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Mutmaßlicher russischer Spion beim BND: Im schlimmsten Fall droht ein neuer Gau


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Russischer Doppelagent beim BND
Im schlimmsten Fall droht ein neuer Spionage-Gau

  • Jonas Mueller-Töwe
  • Johannes Bebermeier
Von Jonas Mueller-Töwe und Johannes Bebermeier

Aktualisiert am 24.12.2022Lesedauer: 4 Min.
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Die BND-Zentrale in Berlin: Ein Mitarbeiter soll Staatsgeheimnisse an einen russischen Nachrichtendienst übermittelt haben. (Quelle: IMAGO/IPON)

Ein Mitarbeiter des BND soll Staatsgeheimnisse an einen russischen Nachrichtendienst übermittelt haben. Welche dramatischen Folgen das haben kann, zeigt ein anderer Fall.

Bevor Heinz Felfe enttarnt und festgenommen wird, kauft er noch einen Kuchen. Am 5. November 1961 betritt er das Gelände des Bundesnachrichtendienstes in Pullach, wie er es viele Jahre lang getan hat, er wird dort für ein Gespräch auf Leitungsebene erwartet. Hinter ihm wird das Gelände abgeriegelt, ohne dass er es bemerkt. Ihm wird noch eine Verdienstmedaille überreicht, währenddessen liegen Kriminalbeamte bereits auf der Lauer. Als sie aus der Deckung kommen, versucht der Doppelagent, einen verräterischen Mikrofilm herunterzuschlucken. Ohne Erfolg – Russlands Topspion ist aufgeflogen.

Wieder mutmaßlicher Spion verhaftet

Felfe ist damals nicht irgendwer, sondern der Leiter der Gegenspionage im Bundesnachrichtendienst. Kurz: Deutschlands oberster Spion, der die Unterwanderung des sowjetischen KGB organisieren sollte, unterwanderte stattdessen den BND. Die Details der bekanntesten deutschen Geheimdienstaffäre hat der Historiker Bodo von Hechelhammer ausführlich in seinem Buch "Spion ohne Grenzen" geschildert.

Eigentlich könnte dieser katastrophale Rückschlag für Deutschlands Auslandsnachrichtendienst ein Kapitel für die Geschichtsbücher sein. Der Imageschaden, die abgeflossenen Interna, all das ist Jahrzehnte her. Doch ein aktueller Fall weckt ungute Erinnerungen: Am Mittwoch ließ der Generalbundesanwalt den BND-Mitarbeiter Carsten L. festnehmen. Landesverrat wird ihm vorgeworfen, er soll einen russischen Geheimdienst mit Staatsgeheimnissen beliefert haben. Er sitzt in Untersuchungshaft.

Gegenspionage brach über Jahre zusammen

Das Ausmaß des Schadens ist bislang nicht bekannt. Einem unbestätigten Bericht von "Focus Online" zufolge hatte L. aber als Analyst Zugang zu sämtlichen durch weltweite Abhöraktionen gewonnenen Erkenntnissen des BND. Das betreffe auch Lauschaktionen befreundeter Dienste. Die "Bild-Zeitung" berichtete am Freitag, dass der Verdächtige als leitender Mitarbeiter der streng geheimen BND-Abteilung "Technische Aufklärung" angestellt gewesen sei. Droht damit ein zweiter Fall Felfe?

Das wäre für die Gefahrenabwehr der größte anzunehmende Unfall. Der Chef der Gegenspionage hatte damals alles verraten, wie Hechelhammer vor einiger Zeit im Interview mit t-online rekapitulierte. "Die ganze Gegenspionage Sowjetunion ist im BND über Jahre hinweg zusammengebrochen", sagte Hechelhammer. "Alles musste heruntergefahren und neu aufgebaut werden." Das betraf damals sogar die CIA – dort hatte Felfe offenbar Hunderte Mitarbeiter verraten. Menschen in der Sowjetunion, die den westlichen Diensten zugeliefert hatten, verschwanden. "Sie können sich vorstellen, was zu Zeiten des Kalten Krieges mit denen passiert ist."

