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Europawahl: AfD-Spitze gibt Hochstaplern Freifahrtschein – Basis tobt


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Die Basis tobt
AfD-Spitze gibt Hochstaplern Freifahrtschein


Aktualisiert am 19.09.2023Lesedauer: 5 Min.
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Tino Chrupalla, Maximilian Krah, Alice Weidel: Die Parteispitze der AfD steht unter Druck. (Quelle: IMAGO/Frank Hoermann/SVEN SIMON)
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Die Basis fordert Klarheit in der Hochstapler-Affäre. Der AfD-Bundesvorstand aber beschließt am Montagabend: nichts. Das könnte für Tumulte in der Partei sorgen.

Streng geheim – diese Regel galt am Montagabend für die Sitzung des AfD-Bundesvorstands. Die Teilnehmer mussten an der Tür ihre Handys abgeben, ihre Mitarbeiter durften nicht an der Sitzung teilnehmen, die Sitzung wurde nicht protokolliert.

Schon das zeigte an: Was besprochen wird, ist hochbrisant – und wie genau darüber gesprochen wird, das soll lieber unter Verschluss bleiben.

Die Parteispitze hatte für das außergewöhnliche Vorgehen ihre Gründe. Denn Diskussionsthema war die Hochstapler-Affäre in der AfD – und welche Konsequenzen der Bundesvorstand daraus nun ziehen will.

Die Basis macht seit Wochen Druck, ihre Kritik gerade auch an der Parteispitze ist groß. Sie protestiert in Chatgruppen und Parteigremien gegen geschönte Lebensläufe von Europawahl-Kandidaten, gegen Filz und Vetternwirtschaft in der Partei, die sich selbst so gern zum Kämpfer gegen solche Zustände in der Politik erklärt. Im Fokus stehen dabei mit Alice Weidel, Maximilian Krah und Dennis Hohloch auch drei Mitglieder des Bundesvorstands.

Nach vierstündiger Beratung am Montagabend steht dann die Entscheidung der AfD-Spitze: Obwohl die Basis protestiert und obwohl auch eine in Auftrag gegebene Prüfung die Vorwürfe gegen zwei Europawahl-Kandidaten nicht ausräumen konnte, wird sie keine Konsequenzen ziehen. Geht es nach der AfD-Spitze, lässt man einen erwiesenen Hochstapler und eine der Falschangaben verdächtigen Kandidatin also in das EU-Parlament einziehen.

Zwei Hochstapler-Kandidaten und eine laxe Prüfung

Auslöser der Hochstapler-Affäre sind Falschangaben von AfD-Kandidaten bei ihrer Bewerbung für die Europawahl 2024. Wie t-online enthüllte, machte Arno Bausemer (Listenplatz 10) gleich mehrere Falschangaben in seiner Bewerbung. Dort gab er unter anderem eine Berufsausbildung an, über die er nicht verfügt, und eine Geschäftsführertätigkeit, die er nie ausübte.

Gegen Mary Khan-Hohloch (Listenplatz 14) erhoben Parteikollegen Vorwürfe, sie habe in Bezug auf ihr Studium und ihre Berufserfahrung außerhalb der Politik nicht die Wahrheit gesagt und die Delegierten in Magdeburg "arglistig" getäuscht. Sie hatte in ihrer Bewerbungsrede angegeben, ein Studium der "Religionswissenschaften und Öffentliches Recht mit Schwerpunkt Europarecht" absolviert und vier Jahre außerhalb der Politik gearbeitet zu haben.

Nach immer neuen Veröffentlichungen und massivem Druck von der Basis ordnete der Bundesvorstand am 21. August eine Prüfung aller 35 Europawahl-Kandidaten an. Schon die stand wegen Laxheit in der Kritik: So ließ der Bundesvorstand weder die Angaben der Bewerber im Internet noch ihre Angaben in Magdeburg zur Berufserfahrung außerhalb der Politik prüfen – mögliche Schlupflöcher für die Kandidaten Bausemer und Khan-Hohloch. Einige ihrer in Zweifel stehenden Angaben wurden so gar nicht unter die Lupe genommen.

Stattdessen wurden Vertrauensleute eingesetzt, ihnen sollten die 35 Kandidaten bis zum 11. September Belege für Studien- und Berufsabschluss liefern. An diesem Montagabend ließ sich der Bundesvorstand dann von den Vertrauensleuten über das Ergebnis der Prüfung unterrichten. Und das Ergebnis fiel schlecht aus für Bausemer und Khan-Hohloch.

Der Verdacht wird erhärtet – die Parteispitze tut nichts

Zwar legten nach Informationen von t-online beide Kandidaten Dokumente bei den Vertrauensleuten vor – allerdings keine, die ihre Angaben vollumfänglich belegen konnten. Khan-Hohloch konnte demnach kein offizielles Abschlusszeugnis für ihr Studium mit Datum vor der Versammlung in Magdeburg nachweisen. Bausemer konnte laut Nachrichtenagentur AFP keinen Berufsabschluss belegen.

