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SPD in Mecklenburg-Vorpommern: Migrationskrise verursacht Landrat-Austritt


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Landrat verlässt SPD wegen Asylkurs
"Auf unseren Parteitagen gilt die Devise: Totschweigen"

  • Daniel Mützel
InterviewVon Daniel Mützel

Aktualisiert am 08.11.2023Lesedauer: 6 Min.
SPD-Chefs Saskia Esken (l.) und Lars Klingbeil (2.v.r.), Vize-Präsidentin des Europäischen Parlaments Katharina Barley (2.v.l.), Kanzler Scholz (M.) und Generalsekretär Kevin Kühnert (r.): "Auf unseren Parteitagen galt die Devise: Wegschauen und Totschweigen."Vergrößern des Bildes
SPD-Chefs Saskia Esken (l.) und Lars Klingbeil (2. v. r.), Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments Katharina Barley (2. v. l.), Kanzler Scholz (M.) und Generalsekretär Kevin Kühnert (r.): "Das müsste der SPD-Spitze wirklich Sorgen bereiten." (Quelle: JOHN MACDOUGALL/getty-images-bilder)

Die Migrationskrise spaltet die SPD. Aus Kritik am aktuellen Asylkurs verließ ein Landrat aus Mecklenburg-Vorpommern nun die Partei. t-online erklärt er seine Beweggründe.

Im hohen Norden verliert die Kanzlerpartei einen wichtigen Kommunalpolitiker: Der Landrat von Vorpommern-Rügen, Stefan Kerth, ist nach 20 Jahren in der SPD aus der Partei ausgetreten. Kerth wandte sich am Montag mit einer Erklärung an die Öffentlichkeit, die es in sich hatte: Der Landrat warf seiner nun ehemaligen Partei vor, in der Migrations- und Asylpolitik nur noch "gesinnungsgeleitet" zu agieren, anstatt sich an der Lebensrealität im Land zu orientieren. Zudem gab Kerth der SPD und ihrer als "wirklichkeitsfremd empfundenen" Politik eine Mitschuld am Aufstieg der AfD.

Im Gespräch mit t-online erklärt Kerth, für wie aussichtslos er den Kampf gegen die "Gesinnungspolitiker" in der Partei hält, warum die Krisengespräche mit Manuela Schwesig nicht halfen – und weshalb er glaubt, dass die SPD an der Devise "Wegschauen und Totschweigen" langfristig kollabieren wird.

t-online: Herr Kerth, wie fühlt es sich an, nach 20 Jahren kein Sozialdemokrat mehr zu sein?

Stefan Kerth: Ich fühle mich weiterhin als Sozialdemokrat. Nur mein SPD-Parteibuch habe ich abgegeben.

Ist die SPD nicht mehr die Partei der deutschen Sozialdemokratie?

Zumindest nicht mehr für das, was ich darunter verstehe. Das beginnt schon damit, dass es kaum noch Mitglieder gibt, die einen unternehmerischen Geist in die Partei bringen. Gerhard Schröder als "Genosse der Bosse" mit der Zigarre im Mund hatte diese Seite stark repräsentiert. Das ist heute anders. Auch beim Thema Migration und Flucht denkt meine Partei leider weitgehend ideologisch.

Wann haben Sie das erste Mal gedacht, dass Ihre Partei nicht mehr zu Ihnen passt?

Ich habe seit Jahren die Rolle des Querulanten und Mahners nach innen. Angefangen hat es mit der Flüchtlingskrise 2015, als langsam Zweifel in mir wuchsen. Nicht über Nacht, sondern weil ich mich konkret mit den Themen befasst habe. Wo auch immer ich die Dinge näher unter die Lupe genommen habe, habe ich gemerkt, dass etwas nicht stimmt. Dass die Zustände, die mir im echten Leben begegnen, nicht zu den schönen Geschichten passen, die wir uns die ganze Zeit über Zuwanderung erzählen. Es gibt auch Schattenseiten von Migration, aber in der SPD fand man das nicht diskussionswürdig.

Warum nicht?

Man möchte an seinem idealistischen Weltbild festhalten. In den eher linken Strömungen der SPD wird daher nur sehr verhalten über Korrekturen nachgedacht. Viele streiten sogar ab, dass es überhaupt Probleme bei der Migration gibt. Und das, obwohl wir gemerkt haben, dass wir es in Deutschland auch bei der Flüchtlingskrise 2015 eigentlich gar nicht wirklich geschafft haben. Wir knabbern noch heute an ganz vielen Nebenwirkungen der damaligen Entscheidungen, ohne dass die SPD darüber reden möchte.

Für Ihre Austrittserklärung auf Facebook haben Sie viel Zuspruch erhalten. Zahlreiche Nutzer danken Ihnen in den Kommentaren, zollen Ihnen "Respekt" oder nennen Sie einen "Landrat mit Rückgrat". Wie waren die Reaktionen aus der Partei?

Das müsste eigentlich alarmierend sein für die SPD: Ich habe auch von Parteikollegen Zuspruch erhalten, teils auch öffentlich. Manche haben Verständnis gezeigt, andere ihre Dankbarkeit ausgedrückt.

Dafür, dass Sie der SPD den Rücken gekehrt haben?

Dafür, dass ich mit meiner Kritik an der Parteilinie vielen aus der Seele gesprochen habe. Natürlich gibt es auch Kritik, aber der Großteil sagt sinngemäß: "Hast du gut gemacht, Stefan." Das muss der SPD-Spitze wirklich Sorgen bereiten.

Auch im rechten Lager und in AfD-Kanälen feiert man Sie für Ihren Austritt. Stört Sie das?

