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Corona-Mutationen und Schulöffnungen: Eine Stadt zieht die Notbremse


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Problem durch Virus-Mutanten
Schulöffnungen: Eine Stadt zieht die Notbremse


Aktualisiert am 22.02.2021Lesedauer: 7 Min.
Kita als Corona-Treiber: 26 Fälle in der Kleinstadt Bad Ems werden direkt der Einrichtung zugeschrieben, dort und in einer anderen Kita hat die britische Variante um sich gegiffen. Deshalb ist die Öffnung der Schulen in letzter Minute gestoppt.Vergrößern des Bildes
Kita als Corona-Treiber: 26 Fälle in der Kleinstadt Bad Ems werden direkt der Einrichtung zugeschrieben, dort und in einer anderen Kita hat die britische Variante um sich gegriffen. Deshalb ist die Öffnung der Schulen in letzter Minute gestoppt. (Quelle: Willi Willig)
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Kurz vor der geplanten Öffnung der Grundschulen am Montag schlagen Kommunen Alarm. Blick in eine Stadt, in der die Mutation grassiert und in der in letzter Sekunde die Schulöffnung gekippt wird.

Die Nachricht ließ Oliver Krügel kurz aufatmen, und sie kam am Samstag um 13 Uhr: Auch die zweite Grundschule wird am Montag in Bad Ems, wo der 35-Jährige Bürgermeister ist, nicht wieder öffnen. "Wir können jetzt keine Grundschulen öffnen, und ich bin froh, dass sich die Erkenntnis durchgesetzt hat." Eine Stadt zieht die Notbremse, weil die ansteckende Variante Vorboten der dritten Welle schickt. Und die Eltern sind erleichtert.

Bad Ems könnte als Beispiel dafür stehen, was vielerorts in Deutschland passieren kann. Während ringsum, wo die Mutation nicht verbreitet ist, rückläufige Corona-Zahlen Hoffnung machen, greift in der Stadt die britische Variante schnell um sich.

Jeder dritte Fall im Kreis aus der Kleinstadt

Nur jeder zwölfte Bewohner des Rhein-Lahn-Kreises lebt in der Kreisstadt mit knapp 10.000-Einwohnern, aber fast jeder dritte (29,3 Prozent) Corona-Fall ist von dort gemeldet. Die Inzidenz auf Kreisebene ist nach einem Rückgang bis auf 50 schon wieder auf fast 80 gestiegen, und das ist nur die halbe Wahrheit: In manchen Gemeinden werden zum Teil seit etlichen Tagen keine neuen Fälle mehr gezählt, aber das wird wettgemacht, weil in Bad Ems und umliegenden Orten die Zahlen stark steigen. Die britische Variante hat die Kitas besucht.

Ausgerechnet Kitas. Als der zweite Lockdown im Dezember beschlossen wurde, scherte Bad Ems von der rheinland-pfälzischen Regel aus. Kein eingeschränkter Regelbetrieb in Kitas, wie es das Land wollte, nur Notbetrieb und Kritik von CDU-Bürgermeister Krügel an der Linie der rot-gelb-grünen Landesregierung: Dort erkenne man nicht, dass sich die Kleinsten nicht an Abstandsregeln halten können und Erzieher besser geschützt werden müssten.

Am Samstag hatte er Erfolg, alle Grundschulen bleiben zu. Und am Montag ist auf seine Initiative in einem Kita-Gipfel beraten worden, wie es dort weitergeht: In Bad Ems werden alle Kitas bis zum 5. März geschlossen. In umliegenden Orten gehen an die Eltern lediglich dringende Appelle, die Kinder nicht in die dortigen Einrichtungen zu bringen.* Krügel zuvor: "In so einer Krise brauchen wir klare Entscheidungen, und es ist in der Situation nicht nachzuvollziehen, die Kitas außen vor zu lassen", sagt Krügel.

Es ist nicht so, dass er kompromisslos für einen strengen Lockdown eintreten würde. Für die Kinder sei es sehr schwierig, ein Jahr in der derzeitigen Situation habe für sie noch eine ganz andere Bedeutung, weil es ein Großteil des Lebens bisher bedeute.

Und im Einzelhandel, wo Schutzkonzepte auch wirksam greifen könnten, plädiert er sogar für Lockerungen und Öffnungen. Aber das Einhalten von Abstandsregeln und wirksamer Schutz durch Masken sei nichts, was man von Kindern in der Grundschule erwarten könne – oder gar in Kitas.

