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Zum journalistischen Leitbild von t-online.FDP bremst bei Selbstbestimmungsgesetz Es rappelt im Karton
Künftig sollen Bürger unkompliziert ihr Geschlecht ändern können – das ist der Plan der Ampelkoalition. Nun wird das Vorhaben gebremst, in der FDP hat mancher Bedenken. Kippt das Vorhaben?
Gero Hocker ist ein Mann der klaren Worte. Hocker, kurze Haare, offener Blick, machte nach der Realschule sein Abitur, ging zur Bundeswehr, sechstes Panzergrenadierbataillon. Anschließend absolvierte er ein Studium der Wirtschaftswissenschaften mit Promotion, beharrlich arbeitete er sich nach oben. Seit 2017 ist Hocker Bundestagsabgeordneter für die FDP. Er sagt ohne Umwege was er denkt, Kollegen schätzen seinen freundlichen aber direkten Ton.
Und am Dienstag, in der Fraktionssitzung der FDP, war es so weit. Da wurde Hocker wieder mal deutlich, er wollte nicht schweigen. Es ging um die Frage, ob das von der Ampel geplante Selbstbestimmungsgesetz diese Woche auf die Tagesordnung des Bundestages kommen soll. Das Gesetz soll es leichter machen, den Geschlechtseintrag in Deutschland ändern zu lassen. Gero Hocker sagte, dass er teilweise bei dem Gesetz Bedenken habe. Und sprach damit aus, was viele dachten. Das Ergebnis der Diskussion: Das Gesetz taucht in dieser Woche nicht auf der Tagesordnung des Bundestages auf. Erst mal soll erneut beraten werden.
Die Debatte wird zur Grundsatzfrage
Die Debatte ist zweigeteilt. Einerseits treibt etliche Liberale die Frage um, wie das Gesetz in der Praxis gut umgesetzt werden kann. Das aktuelle Recht für Transpersonen ist Jahrzehnte alt, die Reform soll nicht scheitern. Andererseits geht es auch um die Wirkung des Vorhabens – und die Frage, was die Union als politische Angriffsfläche nutzen könnte. Für die Liberalen, die in den Umfragen und letzten Landtagswahlen unter Druck gerieten, wird die Debatte um das Selbstbestimmungsgesetz deshalb zur Grundsatzfrage: Wie klar wollen sie sich in der aufgeladenen Diskussion positionieren?
Am Tag nach der Diskussion in der Fraktion klingt Gero Hocker deutlich am Telefon. Er sagt: "Bereits jetzt besteht die Möglichkeit, den Eintrag im Personenstandsregister zu ändern. Hierfür bedarf es zweier teilweise entwürdigender Gutachten und eines Gerichtsbeschlusses. Dieses Verfahren für Erwachsene zu erleichtern, ist richtig." Das ist auch der Plan der Reform.
Nur ein Teil der Reform ist unstrittig
Die bisher nötigen Gutachten, um den eigenen Geschlechtseintrag zu ändern, entfallen. Auch Fragen danach, welche sexuellen Vorlieben jemand hat oder welche Unterwäsche getragen wird, sind nicht mehr nötig. Viele empfanden das als entwürdigend. Eine Erklärung im Standesamt soll für einen Wechsel des Geschlechtseintrags künftig ausreichen, so sieht es der Entwurf des Gesetzes vor, dagegen hat niemand in der FDP-Fraktion etwas.
Doch dann kommt der Einwand von Gero Hocker. Er sagt am Telefon: "Weitergehende Regelungen für Minderjährige, für Jugendliche in der Pubertät und erst recht für Kinder führen zu Verunsicherung und zu mehr ungeklärten Fragen als zu zusätzlichem Nutzen." Aber genau das plante die Koalition. Zumindest bislang. Der von FDP-Justizminister Marco Buschmann vorgelegte Entwurf sieht vor, dass Eltern für Kinder unter 14 Jahren eigenmächtig eine Änderung des Geschlechteseintrags bewirken können. Dagegen sind Hocker und etliche seiner FDP-Kollegen.
Einige Liberale beschäftigt, wie das in der Praxis ablaufen solle: Dass sich Kinder selbstständig an Gerichte wenden, wenn ihre Eltern gegen ihren Willen das Geschlecht ändern? Ein 10-Jähriger, der beim Amtsgericht klingelt und sich einen Anwalt gegen die eigenen Eltern nimmt – das sei doch undenkbar. Andererseits sollten Kinder nach dem Eindruck einiger Abgeordneter auch nicht völlig eigenmächtig ihren Geschlechtseintrag ändern dürfen, ein zumindest dann verpflichtendes Gutachten wäre eine mögliche Lösung. Egal, mit wem man in der FDP-Fraktion redet: Fast keiner kann sich vorstellen, dass die Fraktion dem Entwurf in der aktuellen Fassung zustimmt.
Friedrich Merz läuft sich schon mal warm
Und dann ist da noch die andere Seite. Die Frage danach, inwieweit die Union das Gesetz nutzen könnte, um sich politisch an der FDP abzuarbeiten. Friedrich Merz, Unionsfraktionschef und Vorsitzender der CDU, hat sich dazu bereits scharf geäußert. Anfang September sagte Merz: Es dürfe nicht in der Beliebigkeit von Eltern und Kindern und auch möglicherweise Gerichten liegen, "das einfach mal eben so neu zu entscheiden und dies möglicherweise fast jedes Jahr", sagte Merz. Das Geschlecht sei kein rein soziales Konstrukt – und es sei nicht beliebig und nicht frei wählbar.
Genau das ist der Eindruck, der nun von der Union versucht wird zu erwecken: Dass die Ampelkoalition es möglich macht, beliebig seinen Geschlechtseintrag wechseln zu lassen. Besonders konservative Wähler könnten sich damit von der FDP wieder zur Union umorientieren. Genau das soll vermieden werden. Intern laufen erste Debatten darüber, wie das Gesetz möglicherweise noch geringfügig geändert werden könne, ohne dass Merz wieder etwas von "mal eben so neu zu entscheiden" sagen könne.
"Die Nervosität ist groß"
Die Liberalen stehen dabei unter Druck. Ein Abgeordneter der FDP sagt nach der Sitzung am Dienstag: "Die Nervosität in der Fraktion ist aufgrund unserer Wahlergebnisse halt extrem groß." Namentlich zitieren lassen will er sich damit nicht. Die Landtagswahlen in den vergangenen zwei Jahren liefen schlecht für die FDP, im Bund haben sich die Umfragewerte an der Fünfprozenthürde eingependelt. Das Selbstbestimmungsgesetz soll deshalb nicht den Eindruck verstärken, die Liberalen würden ihre Prinzipien von Ordnung aufgeben.
Wie die Änderungen aussehen, ist noch unklar. Nur der weitere Zeitplan steht fest – zumindest vorläufig. Nächste Woche soll das Gesetz in den Bundestag eingebracht werden und anschließend dann im Familienausschuss diskutiert werden. Damit wäre, so glaubt es mancher in der FDP-Fraktion, noch genug Gelegenheit, einen Kompromiss zu finden.
- Eigene Recherche