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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Debatte um Heizungsfrage bei Lanz Expertin kritisiert "Tunnelblick" in Habeck-Ministerium
Winfried Kretschmann verteidigte die jüngsten grünen Kompromisse und Wirtschaftsminister Habeck. Eine Bauingenieurin erklärte, warum dessen Fehler hausgemacht sind.
Die Bundesregierung hat sich auf ein Heizungsgesetz geeinigt und damit, wenigstens vorerst, den langen internen Streit über das Thema beendet. Zu den vielen Kritikern der ursprünglichen Pläne von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) gehörte mit Winfried Kretschmann auch der einzige grüne Ministerpräsident des Landes. Der baden-württembergische Regierungschef hatte seinem Parteifreund in der Heizungsfrage vorgeworfen, zu schnell zu viel gewollt und das auch noch schlecht kommuniziert zu haben.
Bei seinem Auftritt am Mittwochabend in der ZDF-Talkshow "Markus Lanz" nahm Kretschmann seinen Parteikollegen nun in Schutz. Nach einem "schlechten Lauf" habe Habeck "den richtigen Kompromiss gemacht" und sein Vorhaben mit der Wärmeplanung der Kommunen verknüpft. Außerdem stecke er in einer Zwickmühle. "Wenn er nicht schnell genug ist, dann wird der Kampf gegen den Klimawandel nicht erfolgreich sein. Wenn er aber zu schnell ist, dann kann er sozusagen die Zustimmung der Bevölkerung verlieren. Aus dem Dilemma kommt er nicht raus."
Gäste
- Winfried Kretschmann (Grüne), Ministerpräsident Baden-Württemberg
- Eva Quadbeck, Chefredakteurin des "RedaktionsNetzwerks Deutschland"
- Lamia Messari-Becker, Professorin für Gebäudetechnologie und Bauphysik
- Johannes Hano, Leiter des ZDF-Studios in New York
Einfach nur als schlechten Lauf wollte die Journalistin Eva Quadbeck die Pannen rund um Habeck allerdings nicht verstanden wissen. In dessen Wirtschaftsministerium komme es zu einer Menge handwerklicher Fehler, "und zwar auf fachlicher wie auch auf politischer Ebene", so die Chefredakteurin des "RedaktionsNetzwerks Deutschland". Als Beispiel für die handwerklichen Fehler nannte sie neben dem Heizungsgesetz die Gasumlage.
Kritik an "Tunnelblick" im Wirtschaftsministerium
Politisch sei es wiederum so, dass der Wirtschaftsminister in seinem Haus eine Blase von Menschen um sich herum habe, die ihm im Denken sehr ähnlich seien. "Es gibt niemanden, der einfach die andere Brille aufhat und in den Schuhen der anderen Seite steht", kritisierte Quadbeck. Das Fazit der Journalistin: "Wenn Herr Habeck nicht weiter schlechte Läufe haben möchte, dann muss er an diesen beiden Dingen ansetzen."
Dieser Kritik schloss sich die Bauingenieurin Lamia Messari-Becker mit Blick auf die ursprünglichen Heizungspläne des Wirtschaftsministeriums an. Das Gesetz sei "mit einem Tunnelblick" entwickelt worden. Innerhalb des Ministeriums habe es wahrscheinlich kein Korrektiv gegeben, das die Vorhaben mit der Lebensrealität der Menschen vor Ort abgeglichen habe, vermutete die Expertin für nachhaltige Stadtentwicklung. Zusätzlich habe die schlechte Kommunikation die Öffentlichkeit verunsichert. Durch die Konzentration auf die Wärmepumpe und die Förderversprechen seien wiederum die Preise in die Höhe geschossen.
Auf einer übergeordneten Ebene bemängelte die Wissenschaftlerin zudem, dass grundlastfähige Energien im Rahmen der Klimapolitik vernachlässigt worden seien. Ihre Ausführungen verband Messari-Becker mit der Forderung, in der Energiefrage individuelle Lösungen auf Kommunal- und Landesebene zu suchen und so der Vielfalt der Möglichkeiten in Deutschland gerecht zu werden.
Grüne zu Kompromissen gezwungen
Die Beiträge in der Talkrunde deuteten darauf hin, dass in der Heizungsfrage weiter schmerzhafte Zugeständnisse auf die Grünen zukommen könnten. Dabei ist die Wärmewende nicht das einzige Politikfeld, das der Partei aktuell große Flexibilität abverlangt. Auch die deutsche Zustimmung zur Reform des europäischen Asylsystems mit sorgt intern für Konflikte.
Kretschmann stellte sich allerdings deutlich hinter die Vereinbarung und verteidigte die Verschärfung der Asylverfahren in der EU. Er sei "froh über diesen Kompromiss", betonte der Grünen-Politiker. Die "sehr liberale Flüchtlingspolitik" Deutschlands sei am Ende nur noch von Luxemburg, Portugal und Irland unterstützt worden. Es sei außerdem jetzt schon so, dass die meisten Betroffenen nach Deutschland wollten. "Irgendwann platzt es. Das ist doch klar, wenn alle anderen eher zumachen und wir die Einzigen sind, die es nicht machen", beschrieb Kretschmann das Problem.
Der baden-württembergische Ministerpräsident stellte aber auch klar: "Wir brauchen Einwanderung und wollen Einwanderung." Strategisch müsse man "die Arbeitsmigration legalisieren und die irreguläre Migration eindämmen", erklärte Kretschmann. Der Anfang dafür, dass alle Verantwortung übernehmen müssten und man nicht im Chaos versinke, sei mit dem Asylkompromiss gemacht.
"Es gibt jetzt keine Linie von Trump zu Aiwanger"
Kretschmanns Wunsch, die Migration möglichst gezielt steuern zu wollen, wurde vor dem Hintergrund wachsender Zustimmung in Deutschland für populistische Parteien und Positionen geäußert. Erst kürzlich hatte im bayerischen Erding der Vorsitzende der Freien Wähler und stellvertretende bayerische Ministerpräsident, Hubert Aiwanger, verlangt, die schweigende Mehrheit müsse sich die Demokratie zurückholen.
Eine Aussage, die Kretschmann mehrfach als Unsinn bezeichnete. Von amerikanischen Verhältnissen wollte er dennoch nicht sprechen. Die hatte zu Anfang der Sendung Johannes Hano, der Leiter des ZDF-Studios in New York, eindrücklich anhand des jüngsten Prozesses gegen den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump geschildert.
Deutschland verfüge im Vergleich über "ein wohlgeordnetes Gemeinwesen" und sei "sehr sehr weit weg von solchen Polarisierungen", sagte der Grünen-Politiker und stellte fest: "Es gibt jetzt keine Linie von Trump zu Aiwanger."
- Lanz vom 14. Juni 2023