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Meseberg | Ampel im Dauerstreit: Zum Weiterregieren verdammt


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Dauerkrise der Ampel
Der Absturz ins Bodenlose

MeinungEine Kolumne von Christoph Schwennicke

Aktualisiert am 29.08.2023Lesedauer: 4 Min.
Die Koalition tagt in Schloss Meseberg: Christian Lindner, Annalena Baerbock, Hubertus Heil (erste Reihe v. l.), Robert Habeck, Steffi Lemke und Marco Buschmann.Vergrößern des Bildes
Die Koalition tagt in Schloss Meseberg: Christian Lindner, Annalena Baerbock, Hubertus Heil (erste Reihe v. l.), Robert Habeck, Steffi Lemke und Marco Buschmann. (Quelle: Chris Emil Janssen)

Die Ampel tagt in Schloss Meseberg und sucht nach Lösungen für ihre vielen Konflikte. Diese gehen vor allem zulasten einer Partei, deren Lage ausweglos ist.

Es gibt Leute, auf deren Urteil man etwas gibt, auf deren Kritik auch. Bei mir zählt Uwe Vorkötter zu dieser Gruppe. Der frühere Chefredakteur der "Stuttgarter Zeitung", der "Berliner Zeitung" und der "Frankfurter Rundschau" reagierte vergangene Woche mit Unverständnis bis Entsetzen auf meine Kolumne, in der ich angesichts des Desasters der Ampel und wegen der Unvereinbarkeit von Liberalen und Grünen für einen Regierungswechsel aus vollem Lauf und eine sofortige Große Koalition plädiert habe.

"Eine GroKo unter Scholz?", fragte Vorkötter bei LinkedIn. Und fügte hinzu: "OMG". Auf Deutsch: Um Gottes willen! Wie wär's, fuhr der politikerfahrene Kollege fort, "wenn die Liberalen demnächst das Weite suchten? Ein Kubicki-Papier mit unerfüllbaren wirtschaftspolitischen Forderungen – wie einst bei Lambsdorff? Könnte den Weg zu Neuwahlen freimachen. Und die FDP vor dem Absturz ins Bodenlose schützen."

Okay. Halten wir erstens fest: Vorkötter stimmt zu, dass es so nicht mehr weitergehen kann. Will aber keinen Olaf Scholz mehr als Regierungschef, dem er nicht ohne Grund offenbar eine Mitschuld bis Hauptverantwortung für die Misere in der Ampel zuspricht.

Und: okay, denken wir zweitens seinen Gedanken konsequent zu Ende.

Die FDP ist die Partei, die sich in dieser Koalition am meisten fehl am Platze fühlt und vom Kanzler im Zweifel im Stich gelassen wird gegenüber den Grünen, bei jedem Streit zwischen Grün und Gelb aufs Neue. Und das, obwohl Christian Lindner und seine Parteifreunde nicht zu Unrecht das Gefühl haben, dass Scholz eigentlich mehr ihren Positionen zuneigt.

Das stimmt zwar, bringt ihnen aber keinen Pfifferling, weil die SPD wiederum in ihrer Mehrheit Richtung Grün tendiert und Scholz das nicht ausblenden kann. Deshalb eiert der Kanzler und lässt die FDP wider eigene Überzeugung aus deren Sicht alleine. Was die FDP dann jeweils wie die Opposition in der Regierung aussehen lässt und obendrein ihre eigene Klientel enttäuscht, weil sie den Kürzesten zieht in dieser Koalition. Das ist mit dem Absturz ins Bodenlose gemeint.

Eine ähnliche Situation wie 1982

Die Anspielung auf das Lambsdorff-Papier bezieht sich auf eine ähnliche Situation wie 1982. Auch damals fühlten sich die Liberalen (in einem Zweierbündnis) mit der SPD unter einem Kanzler Helmut Schmidt nicht mehr wohl. Auch damals waren, wie jetzt, die Wirtschaftspolitik und die damit zusammenhängende Haushaltspolitik der Knackpunkt.