Arbeit mit Partnerdiensten gefährdet?

Deswegen fürchtet die Politik auch jetzt bereits Folgen für das Vertrauen in die deutschen Dienste. "Wenn wirklich Informationen aus dem BND nach Russland gelangen konnten, wird das die Zusammenarbeit mit unseren Partnern enorm erschweren", sagte FDP-Politiker Wolfgang Kubicki dem "Handelsblatt". Vermutlich legen die Behörden derzeit auch deswegen besonderen Wert auf die Feststellung, der BND sei eng in die Ermittlungen eingebunden gewesen und habe den mutmaßlichen russischen Spion selbst enttarnt. Das Signal: Die Spionageabwehr ist intakt und handlungsfähig.

Darüber hinaus halten sich die Verantwortlichen allerdings mit Stellungnahmen zurück. Offenbar rechnet man mit Gefahren nicht nur für Informationsgewinnung und Zusammenarbeit, sondern auch wie im Fall Felfe für Leib und Leben. Möglicherweise sind Quellen gefährdet – erst seit einigen Jahren versucht der BND wieder, mit einer eigens für Gegenspionage vorgesehenen Einheit die russischen Dienste aufzuklären. Nach dem Ende des Kalten Krieges waren diese Bemühungen eigentlich eingestellt worden.

"Skrupellosigkeit und Gewaltbereitschaft"

"Zurückhaltung und Diskretion sind in diesem besonderen Fall sehr wichtig", sagte BND-Präsident Bruno Kahl am Donnerstag über die Verhaftung von L.: "Mit Russland haben wir es auf der Gegenseite mit einem Akteur zu tun, mit dessen Skrupellosigkeit und Gewaltbereitschaft wir zu rechnen haben. Jedes Detail dieses Vorgangs, das an die Öffentlichkeit gelangt, bedeutet einen Vorteil dieses Gegners in seiner Absicht, Deutschland zu schaden."

t-online hatte im Mai eine seit Jahren anhaltende russische Geheimdienstkampagne gegen Europa und die Nato mit mehr als 300 Vorfällen sichtbar gemacht, die auch Morde und Sabotagen umfasst. Über die anhaltende Gefährlichkeit der russischen Geheimdienste herrscht in Sicherheitskreisen spätestens seit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine mittlerweile Einigkeit. "Russland ist seit Ende des Kalten Kriegs nie in eine Phase der Entspannung eingetreten", sagte SPD-Innenpolitiker Sebastian Hartmann t-online. "Russland ist schon seit Längerem ein dynamischer Gegner, der aggressiv vorgeht."

Dass der Schaden durch Carsten L. die Ausmaße des Falls Felfe erreichen könnte, bezweifelt der frühere hochrangige BND-Mitarbeiter Gerhard Conrad allerdings. Der Generalbundesanwalt gehe bislang davon aus, dass L. seine Taten in diesem Jahr begangen habe. Das heißt, dass man derzeit nicht von einem "längerfristigen Verrat" ausgeht. Grundsätzlich sei allerdings auch der Fall L. schwerwiegend, sagte Conrad t-online. Denn dieser könnte aufgrund seiner Position Informationen von erheblicher Relevanz weitergegeben haben.

Für die Bedeutung spreche auch, dass Bundeskanzler Olaf Scholz einem Bericht des "Spiegel" zufolge bereits vor Wochen über den Spionageverdacht informiert worden war. "Die frühzeitige Information des Bundeskanzlers deutet darauf hin, dass man sich der Tragweite des Falls schon seit einiger Zeit bewusst war und somit bereits so gut wie möglich Vorsorge getroffen haben dürfte", sagte Conrad. Er gehe von erheblichen Anstrengungen innerhalb des Dienstes aus, den Schaden zu ermitteln und zu begrenzen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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