutschlandweiten Blackouts geschmiedet haben sollen. Im Prozess fällt oft der Name Isa, es gab auch eine Hausdurchsuchung bei ihr. Beschuldigte ist sie im Prozess nicht, in ihren Kreisen hat ihr das Vorwürfe eingebracht, insgeheim für den Staat zu arbeiten.
Isa nahm mit Birkmann an Treffen der Verschwörer teil, betreute auf Telegram die nach Bundesländern aufgestellten Kanäle des "Veteranenpools", dazu "Corona Rebellen Berlin" und "Querdenken Hannover". Und sie steuerte eine Telegram-Gruppe von Helfern aus der "Reichsbürger"- und "Querdenker"-Szene, die sich bei der Flut im Ahrtal in einer Grundschule eingerichtet hatte, einerseits bei den Aufräumarbeiten half, andererseits diese aber dazu nutzte, sich zu vernetzen und Beweise für krude Theorien zu suchen.
Bei vielen der Beteiligten gab es später Hausdurchsuchungen: Sven Birkmann war dort an der Ahr gewesen, zudem mehrere mutmaßliche Ex-Militärs aus der noch viel größeren Gruppe um Heinrich Prinz Reuß XIII. und die Ex-AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkelmann, die gerade wegen Putschplänen angeklagt wurde. Der Rauswurf der unerwünschten Fluthelfer löste damals auch Unverständnis in der Öffentlichkeit aus.
In der Schule an der Ahr hielten sich mindestens zwei weitere Personen auf, die jetzt Kanäle zur Unterstützung der Bauern steuern. Unter den Administratoren finden sich auch frühere Administratoren von "Vereinte Patrioten/Tag X", bei den meisten außerdem klare Bezüge zu "Arminius Erben" und zu früheren Plänen, die Regierung zu stürzen.
Wenn jetzt irgendwo Bauern einen Protest planen, landet seine Ankündigung auch umgehend bei "Bauern und Verbrauchern geeint" und dort in den angeschlossenen Termin-Gruppen. Die "Reichsbürger" werben beständig, sich anzuschließen.
Der Verfassungsschutz weiß nach t-online-Informationen von den Gruppen und den Hintergründen ihrer Betreiber. Viele der Bauern und ihrer Unterstützer wohl eher nicht.
- Eigene Recherche
- shz.de: Nach Videoaufruf zu Protest: Freispruch gegen Jann-Henning Dircks ist rechtskräftig