Ende Januar kündigte sich Unheil an

In einer Kita kündigt sich das Unheil am letzten Freitag im Januar an, mit Grippesymptomen bei einer Erzieherin. Die Mitarbeiterin der städtischen Kita Haus Maria Anna geht heim, bleibt dort auch in den nächsten Tagen. Die Kita schließt am Mittwoch, 3. Februar, weil das Testergebnis der Frau positiv ist: Corona. In der folgenden Woche soll eigentlich wieder geöffnet werden. Routine.

Da weiß aber noch keiner, was am 6. Februar bekannt wird und was es noch nach sich ziehen wird.

An diesem Tag steht auch das Ergebnis der Sequenzierung fest: Die Erzieherin ist an der britischen Variante B.1.1.7 erkrankt. Kreisweit gibt es zu diesem Zeitpunkt elf Mutanten bei 248 Fällen. Inzwischen sind es 78 bei 225 Infizierten, das sind hohe 35 Prozent aller Fälle. Und sie konzentrieren sich vor allem auf Bad Ems.

Was dort im Kleinen zu sehen ist, deutet ein Modell für Baden-Württemberg an, wo seit mehreren Wochen systematisch nach den Mutanten gesucht wird. Weil bekannt ist, wie viel übertragbarer die problematischen Varianten sind, lässt sich hochrechnen, wie sich deren Auftreten auf die Entwicklung der Gesamtzahlen auswirkt. “Bei ansonsten unveränderten Bedingungen wird das schnelle Wachstum der Varianten die rückläufigen Zahlen des herkömmlichen Virus überschatten und zu steigenden Gesamtzahlen führen”, sagt Cornelius Römer. Der Physiker hat schon zu Weihnachten auf die Gefahr der Mutanten hingewiesen und verfolgt die Zahlen intensiv.

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Römer zu t-online: "Wo die Varianten bereits einen höheren Anteil haben, wie offenbar in Bad Ems oder Flensburg, ist der Einfluss auf die Inzidenz bereits jetzt stark spürbar – wie das in anderen Regionen erst in ein paar Wochen der Fall sein wird und im Modell für Baden-Württemberg ablesbar ist."

In Bad Ems sehen die zwei Wochen, in denen sich die registrierten Fälle mit der Mutation versiebenfacht haben, im Schnelldurchlauf so aus: Am 9. Februar sind bereits bei fünf Erzieherinnen der Kita Haus Maria Anna, einem Kind und einer Mutter die Mutante bestätigt. An diesem Tag verkündet die brandenburgische Bildungsministerin Britta Ernst den Willen der Kultusminister, dass "beginnend ab dem 15. Februar (...) auch die unteren Jahrgänge wieder zur Schule gehen sollen, wenn die gute Entwicklung der Inzidenzwerte anhält". Die Ministerpräsidenten werden daraus in den meisten Bundesländern den 22. machen. Den Tag, an dem auch in Bad Ems die Grundschulen wieder öffnen sollten und es jetzt doch nicht tun.

Zweite Kita kam ins Spiel

Am 13. Februar gibt es in Bad Ems aus einer zweiten Kita ("Play & Fun") den ersten bestätigten Fall einer Mitarbeiterin mit Mutation. "Weitere Testergebnisse stehen noch aus", heißt es von der Kreisverwaltung. Der Satz wird Formel für kommende schlechte Nachrichten. In der Kita Haus Maria Anna ist – mit neuen Testergebnissen – die Zahl weiter gestiegen: 18 Personen sind nun nach den Zahlen des Kreises positiv, davon 16 mit Mutante. Zu dem Cluster zählt das Gesundheitsamt inzwischen nicht nur Mitarbeiter und deren Partner, Kita-Kinder und deren Eltern und Geschwister, sondern auch von diesen angesteckte Kontakte. Kreisweit ist bei 226 Fällen 44-mal B.1.1.7 im Spiel.

Die Zahlen steigen weiter in beiden Kitas. Am 17. zählt das Gesundheitsamt des Kreises bei der Kita Play & Fun sechs Infizierte, alle mit Mutation.

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Es kommt der 19. Februar, und in Berlin geht RKI-Chef Lothar Wieler auf Journalistenfragen ein. "B.1.1.7 ist noch ansteckender und wahrscheinlich gefährlicher", sagt er. "Wir müssen uns darauf einstellen, dass die Bekämpfung der Pandemie schwieriger wird." In Bad Ems ist eine erkrankte Person aus dem Kita-Cluster nach drei Tagen wieder aus dem Krankenhaus entlassen und die ersten beiden Erzieherinnen wieder negativ. Vier andere in der städtischen Kita nicht: "Die fühlen sich noch total im Eimer", sagt Stadtchef Krügel.

