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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Wagenknechts "Friedensdemo" Das kann sich für die AfD rächen
Sahra Wagenknecht ruft zur Demo auf, auch Rechte sind willkommen. Mancher AfD-Vertreter kündigt sein Kommen an. Einige aber sagen ab – auch aus strategischen Gründen.
Das dürfte so schnell keinem anderem gelingen: Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht und Feministin Alice Schwarzer rufen an diesem Samstag zu einer "Friedenskundgebung" auf – und stürzen so die AfD am anderen Ende des politischen Spektrums in einen Zustand zwischen Jubel und Sorge.
Rechtsextreme und vom Verfassungsschutz beobachtete Akteure wie das "Compact"-Magazin oder die "Freien Sachsen" mobilisieren bereits seit Tagen zu der Demonstration in Berlin. Die immer wieder offen ausgesprochene Hoffnung dabei: Bei dem Thema Ukraine-Krieg könne eine Querfront von ganz links nach ganz rechts entstehen. Eine solche Querfront ist seit Langem ein Traum unter Rechtsextremen – sie wird in der Szene oft gesehen als Beginn eines Volksaufstands, der Regierungen stürzen kann.
Auch in der AfD ist die Freude bei einigen groß. Der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke forderte Wagenknecht noch am Freitag bei einer Demonstration in Dresden dazu auf, in die AfD zu wechseln. Sachsens AfD-Chef Jörg Urban warb bei derselben Veranstaltung für eine Teilnahme an der Wagenknecht-Kundgebung. Die Lage insgesamt ist in der AfD, die seit 2017 im Bundestag sitzt, allerdings komplexer. Nicht zuletzt AfD-Chefin Alice Weidel warnte bereits früh vor Wagenknecht – und zwar als Konkurrenz, als Gefahr für die eigene Partei.
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AfD-Rechtsaußen Tillschneider: "Diese Initiative ist im Kern richtig"
Hans-Thomas Tillschneider ist einer, der sich davon nicht abschrecken lässt. Der AfD-Politiker wird vom Verfassungsschutz beobachtet, in Sachsen-Anhalt ist er stellvertretender Chef des AfD-Landesverbands – und ein geschätzter Name in rechtsextremen wie kremlfreundlichen Kreisen. Im September 2022 reiste er mit zwei anderen AfD-Landespolitikern nach Russland und wollte von dort aus in die besetzten Gebiete in der Ukraine. Das Vorhaben löste selbst in der eigenen Partei so viel Kritik aus, dass die drei die Reise abbrachen.
Am Samstag lautet Tillschneiders Reiseziel: Wagenknecht-Kundgebung, Berlin. "Ich nehme teil, weil diese Initiative im Kern richtig ist", so Tillschneider. Zwar würde er "den einen oder anderen Akzent" anders setzen, "aber das sind Marginalien".
Aber ist Tillschneider willkommen? In der Öffentlichkeit wurde in den vorangegangenen Tagen die Frage heiß diskutiert, ob die Demonstration auch für Rechte offenstehe und sich die Initiatoren der Demonstration stark genug nach rechts abgrenzten. Wagenknechts Ehemann Oskar Lafontaine, selbst ehemaliger Politiker der Linken, hatte in einem häufig geteilten Videointerview schließlich betont, dass alle willkommen seien, die für den Frieden seien. Eine "Gesinnungsprüfung" gebe es nicht. Nicht erwünscht seien allerdings Flaggen von "Reichsbürgern".
AfD-Rechtsaußen Tillschneider versteht das als explizite Einladung: "Ich begrüße auch, dass Oskar Lafontaine die rechten Kritiker dieser Initiative ausdrücklich eingeladen hat“, teilte er t-online mit.
Und Tillschneiders Erwartungen scheinen groß zu sein: Er beobachte nach eigener Aussage unter den eher linken Unterstützern der Kundgebung in den sozialen Medien "an vielen Stellen neben Resten der üblichen Verbohrtheit eine erfrischende Offenheit für andere Standpunkte" sowie eine "Lebendigkeit, die mir zeigt, dass diese Initiative das Zeug hat, sich vom herrschenden repressiven Diskurs zu lösen".
Eine ähnliche Hoffnung hegt Carlo Clemens, Mitglied des AfD-Bundesvorstands und ehemaliger Chef der vom Verfassungsschutz beobachteten AfD-Jugendorganisation "Junge Alternative". Zwar könne er an der Kundgebung nicht teilnehmen, das Wagenknecht-Manifest für den Frieden aber habe er unterzeichnet. "Ich unterstütze das Anliegen, unabhängig von Parteizugehörigkeiten und Lagerdenken für ein wichtiges Anliegen auf die Straße zu gehen."
