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CDU-Chef Friedrich Merz empört mit Aussage: Putin wird es gerne hören


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Merz über Asylbewerber
Warum der Satz des CDU-Chefs so gefährlich ist


Aktualisiert am 28.09.2023Lesedauer: 6 Min.
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"Abgelehnte Asylbewerber lassen sich die Zähne machen": Diese Aussagen von Friedrich Merz sorgen für Wirbel. (Quelle: t-online)
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In der Debatte über Migration sorgt CDU-Chef Merz mit einer umstrittenen Aussage für Empörung. Seine Formulierung hat Vorbilder. Zu finden sind sie weit rechts.

Immer im September scheint sich Friedrich Merz in eine Art Kassandra zu verwandeln. Mit lauten Rufen warnt der CDU-Chef dann vor dem Niedergang des Sozialstaats. Im September 2022 war das so, da unterstellte Merz den Geflüchteten aus der Ukraine, sie würden in Deutschland Sozialtourismus betreiben. Also nicht etwa vor den Bombenangriffen des russischen Despoten Wladimir Putin fliehen, sondern in Deutschland Sozialleistungen abgreifen. Später entschuldigte sich Merz für seine Aussagen.

Nun, im September 2023, tut er es schon wieder. Da warnt der Chef der Christlich Demokratischen Union in scharfem Ton vor dem angeblichen Schmarotzertum der Asylbewerber (zu denen Ukrainer auch gehören). "Die Bevölkerung, die werden doch wahnsinnig, die Leute, wenn die sehen, dass 300.000 Asylbewerber abgelehnt sind, nicht ausreisen, die vollen Leistungen bekommen, die volle Heilfürsorge bekommen", sagte Merz beim Fernsehsender Welt-TV. "Die sitzen beim Arzt und lassen sich die Zähne neu machen, und die deutschen Bürger nebendran kriegen keine Termine." Das sei eine "Katastrophe für dieses Land", fügte hinzu, gerichtet an die Parteivorsitzenden von SPD und Grünen, Lars Klingbeil und Omid Nouripour, die mit ihm im Studio saßen.

Aber stimmt das überhaupt? Bis zum 30. Juni 2023 waren in Deutschland insgesamt 279.098 Personen ausreisepflichtig. Nicht 300.000, wie von Merz behauptet. Zudem hat ein Großteil von ihnen eine Duldung, ihre Abschiebung ist also temporär ausgesetzt.

Asylbewerber erhalten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in den ersten 18 Monaten ihres Aufenthalts in Deutschland nur eingeschränkte ärztliche Leistungen. Lediglich bei akuten Schmerzzuständen und Erkrankungen müssen sie ärztlich behandelt werden.

Gaucks Warnung sieht Dobrindt als "Rede an die Nation"

Merz, wie auch andere Politiker aus der Union, verschärfen in der Flüchtlings- und Asylfrage seit geraumer Zeit wieder den Ton. Zuerst war es der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion, Thorsten Frei, der das Individualrecht auf Asyl infrage stellte. Dann kam Merz' neuer Generalsekretär Carsten Linnemann und forderte "mehr Tempo bei Abschiebungen" – dabei hat Deutschland im ersten Halbjahr 2023 bereits deutlich mehr abgelehnte Asylbewerber abgeschoben als im Vorjahreszeitraum.

Schließlich schaltete sich auch noch Alt-Bundespräsident Joachim Gauck in die Debatte ein, als er im ZDF von einem "drohenden Kontrollverlust" in der Migrationsfrage sprach und ganz nebenbei ebenfalls das geltende Asylrecht zur Disposition stellte. Gaucks Interview feierte der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe, Alexander Dobrindt, bei t-online sogleich als "Rede an die Nation".

Die herrschende Erzählung innerhalb der Union scheint stark von den Ereignissen während der sogenannten Flüchtlingskrise 2015 geprägt zu sein. Und sie wird vor allem von männlichen Stimmen geführt. Eine ähnliche Situation, wie die Aufnahme Hunderttausender Geflüchteter unter der damaligen Kanzlerschaft von Angela Merkel, dürfe sich nicht mehr wiederholen, das ist der Kern dieser Erzählung. Zumindest bei Teilen der Konservativen.

Die Migrationspolitik Merkels wird wohl als Ballast empfunden. Oder wie anders ist Jens Spahns Satz zu deuten, den er vor wenigen Tagen bei "Maybrit Illner" sagte: "Wir schaffen das nicht mehr". Klarer hätte sich der CDU-Politiker nicht von der Altkanzlerin distanzieren können. Mit ihrem Diktum "Wir schaffen das" hatte die sich 2015 vor allem noch durch ein Motiv leiten lassen: Solidarität.

Sichert und die Frau vor dem Schwimmbad

2023 scheint die Solidarität aufgebraucht zu sein. Frei, Merz, Dobrindt, Gauck, Spahn oder der FDP-General Djir-Sarai, das populistische Raunen im demokratischen Spektrum wird lauter. So beharrlich, wie aus dem politisch konservativen und zum Teil auch liberalen Lager derzeit die Warnrufe in der Migrationsdebatte ertönen, so sehr schwillt eben jene Debatte auch medial an. Dabei stützen die Zahlen den Alarmismus nicht.

