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AfD im Wahlkampf: Migration – fällt die Brandmauer der CDU?


Debatte über Migration
Es fallen immer mehr Schranken

MeinungEin Gastbeitrag von Monty Ott

17.02.2025Lesedauer: 5 Min.
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Alice Weidel: Die AfD-Bundessprecherin ist Kanzlerkandidatin bei der Bundestagswahl. (Quelle: imago-images-bilder)
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Nach einem mutmaßlichen islamistischen Anschlag in München ist die Migrationsdebatte im deutschen Wahlkampf vollends entbrannt. Die AfD profitiert davon. Wie reagiert die Union darauf?

Wieder ein Anschlag. Verstörende Bilder. Ein beschädigter Mini-Cooper auf einer Münchner Straße. Beschädigt, weil ihn ein 24-jähriger aus Afghanistan geflüchteter Mann in einen Verdi-Demonstrationszug gefahren hat. Nach einem abgelehnten Asylantrag hatte er dennoch in Deutschland bleiben können und hatte 2021 sogar eine Aufenthaltserlaubnis erhalten.

Es ist davon auszugehen, dass es sich um einen islamistischen Anschlag handelte. Insbesondere, weil der Täter dies selbst gegenüber der Polizei bekräftigte. Seine Radikalisierung scheint in einem kurzen Zeitraum stattgefunden zu haben.

Islamismus ist kein neues Problem. Man könnte bis zu 9/11 oder der sogenannten Islamischen Revolution im Iran zurückgehen. In Deutschland haben islamistische Bewegungen – dschihadistisch und legalistisch – lange Zeit relativ unbedrängt arbeiten können. Die legalistischen Gruppierungen wurden teilweise sogar von der Politik hofiert.

Etliche Kriegsverbrecher des sogenannten Islamischen Staats (IS) wurden in Deutschland rekrutiert – darunter auch eine nennenswerte Zahl an Konvertitinnen und Konvertiten. So wäre der Anschlag in München also erneut Anlass genug, um über Islamismus zu sprechen.

Doch es ist auch Wahlkampf. Wir befinden uns in der "Crunch-Time", es sind nur noch sechs Tage. Und die ewige Fantasie der AfD ist in Erfüllung gegangen: Migration ist das alles bestimmende Wahlkampfthema.

Irreparabler Schaden

Spulen wir zurück: zum 27. Januar 2025. Es war eine historische Woche. Sie begann mit dem 80. Jahrestag der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz durch die Rote Armee. Am Mittwoch kam es dann, nach der alljährlichen Gedenkzeremonie anlässlich des 27. Januars im Deutschen Bundestag, zum historischen Tabubruch. Die Unionsfraktion unter Führung von Friedrich Merz brachte einen sogenannten Entschließungsantrag ein. Dieser ist nicht rechtlich bindend.

Umso schockierender, dass man sich die Mehrheit dafür ausgerechnet bei der extrem rechten AfD holte. Auch wenn das anschließend eingebrachte Zustrombegrenzungsgesetz dank des Ausscherens einiger Unions- und FDP-Abgeordneter keine Mehrheit fand, war der Schaden irreparabel.

Eine äußerst fragwürdige Argumentation

Immer wieder war aus den Reihen von Konservativen und Liberalen zu hören, dass es eben die Mehrheit der Bevölkerung sei, die eine radikale Veränderung der Migrationspolitik fordere. Es klang immer wieder so, als würde es sich hier um einen Akt direkter Demokratie handeln. Der Union sei also gar nichts anderes übrig geblieben.

Eine äußerst fragwürdige Argumentation – nicht nur, weil die AfD in ihrer Selbstinszenierung als "Stimme des Volkes" mehr direkte Demokratie fordert. Es ist auch die historische Erfahrung, dass Minderheitenrechte geschützt werden müssen.

Zur Person

Monty Ott ist Autor, Politik- und Religionswissenschaftler. Er hat in Hannover studiert. Ott beschäftigt sich in seinen Schriften häufig mit Themen wie jüdischer Identität, Geschichte und Erinnerungskultur. Anfang 2023 ist sein gemeinsam mit Ruben Gerczikow verfasster Reportageband "Wir lassen uns nicht unterkriegen – Junge jüdische Politik in Deutschland" erschienen. Monty Ott lebt und arbeitet in Berlin.

Maximilian Steinbeis, Autor des Verfassungsblogs, spricht davon, dass die Wunsiedel-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 2009 gezeigt habe, dass "Anti-Nationalsozialismus das Fundament unseres Staatswesens ist". Das Urteil ist, verkürzt gesagt, eine Grundsatzentscheidung, wonach es rechtmäßig ist, dass Volksverhetzung unter Strafe steht.

Denn: Das Grundgesetz soll doch gerade vor einer Tyrannei der Mehrheit schützen. Gerade wenn es eine Mehrheit ist, die mit der extremen Rechten entsteht.

Ein ganz neuer Höhepunkt

Im Jahr 2022 schrieb der Politikwissenschaftler Claus Leggewie, dass die "Gretchenfrage rund um den Globus lautet […], ob die konservativen Parteien der radikalen Rechten standhalten oder nachgeben." Das "Wackeln der Konservativen", so führte Leggewie in dem nach wie vor sehr aktuellen Essay aus, habe zur "demokratischen Regression" beigetragen, die "seit der Jahrtausendwende weltweit zu registrieren ist".

Und dieses Wackeln erreicht auch in Deutschland einen ganz neuen Höhepunkt: Mit der Aussicht auf den Wahlsieg in einer knappen Woche scheinen sich viele mit großem Tamtam proklamierte Tabus aufzulösen. Zumindest vermittelt die Union aktuell diesen Eindruck.

