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Klima-Protest mit Todesfolge: Wie weit dürfen die Aktivsten gehen?


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Klimaprotestler unter Druck
Bis hierhin und trotzdem weiter?


Aktualisiert am 04.11.2022Lesedauer: 7 Min.
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Straßenblockade in Berlin-Mitte: Dieser Protest sorgte für verpasste Flüge – und große Empörung. (Quelle: t-online)
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Rettungskräfte kamen verspätet zum Unfall einer Radfahrerin, nachdem Klimaaktivisten eine Straße blockiert hatten. In der Politik ist eine Debatte entbrannt, wie legitim dieser Protest ist – mit Folgen für die Ampelkoalition.

Es ist ein grausamer Straßenunfall, der die Politik in Deutschland nachhaltig verändern könnte. Montagmorgen, 31. Oktober, mitten im Berliner Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf: Um 8.20 Uhr erfasst ein Betonmischer eine 44-jährige Radfahrerin auf der vierspurigen Bundesallee. Der riesige Wagen überfährt die Frau im fließenden Verkehr. Die Radlerin gerät unter das Fahrzeug, sie wird eingeklemmt – und steckt fest.

Sechs Minuten später geht bei der Feuerwehr Charlottenburg-Süd ein Notruf ein, wie der "Tagesspiegel" berichtet. Ein moderner Wagen fährt los. Das Feuerwehrauto soll den tonnenschweren Betonmischer anheben, die Frau befreien. Doch die Retter kommen plötzlich nur noch langsam vorwärts.

Der Grund: An diesem Morgen sind zwei Demonstranten der "Letzten Generation" an ein Straßenschild der Stadtautobahn A100 geklettert. Die Straße in Richtung Unfallort ist über Stunden teilweise blockiert, der Stau lang. Die Feuerwehr braucht nach Recherchen des "Tagesspiegel" sieben bis neun Minuten länger als bei freier Fahrt. Die Frau wird dann von Helfern vor Ort befreit, weil es schnell gehen muss, noch bevor der Feuerwehrwagen ankommt.

Am Freitagmorgen meldet die Berliner Polizei: Die Radfahrerin ist gestorben. Am Vortag wurde die 44-Jährige bereits für hirntot erklärt.

Hat die Radfahrerin ihr Leben verloren, weil Klimaaktivisten den rettenden Feuerwehrwagen aufhielten? Gefährden die Protestler also Menschenleben? Die Sachlage ist noch unklar, die Ermittlungen dauern an. Offiziell ging die Berliner Feuerwehr rasch davon aus, dass sich die Rettung der Frau um mehrere Minuten verzögert hat, weil das Spezialfahrzeug im Stau stand. Aber einem internen Aktenvermerk der Feuerwehr zufolge, über den die "Süddeutsche Zeitung" berichtet, hatte die Verzögerung keinen Einfluss auf die Versorgung des Notfallopfers – die Notärztin habe demnach ohnehin entschieden, dass es besser sei, auf ein Anheben des Betonmischers zu verzichten.

In der Politik aber ist bereits eine Debatte darüber entbrannt, ob den Aktionen mit größerer Härte begegnet und Strafen verschärft werden müssen. Der Kampf um die richtige Klimapolitik und die Frage, mit welchen Mitteln er geführt werden darf, wird so auch zur Belastungsprobe für die Ampelkoalition.

Sie starteten mit einem Hungerstreik vorm Reichstag

Der Protest wird hauptsächlich vorangetrieben von der "Letzten Generation". Die deutschlandweit vernetzte Gruppe steuert die Aktionen, so wollen sie die Politik vor sich hertreiben. Das Ziel: Die globale Erderwärmung auf 1,5 Grad begrenzen, um den "Mord an der jungen Generation" zu stoppen, wie sie es nennen. Als konkrete Maßnahmen fordert sie unter anderem Tempo 100 auf Autobahnen und ein 9-Euro-Ticket.

Begonnen hat die Gruppe bereits radikal – und zwar im Bundestagswahlkampf 2021 mit einem Hungerstreik vor dem Reichstag. Seit Anfang des Jahres setzt sie auf noch radikalere Formen des Protests. Mehrfach klebten Aktivisten sich an Gemälden fest oder bewarfen sie mit Essen. Im Potsdamer Museum Barberini schleuderten sie Kartoffelbrei auf ein 100 Millionen Euro teures Monet-Gemälde, den "Getreideschober". Das Bild war verglast, doch der Schaden beläuft sich trotzdem auf eine fünfstellige Summe.

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Noch größeren Protest ruft die Gruppe aber durch ihre Aktionen im Straßenverkehr hervor: Regelmäßig blockiert sie Hauptverkehrsachsen, das Festkleben mit Sekundenkleber ist dabei zu ihrem Erkennungsmerkmal geworden.

Die Wut auf diese Form des Protests ist groß: Immer wieder greifen Autofahrer selbst ein und ziehen Aktivisten von der Straße. Und immer wieder wird der Vorwurf erhoben, dass die Aktivisten so Rettungskräfte in ihrer Arbeit behindern. Ende Januar sorgte bereits ein Video von einer Straßenblockade der Gruppe in Berlin-Steglitz für Schlagzeilen, das zeigt, wie ein Rettungswagen mit Martinshorn im Verkehr feststeckt.

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"Dieser RTW ist ebenso durchgelassen worden wie alle anderen bisher auch", behaupteten die Klimaaktivisten im Anschluss. Ob das stimmt, ist noch offen. Die Untersuchungen in dem aktuellen Fall und zur Frage, wie viel Einfluss die Blockade der Aktivisten hatte, dauern an. Wut und Empörung wachsen, doch die Demonstranten lassen sich davon nicht aufhalten: Bereits am Mittwoch blockierten sie mit dem Platz der Vereinten Nationen in Berlin-Friedrichshain erneut eine Straße.

In der Nacht von Donnerstag auf Freitag berichtete der "Spiegel" über ein Schreiben der Gruppe zu dem Unfall. Darin bedauern die Aktivisten den Tod der Radfahrerin, das sei "furchtbar": "Wir sind bestürzt und in Trauer." Die Gruppe kritisiert aber vor allem die Presse vehement: "Dass ein ganzes Mediensystem sich gegen uns wenden würde, damit haben wir nicht gerechnet." Sie sehen "eine Welle der Vorwürfe, Unwahrheiten und Hetze", die sich gegen sie richte – und kündigen weitere Proteste an.

Die Grünen stecken in der Klemme

Eine Partei bringt der steigende Druck der Gruppe besonders in Schwierigkeiten: die Grünen. Die "Letzte Generation" vertritt die Klimaziele der Öko-Partei quasi in Reinform. Und sie tut es mit einer Vehemenz, die viele Grüne an ihre eigene Sturm-und-Drang-Phase, etwa die nicht immer friedlichen Proteste gegen Atomkraft, erinnert. Im April hatte Grünen-Chefin Ricarda Lang noch Verständnis für die Straßenblockaden gezeigt: "Ich halte zivilen Ungehorsam dann für ein legitimes Mittel des politischen Protests, wenn er eben friedlich vonstattengeht", sagte sie damals dem "Tagesspiegel". Lang warnte aber auch: "Klar ist, es darf niemand gefährdet werden."

Stefan Gelbhaar, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, fordert, den Fokus nicht auf die Proteste der "Letzten Generation" zu legen, sondern dringt auf eine Aufklärung der Unfallursachen: Sei beispielsweise die Geschwindigkeit überschritten worden? Habe der Betonmischer einen Abbiegeassistenten verwendet? Das gelte es nun aufzuklären, sagte Gelbhaar t-online. "Derart schlimme, tödliche Abbiegeunfälle sind vermeidbar: Geschwindigkeit runter, mehr technische Umfeldsicherheit im Fahrzeug, besseres Kreuzungsdesign und mehr Vor- und Rücksicht."

In der Empörung über die Klimaaktivisten sieht der Grünen-Politiker ein Problem: "Die Debatte über die "Letzte Generation" löst Erregung aus und lenkt damit von der eigentlichen Verantwortung ab." Plötzlich sei von den Ursachen für den Unfall nicht mehr die Rede – das aber werde dem Tod der Radfahrerin und dem Leid ihrer Familie nicht gerecht. "Die Gerichte werden in einiger Zeit die tatsächliche Verantwortung für den Tod der Radfahrerin feststellen."

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Doch inzwischen setzt auch bei Teilen der Grünen ein Umdenken ein. Als im Museum Barberini das Monet-Gemälde mit Kartoffelbrei beschmiert wurde, reagierte die Brandenburger Grünen-Fraktion mit einem offenen Brief. "Es ist nicht die richtige Methode", heißt es in dem Schreiben, das die beiden Fraktionsvorsitzenden Saskia Hüneke und Gert Zöller verfasst haben. Trotzdem wird im Brief die "gute Absicht" anerkannt, "im Hinblick auf die drohende Klimakatastrophe wachzurütteln". Damit ist das Dilemma der Grünen im Umgang mit radikalen Umweltdemonstranten beschrieben. Doch aktuell gibt es eine Richtung in der Partei und die lautet: eher Distanz zu den Aktivisten halten.

Die Berliner Grünen reagierten bestürzt auf den Hirntod der Radfahrerin. "Unsere Gedanken sind bei den Angehörigen und Freundinnen und Freunde der verunglückten Radfahrerin", sagte ein Parteisprecher t-online: "Alle sollten Anstand wahren. Politischer Streit und Spekulationen sind nicht geboten. Wir danken den Rettungskräften, Ärztinnen und Ärzten und Beschäftigten der Feuerwehr sowie der Polizei für ihren engagierten Einsatz."