Daher schrieb der damalige Wirtschaftsminister und FDP-Parteichef Otto Graf Lambsdorff ein wirtschaftspolitisches Thesenpapier, das zur Scheidungsurkunde der sozialliberalen Koalition wurde. Über ein konstruktives Misstrauensvotum liefen die Liberalen in der laufenden Legislaturperiode zur Union über und stiegen in ein Kabinett unter Helmut Kohl ein. Der leitete über eine fingierte und verlorene Vertrauensfrage vorgezogene Neuwahlen ein, die Schwarz-Gelb durch ein Wählervotum bestätigte.

Kolumnist Christoph Schwennicke
Kolumnist Christoph Schwennicke (Quelle: Antje Berghäuser)

Christoph Schwennicke

ist Geschäftsführer der Verwertungsgesellschaft Corint Media. Er arbeitet seit mehr als 25 Jahren als politischer Journalist, unter anderem für die "Süddeutsche Zeitung" und den "Spiegel". Zuletzt war er Chefredakteur und Verleger des Politmagazins "Cicero". Ab 1. September wird er Mitglied der Chefredaktion von t-online und übernimmt die Leitung des Exklusivbereichs. Hierzu gehören das Hauptstadtbüro, die investigative Recherche, das Büro in Washington und Zeitgeschichte.

Soweit zu Vorkötters Vorlage. Jetzt zu den Punkten, an denen die Parallelen jäh enden und dieser Plan deshalb nicht aufgehen kann. Punkt eins: Beim Wechsel hin zur Union reichte es prozentual im Anschluss an das verlorene Misstrauensvotum von Schmidt sofort für eine neue Regierung aus Union und FDP. Das wäre jetzt nicht der Fall. Man müsste sich irgendwie und unmittelbar mit einer Vertrauensfrage zu vorgezogenen Neuwahlen hangeln.

Punkt zwei: Selbst unter den Umständen damals ginge die FDP bei diesem fliegenden Wechsel ein hohes Risiko ein. Wie valide die Gründe auch immer sein mögen: Der Verräter, in dem Fall der Aufkündiger einer Koalition, wird vom Wähler bestraft. Das war seinerzeit auch so, als die Liberalen nach dem Regierungswechsel in den Umfragen teilweise unter drei Prozent rutschten – bei weniger Konkurrenz an Parteien. Sie konnten nur mit Helmut Kohl weiterregieren nach 1983, weil sie sich in der Wählergunst bis dahin wieder berappelt hatten.

 
 
 
 
 
 
 

Sie liefen Gefahr, Schwarz-Grün herbeizuführen

Diesmal stünde die Stunde der Wahrheit bei Neuwahlen unmittelbar an – und ob die FDP dann als Helden dastünden und mit einem guten Ergebnis belohnt würden, ist mindestens offen. Ganz davon abgesehen, dass sie Gefahr liefen, Schwarz-Grün herbeizuführen, oder sich in einer Jamaika-Koalition abermals an der Seite der ungeliebten Grünen zu finden.

Allein das schon verbietet und verbaut der FDP den Weg von 1982. Dazu kommt, dass Parteichef Christian Lindner den dafür nötigen Joker schon eingesetzt hat, als er (Zitat: "Lieber nicht regieren, als falsch regieren“), nach den vorletzten Bundestagswahlen Jamaika bleiben ließ. Ein zweites Mal kann man diesen Schachzug politisch nicht bringen.

Was die FDP aus der Situation Anfang der Achtzigerjahre allerdings hätte lernen können: Sie hätte sich wie damals das Wirtschaftsministerium sichern müssen, dann gäbe es viele der Konflikte mit den Grünen und in Person mit Wirtschaftsminister Robert Habeck nicht.

Das ist aber Abteilung "hätte-hätte-Fahrradkette". Jetzt ist es, wie es ist. Und die FDP weiter bis zum regulären Wahltermin in zwei Jahren zum Dasein im Serail der Ampel verdammt. Jedenfalls kann sie es sich nicht leisten, aktiv einen Regierungswechsel herbeizuführen, ohne schwersten Schaden zu nehmen. Habe ich etwas übersehen, lieber Uwe Vorkötter?

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