Zwar hat der Kanzlerkandidat Friedrich Merz lange seine Autorität als CDU-Vorsitzender genutzt, um die "Brandmauer" gegen die AfD aufrechtzuerhalten, doch scheint sie mit abnehmender Zeit bis zum Wahltag immer mehr zu bröckeln. Auch wenn Merz mehrfach betont hat, es werde keine Zusammenarbeit mit der AfD geben.

Immer wieder wird die migrationspolitische Wende gefordert. Dabei bleibt freilich unerwähnt, dass bereits die viel für ihre Migrationspolitik gescholtene Ampel eine radikale Kehrtwende vollzogen und eine restriktive Migrationspolitik durchgesetzt hat. Wie einst in den 90er-Jahren beantwortet die Bundespolitik den gesellschaftlichen Rechtsruck mit einem ordentlichen Ruck nach rechts.

Bringt die Union nach der Wahl ihre migrationspolitischen Anträge tatsächlich mit einer Mehrheit der AfD durch den Bundestag, muss man die Bedeutung der "Brandmauer" grundsätzlich hinterfragen. Für eine solche Politik gäbe es inzwischen mächtige Verbündete. Und damit sind nicht jene Regierungschefs gemeint, die in anderen europäischen Ländern bereits die liberale Demokratie schleifen.

Die Angst lähmt

Der US-amerikanische Vizepräsident J. D. Vance sprach auf der Münchener Sicherheitskonferenz (MSC) nicht über die Verhandlungen zwischen US-Präsident Donald Trump und Wladimir Putin oder erklärte, warum einer der wichtigsten Partner die Nato-Bemühungen anscheinend untergräbt.

Ausgerechnet er, möchte man sagen, belehrte europäische Verbündete über Meinungsfreiheit. Bereits vor der MSC hatte Vance in einem Beitrag für das "Wall Street Journal" diese Anwürfe erhoben und forderte zur Zusammenarbeit mit der AfD auf. Nach seiner Rede traf er dann noch AfD-Chefin Alice Weidel – nicht aber Kanzler Olaf Scholz.

Durch kleine und große Tabubrüche wurde die gesellschaftliche Sensibilität ohnehin bereits untergraben. Immer ein kleines Stückchen weiter normalisieren. Seit Jahren hat die AfD die demokratischen Parteien vor sich hergetrieben, ganz so, wie es der ehemalige Trump-Stratege und extrem rechte Akteur Steve Bannon 2019 bei seinem Deutschland-Besuch skizziert haben dürfte.

Die Angst lähmt. Demokratische Errungenschaften werden geschliffen. Das Asylrecht, eine Reaktion auf die Gräuel der NS-Zeit, soll nicht weiter eingegrenzt, sondern komplett abgeschafft werden. So erträumt es sich die AfD – und anscheinend ist sie damit nicht alleine.

Die Grenzen wurden weiter verschoben

Wie weit ist es da noch bis zur Forderung von "Remigration"? Und Jüdinnen und Juden bemerken seit Jahren, in welche Richtung es geht. Der Antisemitismus ist der Lackmustest der Demokratie. Zwar hat der deutsche Staat in den vergangenen zwei Jahrzehnten damit begonnen, die Bekämpfung von Antisemitismus als seine Aufgabe zu verstehen und zu erproben. Aber wir stehen noch ganz am Anfang dieser Entwicklung. Gleichzeitig sind – nicht nur in Deutschland, sondern weltweit – immer mehr Schranken gefallen. Nicht zuletzt wegen Donald Trump.

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Die Schlagbäume der Grenzen des Sag- und leider auch Machbaren wurden immer weiter abgebaut. Antisemitismus wurde immer weiter normalisiert. Und dafür trägt nicht nur die politische Rechte die Verantwortung, sondern auch eine Linke, in der Erinnerungsabwehr und israelbezogener Antisemitismus aufblühten. Wie sollen nachhaltige linke Bündnisse und eine wirklich tragbare progressive Vision entstehen – die es gerade so dringend bräuchte –, wenn in vielen linken Räumen tiefe Gräben klaffen?

Der 7. Oktober hat noch tiefgreifender aufgerissen, was da schon seit Langem zu beobachten war. Die Relativierung der antisemitischen und sexuellen Gewalt am "Schwarzen Shabbat" selbst und der darauffolgenden Wellen an Antisemitismus waren auch in der deutschen Linken anzutreffen.

Antisemitismus als gesamtgesellschaftliches Problem

Jüdinnen und Juden zogen sich oft in die Einsamkeit zurück – wie die linke Ikone Eva Illouz, die über ihre massive Enttäuschung gegenüber der globalen Linken sprach. Der Kampf gegen die politische Rechte kann doch nur dann gelingen, wenn man den Antisemitismus als gesamtgesellschaftliches Problem begreift.

Blicken wir zurück auf den 27. Januar, müssen wir uns die Frage stellen, wie viel Wahrheit in den vollmundigen Reden steckte. Wieder einmal nahmen alle demokratischen Parteien für sich in Anspruch, wirklich aus der Geschichte gelernt zu haben.

Dabei entscheidet sich in diesen Tagen nicht weniger als die Zukunft unserer Demokratie. Wie diese Reise weitergeht, das hängt an den Konservativen: Werden sich die staatstragenden, demokratischen Kräfte durchsetzen oder die trumpistischen? Noch liegt der Ball im Feld der Union, um einzulenken. Noch.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben die Meinungen der Autoren wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.

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