Werbeverbot für Lebensmittel Der nächste Schlag für die Grünen
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ernährungsminister Cem Özdemir wollte Werbung für ungesunde Lebensmittel, die sich an Kinder richtet, verbieten. Die FDP aber protestierte laut gegen seinen Gesetzentwurf – nun lenkt der Grüne ein.
"Grün ist die Hoffnung" lautet ein Sprichwort. In der Regierungskoalition zwischen SPD, Grünen und FDP allerdings droht Grün gerade zum Symbol für ein anderes Gefühl zu werden: Enttäuschung.
Ob beim Ausbau des Autobahnnetzes, der Abkehr von festen Klimazielen für den Verkehrssektor oder dem Heizungsgesetz – die Grünen mussten in den vergangenen Wochen herbe Schlappen einstecken, die Basis und Wähler frustrierten. Immer wieder zogen ihre Minister am Verhandlungstisch den Kürzeren, als Sieger ging statt ihrer die FDP aus dem Raum.
Die Nerven liegen deswegen bei so manchen Grünen blank, kommt das Gespräch auf den liberalen Koalitionspartner. Von Populismus ist dann lautstark die Rede, von Kampagnen der FDP mit der "Bild"-Zeitung, gezielt gerichtet gegen die Ökopartei. Die FDP hingegen sieht sich als Korrektiv: Die Grünen schössen zu oft über das Ziel hinaus mit den von ihnen erarbeiteten Vorhaben, heißt es bei ihnen.
Die Stimmung wird sich auch kurz vor der Sommerpause nicht bessern, denn den Grünen steht die nächste Schlappe ins Haus – und das bei einem gerade für sie wichtigen Thema: beim Gesetz für ein Verbot von Werbung für ungesunde Lebensmittel, die sich an Kinder richtet.
Özdemir rudert zurück
Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) hat den anderen sechs beteiligten Ministerien bereits im März dazu einen Gesetzesentwurf vorgelegt. Seither macht das Werbeverbot immer wieder Schlagzeilen, werden Zwischenstände an die Presse durchgestochen und protestiert vor allem die FDP öffentlich gegen Özdemirs Pläne.
Jetzt rudert Özdemir zurück und entschärft den Gesetzentwurf maßgeblich. "Wir haben Anregungen und Kritik einfließen lassen und unseren Entwurf entsprechend präzisiert", sagte Özdemir der "Rheinischen Post" am Samstag. Das offensichtliche Ziel: die FDP besänftigen und doch noch zum Einlenken am Verhandlungstisch bewegen.
Die Eingeständnisse, die Özdemirs Ministerium dabei macht, sind groß. Frühere Entwürfe, die t-online vorliegen, sahen ein Werbeverbot für Lebensmittel mit zu hohem Fett-, Zucker- und Salzgehalt im Fernsehen in der Zeit von 6 bis 23 Uhr vor. Und das nicht bloß für Sender und in TV-Shows, die sich explizit an Kinder richten, sondern auch auf Kanälen, die von Kindern gesehen werden – also potenziell allen Sendern. Im Radio sollte solche Werbung insgesamt tabu sein. Auch im Umkreis von 100 Metern von Schulen, Kindergärten, aber auch Spielplätzen und Kinder-Freizeiteinrichtungen sollte es keine Außenwerbung für solche Produkte mehr geben.
Außerdem wollte das Ministerium auf Basis von WHO-Empfehlungen Grenzwerte festlegen, ab wann ein Lebensmittel als ungesund gelten und Werbung dafür unter das Gesetz fallen sollte. Dabei listete es nicht bloß Schokolade, Zuckerwaren, Müsliriegel, Cerealien, Eis und Saucen auf, sondern auch Milchprodukte, Joghurt, Käse und Quark.
Letzteres stieß nicht nur bei der Lebensmittelindustrie, der Werbebranche und der FDP auf besonderes Unverständnis, sondern auch bei Boulevardblättern. "Jetzt soll sogar Naturjoghurt ungesund sein", titelte die "Bild". Das Gegenargument dazu lautete: Grenzwerte seien Grenzwerte – auch Milch und Joghurt enthielten eben viel Fett, in einigen Fällen zu viel Fett.
Streitpunkt: Joghurt
Nicht nur von dieser Überzeugung aber rückt Özdemir nun ab. Der nun überarbeitete Entwurf wird laut Özdemir in allen genannten Punkten Änderungen vorsehen. Und zwar zugunsten der FDP und der protestierenden Lebensmittelbranche.
Rund um Spielplätze und Freizeiteinrichtungen für Kinder soll Werbung für ungesunde Lebensmittel nun erlaubt bleiben – nur rund um Schulen und Kindergärten soll sie im 100-Meter-Radius verboten werden. Im TV soll das Werbeverbot nicht mehr von 6 bis 23 Uhr gelten, wie ursprünglich geplant, sondern werktags nur noch von 17 bis 22 Uhr, samstags von 8 bis 11 sowie 17 bis 22 Uhr und an Sonntagen von 8 bis 22 Uhr.
Und: Für Milch, Fruchtsäfte und ungesüßten Joghurt sollen die Grenzwerte und damit das Werbeverbot nun gar nicht mehr gelten. Bei Käse und Quark hingegen soll die Regel weiter ziehen.
Es sind Eingeständnisse, die das Gesetz, wie es den Grünen vorschwebte, stark aufweichen werden. Offensichtliche Geschenke an die FDP.
Aber sind sie eingepreist oder schmerzhaft abgerungen?
Manch Agrar-Experte nämlich vermutete vorab, dass die Grünen in ihrem Gesetzentwurf vielleicht tatsächlich absichtlich zu hoch gezielt haben könnten – um in Voraussicht auf den Protest der FDP Verhandlungsmasse zu haben. Allerdings gehen die Eingeständnisse nun so weit, betreffen Kinder-Spielplätze und die so wichtigen TV-Sendezeiten, dass sich diese Sichtweise wohl kaum halten lässt.
Ob das reichen wird?
Schmerzhaft abgerungen wirken sie also viel eher. Doch ob die Geschenke der Grünen der FDP genügen werden, ist fraglich.
Die Liberalen nämlich wollen eigentlich noch stärker in die andere Richtung: Nur Werbung, die sich explizit in Inhalt und Form an Kinder richtet oder zwischen Kindersendungen läuft, soll nach ihrer Vorstellung unter das Verbot fallen, wie Gero Hocker, agrarpolitischer Sprecher der Fraktion, t-online erklärte. Nutella-, Chips- oder Babybel-Werbung bliebe so auf allen Sendern und zu allen Zeiten erlaubt, solange sie nicht gerade zwischen den "Gummibären" und "Paw Patrol" läuft oder zum Beispiel Kinder- oder Comicfiguren zeigt.
In Özdemirs Ministerium ist die Ungeduld nun groß – schließlich sollte das Gesetz schon lange viel weiter sein und steckt schon seit Monaten in der Ressortabstimmung fest.
Blockiert die FDP weiter, dürfte wohl nur noch eine Krisenrunde zwischen den Ministern helfen. Schon wieder.
- Eigene Recherchen
- Gesetzesentwürfe zum Werbeverbot