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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Drohendes Kliniksterben "Viele Politiker haben die Brisanz der Lage noch nicht begriffen"
Corona, Energiekrieg, Inflation – Krankenhäuser werden besonders von Krisen getroffen. Klinikchef Danckert warnt: Bald werden viele Häuser schließen müssen.
Die nächste Krise ist da. Wieder trifft sie Kliniken besonders hart. Denn ihr Energieverbrauch ist enorm und die Möglichkeit für Einsparungen gering. Im September riefen Krankenhäuser die "Alarmstufe Rot" aus, bundesweit gingen Angestellte auf die Straßen.
Auch Johannes Danckert schlägt Alarm: Kliniken werden reihenweise schließen müssen, wenn die Politik nicht bald reagiert, warnt er. Danckert ist stellvertretender Vorsitzender der Berliner Krankenhausgesellschaft (BKG) und Chef des größten kommunalen Klinikkonzerns Vivantes. In Berlin und Brandenburg versorgt Vivantes nach eigenen Angaben eine halbe Million Patienten pro Jahr.
Ein Gespräch über explodierende Energiepreise, marode Krankenhäuser, alternative Behandlungsmethoden und Karl Lauterbach.
t-online: Herr Danckert, 60 Prozent der Kliniken in Deutschland schreiben gerade rote Zahlen. Warum?
Johannes Danckert: Wegen eines Fehlers im System. Wir müssen uns über sogenannte Fallpauschalen finanzieren. Die decken nur den Aufwand für die Leistungen, die wir am Patienten erbringen. Darüber hinaus sollten die Länder für Investitionen in Krankenhäusern zuständig sein. Dieser Verpflichtung aber kommen sie nicht nach. Das kann auf Dauer nicht funktionieren, besonders nicht bei den Krisen in den letzten Jahren. Das ist schon lange klar. Aber der Bund handelt nicht.
Welcher Posten schlägt in der Bilanz Ihrer Kliniken gerade besonders hart zu Buche?
Die Energiepreise. Wir rechnen mit mehr als einer Verdopplung der Kosten für all unsere Krankenhäuser. In absoluten Zahlen: Wir haben im vergangenen Jahr etwas mehr als 20 Millionen Euro für Energie ausgegeben. Dieser Posten wird im kommenden Jahr wohl auf deutlich über 50 Millionen Euro steigen. Das ist gewaltig. Außerdem steigen zurzeit unsere Kosten für Instrumente und Materialien um rund 30 Prozent, die Kosten für Lebensmittel um rund 20 bis 30 Prozent. Auch hier rechnen wir mit Mehrkosten im hohen zweistelligen Millionenbereich.
Zu Person und Konzern
Johannes Danckert ist seit Juli Vorsitzender der Vivantes-Geschäftsführung, zuvor übte er das Amt kommissarisch aus. Er ist damit auch zuständig für die strategische Weiterentwicklung und Neuausrichtung von Vivantes. Bereits im Februar hat ihn die Mitgliederversammlung der Berliner Krankenhausgesellschaft (BKG) zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt.
Vivantes ist der größte kommunale Klinikkonzern Deutschlands. Er betreibt neun Krankenhäuser in Berlin und versorgt nach eigenen Angaben ein Drittel aller Berliner Patienten. Außerdem führt der Konzern unter anderem Pflegeheime, Seniorenwohnheime und ein Hospiz. Rund 18.000 Mitarbeiter arbeiten für Vivantes.
Welche Folgen hätte es, wenn die Politik nicht reagiert?
Normalität ist in den Krankenhäusern schon alleine wegen der Auswirkungen der Corona-Krise noch lange nicht angekommen. Die Kosten übersteigen noch immer die Einnahmen. Wenn sich die zusätzlichen Kosten durch die Energiekrise jetzt voll auswirken, dann wird es zu einem unkontrollierten Krankenhaussterben kommen.
Was bedeutet das genau?
Die flächendeckende Versorgung in Deutschland steht auf dem Spiel. Greift die Politik nicht ein, müssen viele Kliniken ihre Türen schließen. Es wird dann Landstriche in Deutschland geben, in denen Kranke nicht mehr versorgt, nicht einmal mehr Notfälle behandelt werden können.
Trifft das alle Krankenhäuser?
Kommunale und gemeinnützige Krankenhäuser wie uns trifft es besonders hart, weil sie auch in kostspieligen und arbeitsintensiven Segmenten Versorgung gewährleisten, während private Kliniken sich oft die lukrativen Bereiche herauspicken. Die Lage war in den vergangenen Jahren oft ernst. So ernst aber war sie noch nie.
Wäre die Versorgung nicht auch mit weniger Krankenhäusern zu stemmen?
Das wäre möglich. Auch wir plädieren für eine Reduzierung der Bettenzahl. Aber das braucht Ordnung, das braucht Strategie und Überlegung. Man muss das System so umbauen, dass keine Versorgungslücken gerissen werden. Und eben das passiert gerade nicht. Der Bund verfällt gerade lediglich in wilden Aktionismus, um irgendetwas vorzuweisen.
Wie viele Menschen würden bei Vivantes ihren Job verlieren, wenn die Kliniken schließen müssten?
Wir behandeln in neun Kliniken pro Jahr rund 500.000 Patienten und haben etwas mehr als 18.000 Mitarbeitende. Neben den Kliniken betreiben wir noch etliche Medizinische Versorgungszentren (MVZ) und sind Berlins zweitgrößter Pflegeheimbetreiber. Wenn das wegbricht, hat die Region ein erhebliches Problem. Und das gilt nicht nur für uns. Krankenhäuser sind überall ein wichtiger Teil der Infrastruktur. Viele Politiker haben die Brisanz der Lage noch nicht begriffen.