Zahlreiche Absagen, auch von kremlnahen AfD-Mitgliedern
Andere in der AfD sehen das anders. Aus dem Vorstand wie der Bundestagsfraktion kommen auf Nachfrage von t-online reihenweise Absagen: Man sei bereits anders verplant, man habe Termine, heißt es auch von einigen, die in der Vergangenheit besonders russlandfreundliche Positionen vertreten haben.
Für einige, darunter auch extremere Vertreter in der AfD, spielt dabei die politische Heimat der Ausrichterinnen eine Rolle. Der Bundestagsabgeordnete und stellvertretende AfD-Vorsitzende Stephan Brandner, ein enger Vertrauter von Björn Höcke, formuliert es auf Nachfrage von t-online so: Die beiden Initiatorinnen Wagenknecht und Schwarzer seien nicht seine "Kragenweite" und "zu sehr Ego-fixiert". "Ich bezweifle, dass es denen um die Sache geht."
Wagenknecht als Konkurrenz
Bei vielen wiederum dürfte eine Nicht-Teilnahme strategische Gründe haben, kursieren doch in AfD-Landesverbänden dieser Tage explizite Warnungen vor zu großer Zustimmung zu Wagenknecht, Lafontaine und Co.: "Um es deutlich zu sagen: Sahra Wagenknecht (Die Linke), Hans-Georg Maaßen (CDU) und die Freien Sachsen sind Konkurrenten der AfD", heißt es zum Beispiel in einem Schreiben an die AfD-Mitglieder in Sachsen-Anhalt, das der Recherche-Account "Gegen die AfD" auf Twitter teilt. Wortmeldungen von diesen Akteuren klängen zwar oft, als "kämen sie von der AfD", zielten aber darauf ab, "uns zu schwächen".
Diese Sorge hatte Alice Weidel, Partei- und Fraktionschefin der AfD, mit Blick auf Gerüchte um eine mögliche Parteineugründung durch Wagenknecht bereits im Oktober formuliert: "Frau Wagenknecht bekommt aus großen Teilen unseres Wählerumfeldes großen Zuspruch", sagte Weidel damals t-online. "Selbstverständlich ist da eine gewisse Konkurrenz entstanden, mit der wir uns auseinandersetzen müssen." Besonders in Ostdeutschland sei Wagenknecht "wahnsinnig populär" und spreche dieselben Wähler an wie die AfD.
Öffentlich ist von dieser Warnung in den Tagen vor der Wagenknecht-Kundgebung aus der AfD wenig zu hören. Vielleicht, weil man sich nicht schwach geben will. Vielleicht auch, weil man erst einmal beobachten will, wie erfolgreich die Kundgebung am Samstag wird.
Kundgebung als Testballon für neue Wagenknecht-Partei
Als möglicher Testballon wird die Wagenknecht-Kundgebung am Samstag derweil nicht nur in der AfD gesehen. Auch bei der Linken zittert man: Je erfolgreicher Wagenknecht mit ihrem Aufruf jetzt ist, je mehr Menschen sie mobilisieren kann, desto wahrscheinlicher erscheint es, dass sie tatsächlich Ernst macht und eine eigene Partei gründet.
Als für dieses Vorhaben günstiger Zeitpunkt wird der Herbst diskutiert – und damit ein mögliches Antreten der neuen Partei bei der EU-Wahl im Frühjahr 2024. Endet die Demo am Samstag aber im Fiasko, weil der Zulauf zu schwach ist oder Rechtsextreme die Veranstaltung komplett vereinnahmen, wäre Wagenknecht geschwächt.
Ganz rechts wie ganz links dürften die Parteizentralen darauf hoffen, dass sich die Wetterprognosen bestätigen: Für Samstag sind Kälte und sogar Schnee in Berlin angesagt. Das hat schon mancher Demo den Zulauf abgegraben.
- Eigene Recherchen
- Anfragen an 20 Mitglieder der AfD-Bundestagsfraktion, des Bundesvorstands sowie Spitzen der Landesverbände
- Twitter-Account "Gegen die AfD"
- spiegel.de: "Grenzt sich Wagenknecht nach rechts ab?"
- faz.de: "Höcke: Deutschland ist nicht souverän"