Wurden im Jahr 2015 noch 411.899 Asylanträge gestellt und im Jahr 2016 sogar 722.370, waren es im vergangenen Jahr (dem ersten nach Ausbruch des Ukraine-Krieges) 217.774 und im ersten Halbjahr 2023 bislang 175.272. Zwar kann man davon ausgehen, dass die Zahl der Anträge in diesem Jahr die Zahl jener von 2022 deutlich übersteigen wird. Dennoch ist die Situation statistisch bislang nicht mit der des Jahres 2015 vergleichbar.

Woher bezieht die Debatte dann ihre Dynamik? Da ist zum einen die Situation in den Kommunen. Sie wird schon seit geraumer Zeit als prekär empfunden, viele Städte und Gemeinden fühlen sich in der Flüchtlingsfrage von der Regierung allein gelassen. Bislang wurden ihre Vertreter von der Bundespolitik aber nicht selten ignoriert.

Anti-ukrainische Narrative finden große Verbreitung

Eine Antwort könnte daher auch im Erstarken der AfD liegen. Das Narrativ vom Sozialbetrug durch Asylbewerber ist ein häufig benutzter Topos unter Rechtsextremen und auch in Teilen der rechtspopulistischen AfD weit verbreitet. Schon in der Flüchtlingsdebatte 2015 erfreute es sich am rechten Rand großer Beliebtheit. Einer, der es fleißig propagiert, ist zum Beispiel der Bundestagsabgeordnete Martin Sichert.

Am 23. September 2022 hielt Sichert im Deutschen Bundestag eine Rede, die vor allem wegen einer umstrittenen Anekdote in Erinnerung blieb. "Kürzlich traf ich im nordfriesischen Dangast eine Frau, die mit Tränen in den Augen vor dem Schwimmbad stand", begann der AfD-Parlamentarier seinen Wortbeitrag. "Diese Frau weinte, weil sie es sich finanziell schlicht nicht leisten kann, mit ihren Kindern ins Schwimmbad zu gehen, während Ukrainer kostenlosen Eintritt haben."

Wieso die Frau überhaupt vor dem Schwimmbad stand, obwohl sie sich den Eintritt doch nicht leisten konnte und ob er auch die Ukrainer getroffen hat, die kostenlos ins Bad spaziert sein sollen, erwähnte Sichert nicht. Stattdessen schlussfolgerte er: "Während ukrainische Nobelkarossen vor deutschen Zahnarztpraxen stehen und Ukrainer sich auf Kosten der deutschen Beitragszahler die Zähne richten lassen, wissen viele Deutsche nicht mehr, wie sie angesichts der gestiegenen Lebenshaltungskosten selbst ihre Grundnahrungsmittel finanzieren sollen."

Häufig tauchen die Erzählung zuerst in prorussischen Kanälen auf

Der Bundesregierung warf der AfD-Mann vor, den vor dem Krieg in ihrem Heimatland geflüchteten Ukrainern ein "kostenloses Rundum-sorglos-Paket" anzubieten, obwohl die doch allesamt "Mercedes S-Klasse" führen. Sichert bediente sich mit dieser Anekdote einer im rechten Spektrum beliebten Erzählfigur, die im Bereich der Verschwörungstheorien anzusiedeln ist. Entsprechende Videos zirkulieren in prorussischen Chatgruppen, bei Telegram und auf YouTube. Zu sehen sind darin etwa vermeintlich geflüchtete Ukrainer, die ihren Luxuswagen vor einer Arztpraxis parken. Hier wird gerade Sozialbetrug begangen, soll in den Filmchen suggeriert werden.

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In den sozialen Medien wimmelt es von "Falschmeldungen über angebliche Verbrechen oder Anschläge, die den Geflüchteten zugeschrieben wurden“, sagt Julia Smirnova vom Institute for Strategic Dialogue (ISD) bei der Deutschen Welle. Smirnova und ihre Kollegen haben in mehreren Studien gezeigt, wie der Kreml die deutsche Öffentlichkeit mit seiner anti-ukrainischen Propaganda infiltriert.

Interessant ist dabei, dass anti-ukrainische Narrative wie die des Bundestagsabgeordneten Sichert zunächst häufig in russischsprachigen Kanälen wie den Seiten des Putin-treuen TV-Senders Russia Today auftauchen. Von dort aus gelangen sie in den Messengerdienst Telegram und finden eine erhebliche Verbreitung auch in deutschsprachigen Gruppen – vor allem solchen, die der AfD nahestehen, so die Expertin für Desinformationen im Internet.

Warum eigentlich immer im September?

Auch rechtspopulistische und rechtsextreme Influencer wie Boris Reitschuster, die ehemalige Nachrichtensprecherin Eva Hermann oder der auf den Philippinen lebende Verschwörungstheoretiker Oliver Janich tragen mit ihren Accounts dazu bei, dass die Posts der Kremlpropaganda erhebliche Popularität in der deutschen Bevölkerung finden. Und mit ihnen eben auch die entsprechenden Narrative. Wladimir Putin wird es gerne hören. Die AfD natürlich auch.