Wenn sich nichts tut: Wann müsste Vivantes Insolvenz anmelden?
Gerade steuern wir mit den Reserven gegen, die eigentlich für dringend notwendige Investitionen gedacht waren – zum Beispiel für Krankenhausneubauten. Das wird bei uns für die nächsten zwölf Monate sicher reichen. Aber auch uns wird irgendwann die Kasse leerlaufen. Und schon jetzt verschiebt man so nur das Problem.
Wie meinen Sie das?
Weil in der Vergangenheit kein Geld für Bauinvestitionen da war, treffen uns die Energiepreise heute besonders hart. Eine unserer neun Kliniken verbraucht zum Beispiel 25 Prozent des Gesamt-Energiebedarfs von Vivantes. Das liegt daran, dass das Haus nicht saniert wurde und die Technik völlig veraltet ist. Wir scherzen schon: Es ist egal, ob wir da die Fenster offen oder geschlossen halten. Aber dieses Versäumnis der Politik ist in der Konsequenz sehr bitter – für uns und für die Volkswirtschaft.
Legt Gesundheitsminister Lauterbach den Fokus stark genug auf Kliniken angesichts dieser Krise?
Nein, das tut er überhaupt nicht. Er kümmert sich um Einzelprobleme, ich erkenne aber keinen ganzheitlichen Reformansatz. So bleibt das Grunddilemma: Wir können keinen einzigen Preis weitergeben, weil wir unsere Refinanzierung mit den Krankenkassen vorab verhandeln und fixieren müssen. Wir verhandeln Jahr für Jahr lediglich die voraussichtlichen Kostensteigerungen für das kommende Jahr. Das waren damals 2,3 Prozent Steigerung für 2022. Die tatsächliche Inflation ist aber um ein Vielfaches höher. Diese Verluste können wir nun nicht wieder aufholen.
Dabei ist Herr Lauterbach sehr gut mit dem Fallpauschalensystem vertraut.
Er war an der Einführung beteiligt. Deswegen wäre es aus meiner Sicht für ihn auch leichter, die entsprechenden Schwachstellen zu beseitigen. Oder es bedarf eines ganz anderen Ansatzes, der auch gewollt und getrieben sein muss. Es braucht eine mutige Reform, nicht nur kleine Nachbesserungen.
Was ist da denkbar?
Es gibt viele gute Ideen, deren Verwirklichung nur etwas Mut und Engagement erfordert. Viele andere Länder Europas zeigen uns schon heute, dass man viel mehr Patienten ambulant behandeln kann, als wir es in Deutschland tun. Dänemark ist dafür ein gutes Beispiel. Dort hat man die Anzahl der Betten reduziert und durch andere Versorgungsangebote ersetzt. Im Ergebnis kann man in einem solchen System unsere wichtigste Ressource Personal besser zum Nutzen der Patienten einsetzen.
Welche Eingriffe, die in Deutschland stationär gemacht werden, könnten auch ambulant erfolgen?
Da gibt es eine ganze Reihe. Viele Eingriffe könnten ganz ambulant vorgenommen werden, wie zum Beispiel Mandelentfernungen, oder mit deutlich kürzeren Liegezeiten, wie Endoprothesen. Das machen uns andere europäische Länder im OECD-Vergleich längst vor.
Uniper und andere Energieunternehmen erhalten große staatliche Unterstützungen. Sehen Sie hier insgesamt eine Schieflage, ist der Gesundheitsbereich nicht stark genug im Fokus?
In der Corona-Krise hatte man uns stark im Blick, da brauchte man uns und war froh, dass es die Krankenhäuser gab. Jetzt sind wir völlig durch das Raster gerutscht. Wir wurden und werden vergessen. Und das, obwohl auf dem Höhepunkt der Corona-Krise alle betont haben: Wir müssen das System verbessern.
Der Bundeskanzler, die Minister und die Regierungschefs der Länder haben am Dienstag getagt – ohne konkrete Ergebnisse für den Krankenhaus-Bereich. Sind Sie enttäuscht?
Man ist sich einig, dass etwas passieren muss, aber streitet sich noch darum, wer die Rechnung bezahlt. Das ist nicht nur enttäuschend, sondern höchst alarmierend. Wir hätten uns ein deutliches Signal gewünscht, dass man die Krankenhäuser als wichtigen Pfeiler unserer kritischen Infrastruktur auf dem Schirm hat und diese nicht bloß "unter ferner liefen" als noch zu besprechendes Thema erwähnt werden.
Wir haben nicht mehr viel Zeit. In Brandenburg ist bereits ein Krankenhaus in die Insolvenz gegangen. Wenn die Gaspreisbremse für die Krankenhäuser greift, löst das nur einen Teil der Probleme. Aber dann bleibt immer noch offen, wie wir die Rechnungen für Strom und Verbrauchsmaterialien begleichen sollen. Wir brauchen schnelle und umfassende Hilfe.
Was fordern Sie konkret von Bund und Ländern – und wann?
Wir fordern als Sofortmaßnahme einen Aufschlag von vier Prozent auf die Rechnungen. Das ist die schnellste und pragmatischste Lösung, um den Inflationseffekt in diesem Jahr auszugleichen. Und das muss jetzt passieren, sofort. Danach müssen wir die Preise, die wir vorab mit den Kostenträgern vereinbart haben, an die tatsächliche Inflation anpassen. Und dann braucht es dringend die Reform des gesamten Finanzierungssystems.
Wir danken Ihnen für das Gespräch, Herr Danckert!
- Gespräch mit Johannes Danckert