Die Prüfung also räumte den Verdacht nicht aus der Welt, sondern bestärkte ihn noch. Dennoch kam der Vorstand nach stundenlangen Diskussionen überein: Bausemer und Khan-Hohloch sollen Kandidaten für die EU-Wahl bleiben, die bereits gesetzte Liste bleibt unangetastet. Die Parteispitze tut erst einmal nichts.

Wie kann das sein?

Hauptgrund dafür, so wurde nach der Sitzung aus Vorstandskreisen kolportiert, sei, dass man beim Streichen eines Kandidaten, bei jeder geringfügigen Änderung an der Liste, eine neue Aufstellungsversammlung abhalten müsste. Es wäre eine Schmach für die Partei, die sie noch dazu viel Geld kostet: Fünf Tage hatte die AfD in Magdeburg gebraucht, um 35 Kandidaten aufzustellen. 600 Delegierte aus ganz Deutschland reisten an.

Die Einschätzung des Bundesvorstands ist korrekt: Wie die Bundeswahlleitung auf Anfrage von t-online erklärte, sind Streichungen von Kandidaten und Änderungen am Wahlvorschlag der Parteien zwar möglich. Bis zum 83. Tag vor der Wahl allerdings "muss ein neues Aufstellungsverfahren durchgeführt werden", teilte die Wahlleitung mit.

Drei Mitglieder des Vorstands sind in die Affäre verflochten

Aus Sicht von parteiinternen Kritikern allerdings spielen noch andere Faktoren für den laschen Nicht-Beschluss von Montagabend eine Rolle. Denn drei Mitglieder des Bundesvorstands sind eng in die Hochstapler-Affäre verflochten.

Die offensichtlichste Verbindung: Dennis Hohloch, Schriftführer im Bundesvorstand, ist mit Mary Khan-Hohloch verheiratet. Er war einer der Strippenzieher für die Kandidatenliste, die in Magdeburg hinter den Kulissen detailliert vorabgestimmt wurde. Ohne sein Zutun, so die Kritik, hätte es Khan-Hohloch nie auf den begehrten 14. Platz geschafft.

Außerdem steht Parteichefin Alice Weidel in der Kritik, weil sie ihre schützende Hand über Khan-Hohloch hält. Schon in Magdeburg stand der Verdacht von Falschangaben im Raum und wurde ein Antrag auf Abwahl von Khan-Hohloch gestellt. Weidel intervenierte auf der Versammlung zugunsten der ihr nahestehenden Kandidatin mit einem kurzen, scharfen Redebeitrag – und soll von ihrer Unterstützung bisher nicht abgelassen haben.

Der Vorstandssitzung am Montagabend blieb Weidel trotz der Brisanz des Themas fern – sie ist zurzeit in Österreich, tritt dort mit den Spitzen der AfD-Partnerpartei FPÖ auf. Auch das gibt ihren Kritikern Futter. Weidel ziehe Strippen für Khan-Hohloch im Hintergrund, mache sich aber im entscheidenden Moment nicht die Finger dreckig, heißt es.

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Auch über Bausemer wachte ein Mitglied des Bundesvorstands: Wie t-online berichtete, schrieb AfD-Spitzenkandidat Maximilian Krah Bausemers Ex-Lebensgefährtin Bianca Wolter, die in der Partei bekannt ist. Sie hatte Berichte von t-online über Bausemers Lebenslauf-Schwindel in den sozialen Medien geteilt. Obwohl sie das ohne eigene Kommentierung tat, sorgte das offenbar für Aufmerksamkeit in der Partei.

In seinen Nachrichten drang Krah darauf, dass Wolter die Füße stillhalten solle. "Niemand braucht jetzt weiteren Stress." Krah stellte Wolter außerdem Vergünstigungen und EU-Gelder bei einem Einzug von Bausemer ins EU-Parlament in Aussicht, die es gar nicht gibt.

"Kriegserklärung" gegen die Basis

Ob der Nicht-Beschluss der Parteispitze taugt, die Basis zufriedenzustellen wird, darf bereits am Montagabend bezweifelt werden. Die Chat- und Facebook-Gruppen der Partei sind voll mit Nachrichten zur geheimen Sitzung des Bundesvorstands.

"Schande", "übel" und "gieriger Abschaum" heißt es da. Gefordert wird, dass Weidel und Krah sich erklären – oder gleich der gesamte Bundesvorstand zurücktreten soll.

Das Vorgehen des Bundesvorstands ist für die Basis, wo man noch an die von der AfD kolportierten Werte zu glauben scheint, nicht weniger als eine "innerparteiliche Kriegserklärung", wie es ein AfD-Anhänger zusammenfasst.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Mit Informationen der Nachrichtenagentur AFP
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