TV-Kritik zu "Anne Will" "Jede andere Corona-Strategie wäre besser"
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Bei "Anne Will" ging es am Sonntagabend um das sinkende Vertrauen in die Corona-Maßnahmen der Bund-Länder-Gipfel. Gesundheitsminister Spahn beantwortete nur Fragen, klinkte sich dann aber aus.
Am kommenden Sonntag läuft der aktuelle Lockdown aus. Ob er gelockert, verlängert oder verschärft werden sollte, soll am Mittwoch der nächste Bund-Länder-Gipfel zur Corona-Lage klären – und wird schon überall diskutiert. Kein Wunder, dass Anne Will ihre Talkshow nach dem "Tatort" dem Thema widmete.
Ein roter Faden sollte das in der Bevölkerung inzwischen schwindende Regierungsvertrauen sein. Dazu berichtete am Anfang der Sendung die Wissenschaftlerin Cornelia Betsch vom "COVID-19 Snapshot Monitoring"/ COSMO: Vor allem schwinde das Vertrauen bei denen, die die Maßnahmen bislang befürworteten. Das sei eine "beunruhigende Großwetterlage". Eigentlich sei "jede andere Strategie" besser als die gegenwärtige, kurzfristige, sagte Betsch.
Die Gäste:
- Jens Spahn, Bundesgesundheitsminister (CDU) im Einzelgespräch
- Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern (SPD)
- Ralph Brinkhaus, Vorsitzender der Unions-Bundestagsfraktion (CDU)
- Sahra Wagenknecht, Bundestagsabgeordnete (Die Linke)
- Georg Mascolo, Journalist (Leiter der Recherchekooperation von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung")
- Cornelia Betsch, Gesundheitskommunikations-Professorin in Erfurt
Einen Vorgeschmack darauf, was beschlossen werden dürfte, gab die aus Schwerin zugeschaltete Ministerpräsidentin Manuela Schwesig. Vor größeren Lockerungen müsse der Inzidenzwert "deutlich unter 50" sinken, doch solle ein "bundesweit einheitlicher Perspektivplan" erstellt werden. Laut diesem werde dann der Lockdown zunächst in Regionen, die keine Risikogebiete sind, zurückgenommen. Schwesig nannte ausdrücklich die Mecklenburger Großstadt Rostock. Generell sollten Kitas und Schulen Priorität haben.
Spahn kam nur per Interview
Ebenfalls zugeschaltet war Bundesgesundheitsminister Spahn – allerdings nur für ein "Einzelinterview", wie es in der Sendungs-Ankündigung hieß. Das bedeutete: Nachdem Spahn mehrere Fragen von Will beantwortet hatte, nahm er an der Diskussion nicht mehr teil. Als Schwesig den Vorwurf erhob, dass eine "klare Verabredung" zwischen Bundesländern und Bundesregierung vom Bund nicht eingehalten wurde, und dabei von weinenden älteren Menschen sprach, hörte Spahn das schon nicht mehr.
Einerseits schade, dass er dazu nicht Stellung nahm. Andererseits ereignet es sich ohnehin eher selten, dass Talkshow-Gäste auf Vorwürfe tatsächlich konkret regieren.
Was Spahn sagte, waren eher bekannte Bausteine: Das "Grundsatzziel" der Bundesregierung sei seit zwölf Monaten identisch und bisher erreicht worden, nämlich eine Überlastung des deutschen Gesundheitssystems zu vermeiden.
Auch wenn ihn immer etwas umtreibe, könne er keine Fehler der Regierung oder des eigenen Hauses erkennen, auch nicht bei der Impfstoff-Beschaffung. Den Vertrag der EU mit Biontech/Pfizer gebe es nicht zuletzt deswegen, deutete Spahn an, weil sein Ministerium darauf gedrängt habe.
Fehler eingestanden, Lob für die Verwaltung
Mit Ralph Brinkhaus saß ein weiterer CDU-Vertreter im Studio, der im Rückblick einige Fehler konzedierte. So habe sich gezeigt, dass "die tolle Verwaltung, die wir überall haben", in Krisensituationen zu umständlich agiere. "Schnellinterventionseinheiten wie in den USA" könnten eine Lösung sein. Allerdings müsse die Öffentlichkeit dann auch akzeptieren, dass Fehler, wie sie jetzt gern bei der Maskenbeschaffung kritisiert werden, geschehen können.
Die Opposition vertrat Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht, die in wenigen Beiträgen eine Menge Kritikpunkte anriss: Inzwischen sei es unverantwortlich, "mit der Gießkanne das gesamte wirtschaftliche Leben lahmzulegen". Es sei nicht bekannt, dass es im Einzelhandel zu vielen Ansteckungen gekommen ist, und doch wurde das Geschäft faktisch zu Amazon verlagert, dessen Lager als Hotspots bekannt wurden.
Später forderte sie, "nicht immer auf die Inzidenzwerte zu starren", bei denen Deutschland im europäischen Vergleich niedrige Werte, dabei aber doch höhere Todeszahlen hatte. Ob in die Medikamentenforschung so viel investiert werden sollte wie in die Impfstoff-Forschung, ob die zahlreichen Infektionen in Sachsen vor allem durch tschechische Pflegekräfte zustande kamen und ob sich von französischen Corona-Strategien inzwischen lernen ließe, waren Aspekte, die in der atemlosen zweiten Sendungshälfte nicht lange diskutiert wurden.
Sechs FFP2-Masken pro Haushalt
Ministerpräsidentin Schwesig nutzte die Zeit, um für ihre eigene Regierung zu werben. Mecklenburg-Vorpommern werde "proaktiv" in jeden Haushalt sechs FFP2-Masken schicken, kündigte sie an. Nicht optimistisch zeigte sich Journalist Georg Mascolo. Es sei unklar, "ob wir das Schlimmste hinter uns haben oder noch vor uns".
Wiederholt warnte er vor einer langfristigen "humanitären und medizinischen Katastrophe", weil die reichen Staaten bei der Impfstoff-Produktion vor allem an sich selbst und kaum an ärmere Staaten denken würden.
Und Betsch twitterte hinterher, was sie "noch gerne losgeworden wäre". In der Tat ist das anfängliche Thema des sinkenden Vertrauens in die Maßnahmen der regelmäßig tagenden Bund-Länder-Gipfel im Verlauf der Sendung aus dem Fokus verschwunden.
"Kommunikation ist unglaublich entscheidend", sagte CDU-Politiker Brinkhaus einmal. Ob Talkshows, in denen sowohl über Zukunfts-Strategien als auch über in der Vergangenheit begangene Fehler geredet wird sowie aktuelle Zahlen unterschiedlich bewertet werden, zu guter Kommunikation gehören oder nicht – darüber könnte gut diskutieren, wer diese "Anne Will"-Ausgabe gesehen hat.
- Anne Will vom 7.2.2021