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Freie Wähler: So wird eine Mehrheit ohne AfD möglich


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Freie Wähler im Höhenrausch
Aus Aiwangers Welle ist ein Tsunami geworden

MeinungEine Kolumne von Christoph Schwennicke

Aktualisiert am 19.09.2023Lesedauer: 3 Min.
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Kommende Koalitionäre? Unionsfraktionschef Friedrich Merz (l.) mit Hubert Aiwanger (Mitte) von den Freien Wählern und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder bei einem Besuch des Atomkraftwerks Isar 2. (Quelle: IMAGO/Frank Hoermann / SVEN SIMON/imago-images-bilder)
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Nach der Abstimmung der CDU in Thüringen mit der AfD diskutiert Deutschland: Ist das der Vorbote einer bundesweiten Zusammenarbeit, gar einer Koalition? Dabei tut sich für die Union gerade eine andere Aussicht auf.

Die Sechs ist für Bayern eine Schlüsselzahl. Durch sechs teilt man nach dem sogenannten Königsteiner Schlüssel, um herauszubekommen, wie viel Geld der Freistaat abdrücken muss, wenn der Bund Kosten unter den Ländern verteilt.

Durch sechs teilen muss man auch die erreichten Prozente der Parteien bei der Landtagswahl, um zu sehen, was das Wahlergebnis auf den Bund bezogen bedeutet. Früher, als die CSU noch absolute Mehrheiten holte, hielt diese Rechnung immer dann dafür her, dass die Christsozialen krachledern ihre Hosenträger spannten und den Unionsleuten in Berlin vorrechneten, dass deren Wahlergebnis ohne den Bayernsockel ganz schön mickrig aussähe.

Lange her. Die CSU muss längst koalieren, aber die magische Sechs ist immer noch gültig. Wendet man sie auf die derzeit in einem Höhenrausch befindlichen Freien Wähler in Bayern an, dann bedeuten deren derzeitige 17 bis 18 Prozent in den Umfragen fast drei Prozent im Bund – alleine aus Bayern. Schlagartig verdoppelt haben sich die Freien Wähler auch in aktuellen Umfragen zur Bundestagswahl. Sie liegen dort derzeit zwischen zwei und drei Prozent. Tendenz steigend.

Aus der Welle wurde ein Tsunami

Diese Welle, auf der die Partei des Hubert Aiwanger mehr denn je reitet, versprach die "Süddeutsche Zeitung" mit ihrer Enthüllung über ein widerwärtiges Hetzblatt im Schulranzen des Pennälers Aiwanger in pompösem Ton jäh zu brechen. Doch schon das und alles Folgende (bei gleichzeitig hanebüchenem Handling Aiwangers) geriet in den Augen vieler Menschen jenseits der politisch-publizistischen Blase etwas außer Dimension. Weshalb aus der Welle für die Freien Wähler nun ein Tsunami geworden ist.

Drei Prozent, das ist, zwei Jahre vor der Bundestagswahl, nicht so weit weg von den fünf Prozent, bei denen sich die Tür zum Bundestag öffnet. Alle dort derzeit sitzenden Parteien dürfen sich darauf vorbereiten, dass ihnen aus Bayern heraus ein ernst zu nehmender Konkurrent erwächst. Denn die zwei Prozent obendrauf sind bei strategischem Geschick im derzeitigen politischen Klima des Landes in realistischer Reichweite.

Geht das auf die Geschichte zurück, also den Umstand, dass Teile der Pfalz einmal zu Bayern gehörten? Jedenfalls sitzen auch in Rheinland-Pfalz die Freien Wähler bereits im Landtag, und selbst wenn diese Partei innerhalb ihrer Landesverbände ein ziemlich disparater Haufen ist, selbst wenn ihr Bundesvorsitzender wegen seiner schwerst niederbayrischen Mundart spätestens oberhalb der Donau mit Untertiteln im TV gezeigt werden muss: Niemand unterschätze die einigende Kraft der Aussicht auf Erfolg, und niemand unterschätze, dass auch in Kiel und auf Rügen Menschen richtig finden, was Hubert Aiwanger sagt, selbst wenn sie akustisch bestenfalls die Hälfte verstehen.

Fluch und Segen zugleich

Die Aussicht auf die Freien Wähler im nächsten Bundestag ist für die Union Fluch und Segen zugleich, am Ende aber mehr Segen. Fluch, weil schon in Bayern deren Wählerschaft Fleisch vom Fleische der CSU ist. Das wäre im gesamten Bundesgebiet zwar nicht ganz so, aber teilweise auch. Segen, weil sich eine Koalitionsoption eröffnete, die sich jenseits der toxischen AfD abspielt. Bislang ist die Union wie in einem Schraubstock eingeklemmt, ohne jede Bewegungsfreiheit. Die AfD verbietet sich. Mit der FDP reicht es nicht. Die Grünen will die eine Hälfte ihrer Mitglieder und Wählerschaft nicht; die andere, nennen wir sie die Merkel-Polenz-Fraktion, umso sehnlicher.

Die Freien Wähler könnten diesen Schraubstock lösen. Es ist eine Partei, die nicht wie die AfD vom Verfassungsschutz in immer größeren Teilen als rechtsextrem eingestuft wird. Und das widerlich antisemitische und menschenverachtende Flugblatt in Schulbub Aiwangers Schulranzen hat auch nicht die Dimension eines zu Amtszeiten offen rechtsradikalen Björn Höcke und einer Parteichefin Alice Weidel, die Höcke rühmt und die Niederlage von Nazi-Deutschland im Zweiten Weltkrieg bedauert.

Bislang blieb der Union nur, sich auf eine Große Koalition, vielleicht auf Schwarz-Grün vorzubereiten. Mit den Freien Wählern und der in der Ampel ziemlich verloren und einsam wirkenden FDP tut sich plötzlich die Chance auf ein bürgerliches Bündnis auf, ohne dass die politische Konkurrenz den AfD-Totschläger rausholen kann.

Wahlstrategen in der Parteizentrale müssten dieser Tage zum ersten Mal seit langer Zeit wieder frohgemuter zur Arbeit ins Adenauer-Haus gehen.

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