Nein. Die Rechten könnten auch sagen, dass eins plus eins zwei ist. Was soll ich dagegen sagen? Es geht doch um etwas anderes: Das politische Spektrum der Mitte hat seit Jahren die Strategie verfolgt, dass das Ansprechen der Probleme bei der Migration den Rechten Vorschub leistet. Ich habe immer davor gewarnt, dass das nicht gut ausgeht. Nun ist es so gekommen. Auf unseren Parteitagen gilt die Devise: Wegschauen und Totschweigen. Anstatt die Probleme anzugehen, die viele im Land bedrücken, verabschieden wir wolkige Papiere und feiern uns für das "Zusammenstehen gegen rechts". Es wollte nie jemand hören, dass wir damit dem rechten Populismus erst in die Karten spielen.

Manuela Schwesig, die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern und bis vor Kurzem noch Ihre Landesparteichefin, hat Ihren Rückzug öffentlich bedauert und kundgetan, sie wolle "weiter gut" mit Ihnen zusammenarbeiten. Haben Sie ihr von Ihren Bauchschmerzen bei dem Thema erzählt?

Seit 2015 nutze ich Gesprächskanäle mit der Landesregierung und auch mit Manuela Schwesig. Wir leben in einem kleinen Bundesland, Frau Schwesig und ich laufen uns hin und wieder über den Weg. Sie kennt meine Sorgen.

Was hat Ihnen Schwesig entgegnet?

Sie hat sich meine Kritik zwar angehört und ich hatte auch den Eindruck, dass sie sich das zu Herzen nimmt. Ob sie es in Wahrheit anders sah oder sie einfach den Mut nicht hatte, ihre Politik zu ändern, kann ich nicht sagen. Dass wir beim Thema Migration und Flucht viele Baustellen haben, weiß Frau Schwesig. Das wissen alle in der SPD, mit denen ich über die Jahre gesprochen habe. Die SPD ist leider eine Vieraugenpartei: Im Vieraugengespräch sind wir uns oft einig in er Problemanalyse. Das führt jedoch nicht dazu, dass wir auf Parteitagen und in der Öffentlichkeit unsere Position ändern. Wir agieren weiter gesinnungspolitisch, anstatt uns an der Wirklichkeit zu orientieren.

Wie würden Sie denn diese Gesinnung beschreiben, die Ihrer Meinung den Blick der SPD auf die Realität versperrt?

Es ist ein Mindset, das sich danach ausrichtet, was wünschenswert wäre und was sich gesinnungsethisch richtig anfühlt. Dabei wird nicht gefragt, welche realen Folgen und Probleme das mit sich führen könnte. Das betrifft vor allem die Bereiche Zuwanderung und Flucht.

Aber tut sich hier nicht etwas? Auf der Ministerpräsidentenkonferenz am Montag wurden auch mit Zustimmung von Sozialdemokraten verschärfte Maßnahmen für Asylbewerber beschlossen. Führende SPD-Politiker zeigen sich offen für bisher kaum denkbare Modelle wie die Auslagerung von Asylverfahren aus Europa.

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Wenn es in Deutschland aktuell nicht rumoren würde wegen der ungesteuerten Migration, wäre es zu diesen Beschlüssen gar nicht gekommen. Die SPD gibt akuter politischer Not nach. Aber es ist keine Überzeugung aus sich heraus, dass wir Zuwanderung stärker steuern müssten. Es ist immer noch so, dass wir in großen Teilen nicht wissen, wer die Menschen sind, die zu uns kommen. Das ist eines Rechtsstaates nicht würdig, vor allem weil das nun schon viele Jahre so geht.

Auch der Kanzler hat den Ton verschärft. In einem Interview forderte er Abschiebungen "im großen Stil". Hat Sie das nicht von einer Kurskorrektur überzeugt?

Olaf Scholz ist kein Gesinnungspolitiker, der sich seinen Wunschfantasien hingibt. Er ist Sachpolitiker. Insofern war ich von seiner Äußerung nicht überrascht. Aber er hat damit die Partei nicht hinter sich. Ganz im Gegenteil: Ich denke, dass er intensive Diskussionen im Vorfeld geführt hat, damit ihm kein führender Sozialdemokrat hinterher in die Parade fährt. Scholz hat sicher gerade einen Konflikt mit den eigenen Reihen auszuhalten, aber ohne den massiven politischen Druck und die miserablen Umfragewerte würde auch er die Konfrontation vermeiden. Die Grundüberzeugung der Hauptströmungen in der Partei hat sich nicht geändert.

Und wie lautet die?

Ich mach es mal plakativ: Viele Sozialdemokraten halten die bloße Forderung nach offenen Grenzen für ein migrationspolitisches Konzept. Man geht davon, dass man Zuwanderung ungebremst stattfinden lassen kann, egal wie hoch der Bundeshaushalt oder die Sozialleistungen sind und egal wie lange das bereits stattfindet. Das ist die Geisteshaltung in den maßgeblichen Strömungen in der SPD, die auch die Parteitage dominieren. Als Demokrat gestehe ich ihnen das zu. Wer die Mehrheit hat, darf den Kurs der Partei bestimmen. Aber ich glaube, dass die SPD langfristig daran kollabiert.

In zwei Jahren wird in Vorpommern-Rügen ein neuer Landrat gewählt. Rechnen Sie sich ohne SPD-Parteibuch höhere Chancen aus, dass Sie dann wiedergewählt werden?

Ich bin schon immer ohne Parteilogo bei Wahlen angetreten, auch schon als Bürgermeister der Stadt Barth. In der Kommunalpolitik kommt es weniger auf Parteien an. Insofern hat meine Entscheidung, aus der SPD auszutreten, nichts mit der Wahl in zwei Jahren zu tun.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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