Presseschau zur Berlin-Wahl "Der linke Lack ist ab"
Berlin hat erneut gewählt und die Ergebnisse der Landtagswahl lösen allerhand Diskussionen aus. Ein Überblick über die Pressestimmen.
Wer wird Berlin in Zukunft regieren und welche politische Konstellation ist die beste für die Stadt? Nach dem starken Abschneiden der CDU bei der Wiederholungswahl in Berlin und dem Rückschlag für die Regierende Bürgermeisterin gehen die Meinungen in der Presselandschaft auseinander.
Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" schreibt zur Wahl in Berlin: "Bei der Wiederholungswahl ... haben die Bürger der SPD nun die Rechnung dafür ausgestellt, dass sie sich über Jahrzehnte um des Machterhalts willen den SED-Nachfolgern im Osten und den um harte Klientelpolitik nie verlegenen Grünen angedient hat. Die Sozialdemokraten schnitten so schlecht ab wie noch nie in der jüngeren Stadtgeschichte, die CDU verbesserte sich stark – doch das von einem historisch niedrigen Niveau aus. Künftig ist die Union erstmals seit 2001 wieder die stärkste Kraft im Abgeordnetenhaus. Doch die FDP hat nicht so abgeschnitten, dass die mit Händen zu greifende Unzufriedenheit mit dem von rot-grün-roten Senat einen Kurswechsel erzwänge. So bleibt es dabei, dass gegen die Sozialdemokraten wohl kaum ein Regierungsbündnis gebildet werden dürfte."
Ähnlich kommentiert die "Süddeutsche Zeitung" und meint außerdem: "Wenn sich am Ende doch wenig ändern sollte, wäre auch das Ausdruck der Berliner Temperatur: Motzen zählt nicht, lautet die Erkenntnis des Abends, und zwar im Wortsinne. Gezählt werden Stimmen einer Wahl. Und da wäre die bisherige Regierung weiter das naheliegende Bündnis. Diese Mehrheit spiegelt die Stadt wider, ihren politischen Grundton, der zu weiten Teilen links und grün geprägt ist und sich so auch in den Bezirken widerspiegelt, ob nun Pankow oder Friedrichshain-Kreuzberg. Die SPD wie die Grünen und die Linken in ihren Biotopen sind über Bündnisse und Initiativen in der Stadt verankert. Ihre potenziellen Anhänger mögen sie manchmal stümperhaft finden, aber es sind dann doch ihre Stümper, und die von der anderen Seite wollen sie erst recht nicht."
Anders argumentiert die "Neue Zürcher Zeitung": "Nach dem Debakel für Franziska Giffey wäre eine Neuauflage des linken Bündnisses theoretisch möglich – die politische Kultur nähme aber Schaden. Die CDU hat triumphiert, weil die Berliner kein Weiter-so wollen. SPD und Grüne sollten es akzeptieren. (...) Es kommt nun auf die SPD und die Grünen an. Sie müssen der viel beschworenen staatspolitischen Verantwortung gerecht werden und einem neuen Bündnis den Weg weisen. Selbst wenn es Giffey oder der grünen Spitzenkandidatin Bettina Jarasch gelingen sollte, Rot-Rot-Grün wiederzubeleben und sich selbst zur Bürgermeisterin zu küren: Wer den triumphalen Wahlsieger Kai Wegner, der für die CDU rund 28 Prozent und damit das beste Resultat seit 1999 erzielte, auf die Oppositionsbank verweist, missdeutet Demokratie als bloße Machtarithmetik.
In repräsentativen Demokratien entscheiden parlamentarische Mehrheiten über den Regierungschef. Eine nach allen Regeln der Kunst gescheiterte Franziska Giffey aber stünde für ein mutloses Weiter-so, und die bisherige Farbenkombination unter grüner Führung wäre alter Wein in neuen Schläuchen. (...) Sollte der bisherige Senat den Hilfeschrei der Wähler überhören und weiterwursteln wie bisher, kann er sich künftig alle Floskeln von Respekt, Fairness und Augenhöhe sparen."
Die Zeitung "Nürnberger Nachrichten" schreibt: "Mehr schlecht als recht regiert: Es reichte nun sogar vielen Berlinern – und es wird schwierig für eine Neuauflage von Rot-Grün-Rot. Alle drei Koalitionspartner haben verloren, am deutlichsten die SPD. Die CDU ist klarer Sieger, dafür gibt es gute Gründe: eben das Versagen der Stadtregierung auf zu vielen Feldern. Nun wird es spannend."
Aus Berlin kommentiert die Tageszeitung "taz": "Der linke Lack ist ab. Wer auf die politische Landkarte schaut, sieht: Rund um das Herz der Stadt, sprich die Innenstadtkieze, ist sie fast ausschließlich schwarz (und leider ein bisschen braun). Diese Schlappe haben sich die drei bisherigen Regierungsparteien zu einem guten Teil selbst zuzuschreiben. Sicher, sie haben in Sachen Integration der Geflüchteten aus der Ukraine sehr gute Arbeit geleistet; sie haben in der Energiekrise schnell und umfassend gehandelt. Und sie sind auch nicht unbedingt verantwortlich für den Mangel an Lehrer*innen oder den Folgen der einst kaputtgesparten Verwaltung, an denen die Stadt bis heute leidet.
Aber die drei Parteien, die immerhin seit mehr als sechs Jahren zusammen regieren, hatten der Kritik von Union und Bürger*innen im Wahlkampf auch nicht viel entgegenzusetzen. Bezahlbare Mietwohnungen sind genauso selten wie Termine auf dem Bürgeramt, es gibt zu wenig Schulplätze, die Verkehrswende schleicht höchstens voran."
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
- taz.de: "Die Illusion vom linken Berlin"
- sz.de: "Berlin: Motzen zählt nicht!"