RKI-Chef Wieler erwartet mehr infizierte Kinder

Rund um die Kita Maria Anna werden an diesem Tag 25 Infizierte gezählt, 23 mit festgestellter Mutation, dazu bei der zweiten Kita elf mit B.1.1.7. In Berlin sagt Wieler zu den Journalisten: "Weil sich die ansteckenderen Varianten ausbreiten, erwarte ich mehr Ausbrüche auch unter jüngeren Menschen, es werden auch mehr junge Erwachsene, Jugendliche und Kinder erkranken."

Da die Schulen öffnen? Die Schulaufsicht des Landes Rheinland-Pfalz ist bei der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) in Trier angesiedelt, und dort wird Bad Ems mit einem dringenden Appell vorstellig. Aber nicht nur Bad Ems.

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Es meldet sich Fritz Brechtel, CDU-Landrat aus dem pfälzischen Kreis Germersheim, wo Mutationen früh festgestellt wurden, sie 25 Prozent der Fälle ausmachen und die Inzidenz mit deutlich über 100 doppelt so hoch ist wie der Landesschnitt: "Obwohl die Einrichtungen nur im Notbetrieb liefen, gab es in zwei Grundschulen sowie einer Realschule vier Ausbrüche und in sechs Kitas insgesamt zwölf Ausbrüche.“

Der Landrat berichtet von Erkenntnissen seines Gesundheitsamts: Die Inkubationszeit der Fälle mit Variante lag deutlich über der Dauer von fünf Tagen. "Die Gefahr besteht nun darin, dass Kindergarten- oder Schulkinder kaum Symptome zeigen und bei einer Infektion viele Personen lange Zeit unbemerkt anstecken können." Das heißt: Kitas und Schulen könnten zum Treiber der Infektion werden, was die Kultusminister und einige Verbände monatelang vehement zurückgewiesen haben.

Präsenzpflicht in zwei Kreisen ausgesetzt

Die Appelle kommen an: Noch am Freitag gibt die ADD Pressemitteilungen heraus, dass im Kreis Germersheim und im Kreis Cochem-Zell die Präsenzpflicht ausgesetzt wird. Es sind jeweils CDU-Hochburgen, die damit von den Plänen des Landes abweichen. Die ADD-Spitze erklärt aber: "Wir haben seitens des Landes immer betont, dass der Start des Wechselunterrichts in Einklang mit dem Infektionsgeschehen stehen muss."

Keine Pressemitteilung gibt es von der ADD zur lokalen Entscheidung in Bad Ems: Die Ernst-Born-Schule in der Nähe der Kita Play & Fun öffnet am Montag nicht, hat der Kreis in Abstimmung mit ADD entschieden. Das Drängen aus der Stadt hatte Erfolg.

Aber der Stadtbürgermeister ist damit noch nicht zufrieden: Für die Freiherr-vom-Stein-Grundschule in einem anderen Teil der Stadt soll es bei der Öffnung bleiben. Der Unmut darüber sei groß gewesen, berichtet Willi Willig, Journalist beim regionalen Sender TV Mittelrhein und in Bad Ems zu Hause. "Der öffentliche Druck war groß."

An Krügel schreiben Eltern, die ihre Kinder daheim lassen wollen, und der Bürgermeister rät: "Nach dem dritten Tag brauchen Sie ein Attest, sonst gibt es Ärger mit der Schulaufsicht. Wofür die Präsenzpflicht?" Krügel zu t-online: "Ich halte es für ein Märchen, dass die Eltern überwiegend auf schnelle Öffnung drängen. Ich habe nur Zuspruch dafür bekommen, dass ich mich dafür einsetze, jetzt nicht zu öffnen."

Am Samstag tagt der Corona-Stab des Landkreises erneut und kippt den Beschluss vom Vortag: Jetzt bleibt auch die Freiherr-vom Stein-Schule geschlossen. Der Bürgermeister bekommt ausschließlich Likes, als er das verkündet. "Das war wichtig", sagt Krügel zu t-online. "Wir müssen agieren, statt dann zu reagieren, wenn es schon zu spät ist. Und das gilt nicht nur für Bad Ems."

Update: Am Sonntag hat der Kreis Germersheim in einer Eilentscheidung beschlossen, dass dort alle Grundschulen geschlossen bleiben. Der Kreis Birkenfeld hat am Sonntag den gleichen Beschluss getroffen.

*An dieser Stelle wurde der Text mit dem Ergebnis des Kitagipfels aktualisiert.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Gespräch mit Oliver Krügel und Willi Willig
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