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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Es ist absurd" Grüne: Verfassungsschutz soll alle Waffenbesitzer durchleuchten
Mehr als 1.000 Extremisten besitzen in Deutschland eine Waffe. Und zwar legal. Die Grünen wollen das nun ändern.
Die Grünen wollen das Waffenrecht deutlich verschärfen, um Verfassungsfeinde konsequenter zu entwaffnen. "Wir sehen immer wieder, dass Extremisten zu leicht an legale Schusswaffen kommen und Behörden Probleme bei ihrer Entwaffnung haben", sagt der Grünen-Innenpolitiker Marcel Emmerich t-online. Die Ampelkoalition müsse da "endlich vorankommen", fordert er.
Auf Basis eines Gutachtens des Bonner Rechtswissenschaftlers Klaus Ferdinand Gärditz, das t-online vorliegt, schlägt Emmerich gleich zwei Verschärfungen der bisherigen Rechtslage vor: Zum einen soll der Verfassungsschutz alle Waffenbesitzer nachträglich durchleuchten, bei denen das noch nicht geschehen ist. Zum anderen soll künftig rechtlich sichergestellt werden, dass die Behörden einem Extremisten in jedem Fall die Waffenerlaubnis verweigern müssen.
Die Pläne gehen damit deutlich über das hinaus, was Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bislang als Reform des Waffenrechts vorgeschlagen hat. Emmerich, Obmann der Grünen im Innenausschuss, verweist jedoch auf den Koalitionsvertrag der Ampelregierung. Dort ist als Ziel festgehalten, Extremisten "konsequent zu entwaffnen".
Verfassungsschutz soll Altfälle überprüfen
Recherchen von "Report Mainz" zufolge besitzen bundesweit mindestens 1.000 Extremisten eine waffenrechtliche Erlaubnis. Experten rechnen zudem mit einer hohen Dunkelziffer. Der Amoktäter von Hamburger, der bei den Zeugen Jehovas sieben Erwachsene tötete, hatte eine solche Erlaubnis. Auch "Reichsbürger" haben in der Vergangenheit mit legalen Waffen auf Polizisten geschossen.
Schon Innenminister Horst Seehofer (CSU) hatte das Waffenrecht 2020 verschärft. Wer eine Waffenerlaubnis beantragt, wird bei der Zuverlässigkeitsprüfung seitdem vom Verfassungsschutz durchleuchtet.
Eine solche sogenannte Regelanfrage beim Verfassungsschutz existiert aber eben erst seit 2020. Wer vorher seine Waffenerlaubnis bekommen hat, wurde nicht systematisch vom Verfassungsschutz überprüft. Nur wenn die Verfassungsschützer neue relevante Erkenntnisse zu diesen Altfällen gewinnen, müssen sie das der Waffenbehörde auch jetzt schon nachträglich mitteilen.
"Teil einer konsequenten Entwaffnung muss die Überprüfung sogenannter Altfälle in Verbindung mit der neu zu schaffenden Regelung sein", fordert der Innenpolitiker der Grünen Emmerich deshalb. "Dass eine große Anzahl an Waffenbesitzern bisher keiner Regelanfrage bei den Verfassungsschutzbehörden unterlag, sorgt für ein Sicherheitsrisiko."
Rechtswissenschaftler Gärditz schreibt in seinem Gutachten ebenfalls von einer "sinnvollen Regelungsergänzung", die auch verfassungsrechtlich "verhältnismäßig" sei.
"Es ist absurd"
Eine weitere Gesetzesänderung könnte die "Verwaltung entlasten" und "Vollzugsdefizite" abbauen, wie Professor Gärditz in seinem Gutachten schreibt. Also sicherstellen, dass Extremisten nicht doch fälschlicherweise eine Waffenerlaubnis bekommen. Dazu schlägt der Experte vor, extremistische Bestrebungen bei der Bewertung der Zuverlässigkeit eines potenziellen Waffenbesitzers rechtlich "heraufzustufen".
Bislang müssen die Behörden jemandem, der vom Verfassungsschutz als Extremist eingestuft wird, nicht zwingend die Waffenerlaubnis verweigern. Extremismus zählt nicht zu den "absoluten Unzuverlässigkeitsgründen", sondern führt nur zu einer sogenannten Regelunzuverlässigkeit. Wer Extremist ist, gilt bisher also nur "in der Regel" als unzuverlässig. Was die Waffenbehörde dazu zwingt, mögliche Ausnahmen abzuwägen –und Gerichten größeren Entscheidungsspielraum gewährt.
"Es ist absurd, dass Waffenbehörden bei bekannten Extremisten quasi Gründe dafür suchen müssen, die ihnen den Waffenbesitz weiter erlauben", sagt Grünen-Innenpolitiker Emmerich. "Extremistische Bestrebungen eines Waffenbesitzers müssen zwingend zum Entzug der Erlaubnis führen." Das beschleunige rechtssicher die Verfahren, entlaste die Verwaltung und bringe mehr Sicherheit.
Der Rechtswissenschaftler Gärditz argumentiert in seinem Gutachten, dass eine solche Verschärfung "verfassungskonform möglich" sei. Denn auch dann sei es Betroffenen noch möglich, nachzuweisen, dass die Vorwürfe gegen sie falsch sind. Ohnehin gilt Gärditz zufolge "bloßes Sympathisieren mit einer verfassungsfeindlichen Vereinigung" noch nicht als problematische Unterstützung.
Allerdings gilt dem Gutachten zufolge schon jetzt: Wer etwa als Parteiloser bei einer Wahl für die NPD kandidiert oder für die Terrormiliz IS Propagandamaterial ins Internet lädt, bekommt Probleme.
- Eigene Recherchen und Gespräche mit Marcel Emmerich (Grüne)
- Prof. Dr. Klaus Ferdinand Gärditz: "Gutachtliche Stellungnahme betreffend Verfassungskonformität von Gestaltungsoptionen der Regelanfrage beim Verfassungsschutz im Waffenrecht"
- tagesschau.de: 1000 Extremisten mit Waffenerlaubnis
- Koalitionsvertrag der Ampelregierung: Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit