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Ampelkoalition: "Die Nerven liegen hier scheinbar blank"


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Ampelkoalition
Dann platzt die Hutschnur


08.07.2023Lesedauer: 5 Min.
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Robert Habeck: Wird's nach der Sommerpause besser für die Ampel? (Quelle: IMAGO/Thomas Trutschel)
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Der Berliner Politbetrieb geht in die Sommerpause. Doch die letzte Woche der Ampel im Bundestag war so verkorkst, dass manche kaum noch Hoffnung auf einen ruhigeren Herbst haben.

Es ist die letzte Sitzung des Bundestages vor der Sommerpause, doch die gute Laune ist längst baden gegangen. Die Union will am Freitagmorgen über das Heizungsgesetz reden. Es wird peinlich für die Ampelregierung. Das Bundesverfassungsgericht hat gerade entschieden, dass sie das Gesetz diese Woche nicht beschließen darf. Zu wenig Zeit zur Beratung. Und das nach monatelangem, quälendem Streit.

Nur wo ist Robert Habeck?

Der zuständige Klimaminister sitzt nicht auf der Regierungsbank. Die Union will ihn aber unbedingt dabeihaben, will ihn per Abstimmung herbeizitieren. Die Grünen argumentieren, Habeck müsse im Bundesrat eine Rede halten. Kann halt gerade nicht. Die Union überzeugt das nicht, AfD und Linke auch nicht. Also kommt es zur Abstimmung.

Weil nicht klar wird, ob mehr Hände für oder gegen Habeck hochgehen, muss sogar ein Hammelsprung her. Alle müssen sich erheben, den Saal verlassen und durch die Ja-, die Nein- oder die Enthaltungs-Tür wieder betreten. Eine halbe Stunde wird das dauern.

Video | Union will Habeck ins Parlament zitieren – Eklat bei Abstimmung
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Quelle: t-online

Dem SPD-Politiker Michael Schrodi platzt schon lange vorher die Hutschnur. Er geht nach vorne, redet aufgebracht auf das Präsidium ein. Einen "solchen Popanz gemeinsam mit den Faschisten" aufzuführen, ruft er dem CDU-Chef Friedrich Merz zu, beschädige die Demokratie. So schildern es Schrodi und die Union t-online.

Eine halbe Stunde später zahlt Schrodi den Preis für seinen Ausbruch. 1.000 Euro Ordnungsgeld brummt ihm Parteifreundin und Bundestagspräsidentin Bärbel Bas auf. "Die Nerven liegen hier scheinbar blank kurz vor der Sommerpause." Kann man wohl sagen.

Dabei hatte sich die Ampelkoalition einiges vorgenommen für die letzte Bundestagswoche. Positive Nachrichten wollte sie ausnahmsweise produzieren, noch mal viele Gesetze beschließen und das Gemeinsame betonen nach all der Zwietracht. Um nach der Sommerpause neu durchzustarten.

War wohl nichts. Nun fürchtet mancher Koalitionär, dass es mit dem Streit die nächsten Wochen einfach so weitergeht. Und die Koalition noch gerupfter aus dem Urlaub kommt.

Viele Erfolge, noch mehr Streit

Wer in diesen Tagen mit Ampelkoalitionären spricht, hört immer wieder eine ähnliche seufzende Klage: Eigentlich schaffe man ja gemeinsam sehr viel. Nur überlagere der ewige Streit in der Öffentlichkeit dummerweise alles.

Das ist nicht ganz falsch, tatsächlich hat die Regierung über hundert Gesetze beschlossen. Sie hat eine Wirtschaftskrise abgewendet, im Winter die Wohnzimmer warm gehalten und nebenbei die deutsche Verteidigungspolitik in die Realität eines Krieges in Europa geführt.

Doch es hakt eben auch immer wieder gewaltig. Und zwar nicht nur bei Details, sondern auch bei Wichtigem, Grundsätzlichem. Die verkorkste letzte Sitzungswoche der Ampel ist dafür ein gutes Beispiel.

Niemand wollte es gewesen sein

Dass es nichts werden würde mit der großen Harmonieshow, wurde den Beteiligten schon zu Beginn der Woche klar. Das Elterngeld bestimmte plötzlich die Schlagzeilen, weil im Haushaltsentwurf steht, dass es künftig nur noch an Paare mit einem zu versteuernden Jahreseinkommen von bis zu 150.000 Euro ausgezahlt werden soll. Bislang waren 300.000 Euro die Obergrenze.

