Parteichef Merz und Ministerpräsident Günther CDU-Spitzenpolitiker kritisieren Mitschuld der Union an AfD-Erfolg
Die rechtsnationalistische AfD erlebt aktuell einen Höhenflug. Das gibt nicht nur Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Günther Anlass zu Kritik am eigenen Lager.
Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz hat sich am Samstag sehr kritisch über die eigene Partei geäußert. Demnach sieht er eine Mitverantwortung der CDU an der Entstehung der rechtsnationalistischen AfD, die in jüngsten Umfragen teils Zustimmungswerte von bis zu 20 Prozent bekommen hat.
"In der Demokratie ist nichts und niemand alternativlos", sagte Merz am Samstag auf dem Evangelischen Kirchentag in Nürnberg. Damit bezog er sich auf die wiederholte Aussage der ehemaligen CDU-Bundeskanzlerin Angela Merkel, zahlreiche Entscheidungen ihrer Regierung seien "alternativlos". Bereits 2010 kürte die Gesellschaft für deutsche Sprache den Begriff zum Unwort des Jahres.
Gerade diese Rhetorik habe der AfD den Nährboden gegeben, um sich als angeblich wahre Opposition und Stimme einer schweigenden Mehrheit zu stilisieren: "Der Name dieser Partei war eine unmittelbare Reaktion auf dieses Wort und darum haben wir eine hohe Mitverantwortung dafür, dass es so etwas gab."
Eine Zusammenarbeit mit der in Teilen vom Verfassungsschutz beobachteten AfD schloss Merz kategorisch aus. "Eine Zusammenarbeit mit solchen Leuten ist für mich komplett unvorstellbar", sagte er. "Das kommt überhaupt nicht infrage, mit solchen Leuten zu arbeiten."
Günther kritisiert ineffektive Unionsparteien
Kurz zuvor hatte bereits Schleswig-Holsteins Regierungschef Daniel Günther (CDU) eingeräumt, dass die Unionsparteien aktuell zum Erfolg der AfD beitrügen. "Es gelingt uns als Union nicht ausreichend, mit überzeugenden Angeboten wahrgenommen zu werden und die enttäuschten Stimmen abzuholen", sagte Günther der "Welt am Sonntag". "Wir haben es bisher nicht geschafft, den Menschen unsere Alternativen, zum Beispiel beim Thema Heizen, präziser aufzuzeigen. Wir müssen klarer darlegen, wohin wir wollen."
Auch für die Union stehe nicht zur Debatte, dass Deutschland bis 2045 klimaneutral sein wolle, sagte Günther. "Das heißt, dass natürlich auch der Wärmebereich emissionsfrei werden muss." Der Weg der Union wäre nur ein anderer, erklärte er. "Das sollten wir bei aller Kritik an den erheblichen handwerklichen und kommunikativen Unzulänglichkeiten der Ampel-Koalition klar aussprechen."
Günther halte es nicht für sinnvoll, wenn sich Regierung und Opposition beim Thema AfD gegenseitig Vorwürfe machten. "Beiden gelingt es zurzeit nicht, die Umfragewerte der AfD auf einem niedrigeren Niveau zu halten", stellte Günther fest. Kritisch äußerte er sich zur Regierungsarbeit der FDP auf Bundesebene. "Was nicht funktioniert: in Berlin die regierungsinterne Opposition zu geben. Am Ende schadet das nur der gesamten Regierung", sagte der CDU-Politiker.
"Größte Gefahr für Wirtschaft und Zusammenhalt"
In jüngsten Umfragen der Meinungsforschungsinstitute Forsa, GMS und Yougov hatte die AfD hohe Zustimmungswerte erreicht. Demnach würden 17 bis 20 Prozent der Wahlberechtigten in Deutschland ihre Stimme der rechtsnationalistischen Partei geben, wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre. In den östlichen Bundesländern geben besonders viele Befragte an, dass sie die AfD wählen würden.
Diese Ergebnisse treiben daher gerade auch den Ostbeauftragten der Bundesregierung, Carsten Schneider (SPD), um. Er sieht die Stärke der AfD "als größte Gefahr für die wirtschaftliche Entwicklung Ostdeutschlands und den gesellschaftlichen Zusammenhalt".
Allerdings glaubt der SPD-Politiker nicht, dass die AfD bei den anstehenden Landtagswahlen im Osten im kommenden Jahr zur stärksten Partei wird, wie er im "Interview der Woche" des Deutschlandfunks sagte. Denn "niemand traut der AfD zu, Probleme zu lösen", begründete der Thüringer SPD-Bundestagsabgeordnete die Annahme. Die Rechts-Außen-Partei sei jedoch bereits 2018 so stark gewesen wie jetzt, dies sei kein neues Phänomen.
Fehlende Teilhabe ebne den Weg zur AfD
Es müssten jene Wähler gestärkt werden, die die AfD nicht wählen - das seien immerhin drei Viertel der Wählerinnen und Wähler. Zugleich müssten in den ostdeutschen Landtagen alle Parteien jenseits der AfD miteinander koalitionsfähig sein. 2024 werden in Brandenburg, Sachsen und Thüringen neue Landtage gewählt. Hinzu kommen zahlreiche Kommunalwahlen im Osten.
Die Abwendung vieler Ostdeutscher von der Politik erklärt Schneider sich jedoch nicht mit den Konflikten in der Ampel-Koalition. Dafür gibt es laut dem Ostbeauftragten tieferliegende Gründe. Schneider zählte dazu unter anderem die fehlende Teilhabe von Ostdeutschen in Spitzen-Jobs von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Bei vielen Ostdeutschen sehe er "eine gefühlte Fremdbestimmung". Das zeige sich beispielsweise auch im geringeren Lohnniveau und dem aus seiner Sicht zu geringen Selbstbewusstsein, Arbeitskämpfe zu führen.
Der Verfassungsschutz stuft die gesamte AfD als rechtsextremistischen Verdachtsfall ein. Die Jugendorganisation der Partei, die Junge Alternative, wurde von den Verfassungsschützern Ende April als "gesichert rechtsextremistisch" bewertet.
- Nachrichtenagentur dpa
- wahlrecht.de