Zweck dieser Narrative ist laut Experten die Polarisierung der Öffentlichkeit und die Spaltung der Gesellschaft. Ein Leitmotiv ist dabei stets die angebliche Gegensätzlichkeit zwischen der einheimischen Bevölkerung auf der einen und den Asylbewerbern auf der anderen Seite. Oder, um es mit Donald Trump zu sagen: wir gegen die. Ein imaginierter homogener Volkskörper (der Deutsche) gegen die gesichtslose, dunkle Masse Geflüchteter und Migranten, die von außen in das Land eindringt und den Etablierten vermeintlich etwas wegnehmen will.

Bei einem Teil der Bevölkerung hierzulande kommt diese dezidiert ausländerfeindliche Erzählung immer besser an. Das kann Merz in der jüngst erschienenen "Mitte"-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung nachlesen. Demnach stimmen mittlerweile 34 Prozent der Deutschen der Aussage zu, Geflüchtete kämen "nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen". Politisch lässt sich mit solchen Positionen also gut Stimmung machen. Und Friedrich Merz macht zum wiederholten Male mit.

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CDU-Chef Friedrich Merz übt erneut scharfe Kritik an der Asylpolitik der Bundesregierung. In einer Diskussionsrunde beim Fernsehsender Welt provoziert er zudem mit einer Aussage über Asylbewerber.

Diese Bundesregierung hat keine Lösung für dieses Problem. Angeblich hat der Bundeskanzler heute ein Machtwort gesprochen. Jetzt verlassen sie sich auf Europa. In Ordnung. Nur wir müssen über die – ich sage es wiederholt noch mal – wir müssen uns über die Pull-Faktoren hier in Deutschland unterhalten und da bestreitet vor allem ihre Partei, dass es überhaupt welche gibt.
Aber die gibt es, und zwar massiv. So dass die Leute in der großen Zahl hier herkommen. Und solange wir das nicht ändern. Auch die Bevölkerung, die werden doch wahnsinnig, die Leute, wenn die sehen, dass 300.000 Asylbewerber abgelehnt sind, nicht ausreisen, die vollen Leistungen bekommen, die volle Heilfürsorge bekommen. Die sitzen beim Arzt und lassen sich die Zähne neu machen und die deutschen Bürger nebendran kriegen keine Termine. Was sie hier machen, ist eine Katastrophe für dieses Land. Sorry, wenn ich Ihnen das mal so ein bisschen deutlich sage. Es geht so nicht.

Aber warum eigentlich immer im September? Es könnte daran liegen, dass der Oktober ein beliebter Termin für Wahlen ist. Im vergangenen Jahr war es die Landtagswahl in Niedersachsen. In diesem Jahr stehen im Oktober die Wahlen in Hessen und Bayern an.

Verwendete Quellen
  • bundestag.de: "Mediathek. Finanzielle Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung"
  • fes.de: "Die distanzierte Mitte. Rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in Deutschland 2022/23"
  • idsglobal.org: "Support from the Conspiracy Corner: German-Language Disinformation about the Russian Invasion of Ukraine on Telegram" (englisch)
  • dw.com: "Ukraine: Wie Flüchtlinge diffamiert werden"
  • spiegel.de: "Mordaufruf via Telegram. Onlinehetzer Oliver Janich erhält Bewährungsstrafe"
  • deutschlandfunk.de: "Migrationspolitik. FDP-Generalsekretär Djir-Sarai nennt Grünen-Koalitionspartner "Sicherheitsrisiko für das Land""
  • zeit.de: "Zahl der Abschiebungen im ersten Halbjahr deutlich gestiegen"
  • bundesgesundheitsministerium.de. "Fragen und Antworten zur medizinischen Hilfe für Ukrainerinnen und Ukrainer"
  • taz.de: "Rhetorik der Rechten. Brabbelbrabbel HeimatNation brabbel"
  • bundestag.de: "Mediathek. Reden. Schutz der Bevölkerung vor Covid-19"
  • youtube.com: "Moment Magazin. Ukraine-Flüchtling im Luxusauto? Natascha Strobl analysiert"
  • dserver.bundestag.de: "Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Clara Bünger, Nicole Gohlke, Anke Domscheit-Berg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 20/7833"
  • tagesspiegel.de. "Linnemann teilt in Asyldebatte gegen Faeser aus: "Dieses Land ist nicht in der Lage, so viele zu versorgen""
  • merkur.de: "Obergrenze für Geflüchtete: Faeser lehnt Söder-Vorschlag ab"
  • bzaek.de: "Zahnärztliche Behandlung von Asylbewerbern"
  • bpb.de: "Asylanträge in Deutschland"
  • tagesspiegel.de: ""Das ist nicht genug": Melnyk fordert das Zehnfache an Militärhilfe"
  • taz.de: "Ausreisepflichtige in Deutschland:Zahl der Abschiebungen steigt"
  • tagesschau.de: "Geflüchtete aus der Ukraine. Merz beklagt "Sozialtourismus""
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