Wenn die Grünen vom politischen Gegner und auch den eigenen Ampelpartnern in der Bundesregierung nicht mitverantwortlich gemacht werden wollen, werden sie sich künftig noch klarer abgrenzen müssen. Umgekehrt heißt das aber auch: Der politische Resonanzraum der Aktivisten würde schrumpfen. Das wiederum könnte zu einer weiteren Radikalisierung führen.

CDU: "Kein Steuergeld für radikale Straßenkleber!"

Schon jetzt baut die Opposition im Bundestag massiven Druck auf die Ampelregierung, besonders die Grünen, auf. CDU-Generalsekretär Mario Czaja fordert für die Aktivisten höhere Strafen – und von der Partei eine Distanzierung: "Vor allem die Grünen stehen jetzt in der Pflicht, sich klar von den Straßenklebern zu distanzieren und zu einer Deradikalisierung beizutragen", sagte er t-online. "Ich frage deshalb Minister Habeck: Wie lange noch will Ihr Ministerium eine radikale Organisation, die mutwillig in Kauf nimmt, dass Menschen zu Schaden kommen, aus Steuermitteln mitfinanzieren? Kein Steuergeld für radikale Straßenkleber!"

Die "Welt am Sonntag" hatte zuvor berichtet, dass Spenden für die Gruppe "Letzte Generation" auf ein Konto fließen, das vom Verein "Elinor" geführt wird, der Gruppenkonten anbietet, die an kein privates Konto gebunden sind. Der Verein wiederum wird von der Bundesregierung gefördert. Auf Anfrage der "Welt am Sonntag" teilte das Bundeswirtschaftsministerium mit, dass man das Projekt "Gruppenkonto" mit 156.420 Euro über ein Innovationsprogramm unterstützt habe.

AfD-Chefin Alice Weidel findet, es sei nun endgültig an der Zeit, dass sich die "grünen Straßenkämpfer" hinterfragten und "auch ihr politischer Arm im Bundestag und der Regierung ein Machtwort" spreche, sagte sie t-online.

Auch aus der Wissenschaft mehrt sich die Kritik. Professor Ferdinand Dudenhöffer, Direktor des Duisburger Instituts "CAR – Center Automotive Research", sagte t-online: "Selbstverständlich wollen die Aktivisten nicht, dass so etwas passiert. Mit derartigen Straßenblockaden nehmen sie aber solche tragischen Unglücksfälle fahrlässig in Kauf."

Die zerrissenen Grünen werden zunehmend zu einer Gefahr für die Ampelkoalition. Der unklare Kurs der Partei bringt damit die gesamte Regierung unter Druck. Wie scharf wollen oder müssen sie sich vom Protest abgrenzen?

SPD-Ministerin Faeser zieht bereits eine Grenze

Bundesinnenministerin Faeser (SPD) jedenfalls sagt: "Wenn Straftaten begangen werden und andere Menschen gefährdet werden, ist jede Grenze legitimen Protests überschritten", sagte sie am Donnerstag. "All das hat mit einer demokratischen Auseinandersetzung überhaupt nichts zu tun. Die Straftäter müssen schnell und konsequent verfolgt werden."

Auch aus der SPD-Fraktion kommt scharfe Kritik. "Ich halte Teile der Klimaproteste mit ihren erpresserischen Aktionen für demokratiefeindlich", sagte Katja Mast, Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion dem "Spiegel" am Donnerstagabend. "Unsere Demokratie funktioniert nicht so, dass ich meine persönlichen Ziele im Namen der guten Sache mit jedem Mittel durchsetzen kann", so Mast. Es sind rhetorische Pfeiler, die eingeschlagen werden, um die Position der Sozialdemokraten zu verdeutlichen — auch gegenüber dem grünen Koalitionspartner.

Auch in der FDP ist die Sachlage klar, der FDP-Abgeordnete Peter Heidt sagte t-online: "Ein junger Mensch wird für hirntot erklärt, es ist unglaublich traurig. Auch deshalb wird jetzt ein Umdenken einsetzen: Denn die Akzeptanz in der Bevölkerung für diese Art des Protestes schwindet immer mehr." Etliche Liberale halten die Klimaaktivisten für reine Bremser des Straßenverkehrs, die mit ihren Forderungen nichts erreichen. Wer mit Sozialdemokraten spricht, hört ähnliche Sätze, wenn auch etwas weniger scharf.

Es wirkt ein wenig, als würde die Regierung noch ihren Kurs suchen. Dabei könnten die nächsten Tage, die weiteren Proteste zeigen, wo die Grenzen der Grünen und damit auch der Ampelregierung verlaufen.

Verwendete Quellen
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