"Immer wieder Überraschungen" Wissenschaftler stellt bei "Markus Lanz" düstere Prognose auf
Die Omikron-Variante könnte wichtige Bereiche des gesellschaftlichen Lebens zum Erliegen bringen. Warum die Impfung trotz geringen Infektionsschutzes wichtig ist, erläuterte der Modellierer Dirk Brockmann. Er verwies auf einen wichtigen Unterschied.
Omikron, Impfpflicht, Rentenpolitik. Markus Lanz konfrontierte seine Talkgäste am Donnerstag mit drängenden Fragen und wurde mit starken Diskussionsbeiträgen dafür belohnt. Der Physiker Dirk Brockmann, von Lanz als "einer der besten Modellierer des Landes" vorgestellt, hielt in Deutschland 6 Millionen Ansteckungen mit der Omikron-Variante in einem Zeitraum von nur zehn Tagen für möglich. Die Folgen für die kritische Infrastruktur könnten in diesem Fall gravierend sein.
Die Gäste:
- Monika Schnitzer, Wirtschaftsweise
- Ralf Stegner, SPD-Bundestagsabgeordneter
- Prof. Dirk Brockmann, Physiker
- Kerstin Münstermann, Journalistin
Brockmann betonte vor diesem Hintergrund wiederholt die Bedeutung der Corona-Impfung. Diese sei "absolut kritisch und wichtig". Eine Aussage, die nur in scheinbarem Widerspruch zum Eingangsstatement des Wissenschaftlers stand, dem zufolge die Impfung "praktisch keinen Infektionsschutz" biete. Um Missverständnisse zu vermeiden, wurde der Experte für die Dynamik komplexer Systeme nicht müde zu betonen, dass man zwischen dem Schutz vor einer Ansteckung und dem Schutz vor einem schweren Krankheitsverlauf unterscheiden müsse.
"Während die Impfung extrem wichtig ist, auch die Booster-Impfung, um gegen schwere Erkrankungen zu schützen, ist es jetzt bei der Omikron-Variante eben so, dass der Schutz gegen die Infektion, also wenn man zweimal geimpft ist, praktisch nach kurzer Zeit nach der zweiten Impfung gar nicht mehr da ist, und auch nach der Booster-Impfung sehr schnell nachlässt", so Brockmann. Die Folge: Die Infektionsdynamik bei Omikron ist nahezu ungebremst, die Zahl der Hospitalisierungen aber im Verhältnis zur Inzidenz deutlich niedriger.
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Davon, der unfassbar schnellen Ausbreitung tatenlos zuzusehen, riet der Professor der Berliner Humboldt-Universität dennoch entschieden ab. "Es ist clever, diese Omikron-Welle möglichst stark in Schach zu halten", konstatierte Brockmann mit Blick auf den möglichen Ausfall von Millionen Arbeitskräften und riet dazu, sich Gedanken über die Quarantänedauer zu machen sowie auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein. "Ein wesentlicher Punkt dieser Pandemie ist, dass immer wieder Überraschungen kamen", lautete sein Fazit.
Ralf Stegner: "Es würde Massenpanik entstehen"
Dass die Politik diesen Punkt in der jüngeren Vergangenheit nicht immer ausreichend beherzigt hat, musste SPD-Politiker Ralf Stegner selbstkritisch einräumen. Es sei ein Fehler gewesen, eine Impfpflicht abzulehnen, gab der Sozialdemokrat zu, der sich im vergangenen Sommer noch deutlich dagegen geäußert hatte und mittlerweile nach eigener Aussage ein "entschiedener Befürworter" ist.
Auch Stegner warnte vor einem Zusammenbruch der Versorgung in den Bereichen Sicherheit, Gesundheit, Finanzen, Energie und Verkehr infolge unzähliger Ansteckungen mit der Omikron-Variante. "Wir hätten nicht nur innerhalb kürzester Zeit Chaos, sondern es würde Massenpanik entstehen", gab der SPD-Mann zu bedenken und stellte eine Abstimmung über die Impfpflicht noch vor Ablauf des aktuellen Quartals, also bis Ende März, in Aussicht.
Gleichzeitig verteidigte Stegner die umstrittene Regierungslinie, den Bundestag in freier Abstimmung und nach nochmaliger Debatte über Pläne der Parteien zur Impfpflicht entscheiden zu lassen, statt ein eigenes Vorhaben einzubringen und mit der – allerdings keinesfalls sicheren – Koalitionsmehrheit durchzusetzen.
Die Leiterin des Berliner Parlamentsbüros der "Rheinischen Post", Kerstin Münstermann, sprach von der "vielleicht größten Abstimmung, die wir seit Langem hatten". Sie erkannte im zögerlichen Verhalten der Regierung vor allem "Angst vor der eigenen Courage". Außerdem gebe es in der FDP deutlichen Widerspruch gegen eine Impfpflicht.
Düstere Prognosen auch beim Thema Rentenpolitik
Für die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer taten sich angesichts des Zauderns und Aufschiebens sogar Parallelen zum anderen großen Thema des Abends, der Rentenpolitik, auf. Die Ökonomin stellte Deutschland in Sachen Alterssicherung vor die Wahl zwischen einer grundlegenden Rentenreform oder einer Nettozuwanderung von 400.000 Personen pro Jahr. Das wären angesichts der verhältnismäßig hohen Abwanderungsquote nach ihrer Rechnung 1,5 Millionen Menschen, die jährlich zuziehen müssten.
"Wir müssen tatsächlich in der ganzen Welt suchen", forderte Schnitzer, die allerdings selbst nicht ganz an die Möglichkeit einer derart hohen Zuwanderung zu glauben schien und daher auf die Bedeutung der anderen Stellschrauben verwies. So schlug die Professorin der Ludwig-Maximilians-Universität München etwa vor, die Renten weniger stark anzuheben, zum Ausgleich eine Umverteilung zugunsten der Menschen mit kleineren Renten vorzunehmen und einen Teil der Rentenbeiträge an den Aktienmärkten zu investieren.
Münstermann, die die Lage ebenfalls "ganz pessimistisch" beurteilte und junge Menschen als "absolute Verlierer" der Rentenpolitik bezeichnete, brachte die zusätzliche Möglichkeit einer Erhöhung der Rentenbeiträge ins Spiel. Düstere Aussichten für die staatliche Altersvorsorge also, und das ausgerechnet kurz nachdem Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) "eine kräftige Rentenerhöhung" für dieses Jahr in Aussicht gestellt und sich gegen Versuche verwahrt hatte, "die gesetzliche Rente kaputt zu reden".
- Markus Lanz vom 13.01.2022