Nicht schön, aber bei dem Spardruck eine Lösung, die Betroffene verkraften können, hätte man als Regierung nun argumentieren können. Hätte man. Zwischen FDP und Grünen entbrannte stattdessen ein Wettbewerb darum, wer mit all dem am wenigsten zu tun hat.

Die zuständige Familienministerin der Grünen, Lisa Paus, schob Finanzminister Lindner von der FDP die Schuld zu. Der habe Einsparungen beim Elterngeld eingefordert. Lindner revanchierte sich und empfahl der "zuständigen Kollegin", ihren "Konsolidierungsbeitrag in anderer Weise" zu erbringen, wenn sie selbst nicht überzeugt sei. Auf Twitter sprangen den beiden jeweils reihenweise Grüne und Liberale bei und veröffentlichten interne Briefe, um zu belegen, wie unschuldig man selbst doch sei.

Niemand schien mehr Verantwortung dafür tragen zu wollen, was die Regierung sich da zusammenregiert. Es war ein verblüffendes Tohuwabohu. Und eines, das mal wieder andere wichtige Gesetze überlagerte, die die Ampel diese Woche durch den Bundestag bekam. Etwa die neue Verbandsklage, die Rechte von Verbrauchern stärkt. Oder die Reform des Wettbewerbsrechts, die das Kartellamt für den Kampf gegen Preisabsprachen und Zufallsgewinne rüstet.

Dumm gelaufen.

Der "Heizhammer" aus Karlsruhe

Spätestens am Mittwochabend war dann klar, dass diese Woche definitiv keine versöhnliche mehr für die Ampel werden würde. Das Bundesverfassungsgericht stellte um kurz vor 22 Uhr per Pressemitteilung aus Karlsruhe ihren ganz eigenen "Heizhammer" zu: Das Heizungsgesetz wird vor der Sommerpause nicht mehr beschlossen.

Die Idee einer Sondersitzung in der Sommerpause verwirft die Koalition, vor allem die FDP ist dagegen. Nun soll das Gesetz in der ersten Septemberwoche beschlossen werden. Bei der FDP ist die Freude über den vorübergehenden Stopp des ungeliebten Projektes groß, was die Grünen einmal mehr verstört.

Auch deshalb bleibt bei manchem Koalitionär die Skepsis, ob der Streit in der nachrichtenarmen Sommerzeit nicht doch noch einmal aufbricht. Die Fraktionsspitzen von Grünen und FDP betonen zwar, dass das Gesetz inhaltlich nicht mehr verändert werden solle. So ist es auch in einer gemeinsamen Erklärung der Ampel schriftlich festgehalten.

Doch bei Grünen wachsen seit Wochen die Zweifel, ob der Fraktionschef Christian Dürr seine FDP-Abgeordneten noch im Griff hat. Und auf Papier wurde in der Geschichte des Heizungsstreits schon vieles festgehalten, was später nichts mehr wert war.

Und dann auch noch der Haushalt

Ein wiederbelebter Streit um die Heizungen aber ist nicht einmal die einzige Sorge der Ampel. Um den Haushalt droht eher noch größerer Zoff. FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner konnte am Mittwoch zwar endlich einen Kabinettsentwurf präsentieren. Doch jede einzelne Einsparung, die er enthält, tut irgendwem weh. Siehe Elterngeld.

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Welche anderen Zumutungen der Entwurf für wen noch enthält, dürfte erst in den nächsten Tagen und Wochen nach und nach bekannt werden. Ohne Streit und Schuldzuweisungen, so glaubt mancher in der Ampel, wird das dann auch in der Sommerpause nicht ablaufen.

Dafür waren schon die Verhandlungen in den vergangenen Monaten zu kompliziert. Lindner musste irgendwann mit Olaf Scholz Einzelgespräche mit den verschiedenen Bundesministern führen. Jedes Mal ging es um die Frage: Wie viel Geld muss wirklich sein?

Die FDP will die Schuldenbremse unbedingt einhalten. Die Grünen sehen das Land dermaßen in die Krise gerutscht, dass man dagegen nicht ansparen könne, wie es heißt. Sie wollen eher mehr Geld investieren als weniger.

Dieser Grundkonflikt wird sich über den Sommer nicht in warme Luft auflösen. Im Gegenteil: Weil im Herbst die Haushälter im Bundestag dran sind und den Kabinettsentwurf noch einmal verändern werden, dürften sich nun alle mit ihren Herzensprojekten in Stellung bringen wollen. Natürlich auch im Bundestag mit jeweils ganz verschiedenen Prioritäten bei den Abgeordneten von SPD, Grünen und FDP. Wie sollte es auch anders sein.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen und Beobachtungen
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