Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Vor entscheidendem Treffen Versagen Deutschland und die EU in der Corona-Krise?
Die Corona-Lage in Deutschland ist noch immer außer Kontrolle. Am Dienstag entscheiden Bund und Länder, wie es weitergeht. Sie kämpfen dabei mit mehreren Problemen gleichzeitig.
Wirken die aktuellen Maßnahmen des Lockdowns stark genug?
Diese Frage ist noch nicht klar zu beantworten. Seit dem 16. Dezember sind in Deutschland große Teile des Einzelhandels, Friseure und Freizeitangebote geschlossen. Die Kurve der Neuinfektionen sinkt zwar leicht, doch aktuell ist noch unklar, ob das nicht daran liegt, dass die Fälle über Weihnachten und den Jahreswechsel nur mit Verzögerung gemeldet wurden und werden. Zudem haben sich in dieser Zeit weniger Menschen testen lassen. Die Nachmeldungen könnten also zu einem starken Anstieg führen.
Zudem gehen weiterhin viele Menschen zum Arbeiten in Büros. Die Arbeitgeber wurden bislang nur aufgefordert, Heimarbeit und Urlaubsregelungen zu ermöglichen. Doch insgesamt scheint weniger aus dem Homeoffice gearbeitet zu werden als noch beim ersten Lockdown. Auch deshalb sinken die Zahlen wohl nicht schneller. Aktuell liegt die Inzidenz über sieben Tage bei 140 pro 100.000 Menschen bundesweit. Das ist vielen Politikern noch zu viel, angesichts eines anvisierten Werts von 50 pro 100.000 Personen. Insgesamt wirken die Maßnahmen also vermutlich – aber die Kurve flacht langsamer ab als erhofft.
Welche Rolle spielt die Virus-Mutation für die Corona-Strategie?
Das werden die Beratungen von Bund und Ländern zeigen. Einige Wissenschaftler fürchten, dass die Folgen der Mutation bisher eine zu geringe Rolle in den Überlegungen spielen. Zuletzt haben sich die Hinweise verdichtet, dass die Virus-Variante B.1.1.7, die zuerst in Großbritannien festgestellt worden war, tatsächlich ansteckender ist. Dadurch hätte sie einen entscheidenden Vorteil vor anderen Varianten und würde sich schnell verbreiten.
Die Folgen wären einerseits: mehr Infektionen, mehr Kranke, vollere Krankenhäuser und mehr Tote. Zudem steigt mit einer größeren Anzahl an Infektionen auch die Chance, dass das Virus weiter mutiert – mit unabsehbaren Folgen. Bislang spricht viel dafür, dass die bisherigen Impfstoffe gegen die Variante B.1.1.7 wirken. Es ist aber nicht auszuschließen, dass neue Mutationen die Wirkung von Impfstoffen begrenzen. "Ich glaube, man hat bisher nicht begriffen, wie ernst das ist", schrieb die Forscherin Viola Priesemann zuletzt auf Twitter.
Embed
Beschließt die Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten am Dienstag Verschärfungen?
Es zeichnet sich derzeit eher eine Verlängerung der aktuellen Maßnahmen bis mindestens zum 31. Januar ab. Markus Söder, der als Hardliner in der Corona-Krise gilt, hat im Interview mit der "Bild am Sonntag" auf die Frage nach Verschärfungen geantwortet, dass es aktuell darum gehe, das "jetzige Konzept" fortzusetzen.
Damit ließ er ausdrücklich offen, ob in der Zukunft härtere Einschränkungen folgen. Was das bedeuten könnte, wird wohl auch am Dienstag diskutiert. In der öffentlichen Debatte wächst derweil die Kritik an dem ständigen Ringen um neue Verschärfungen oder Lockerungen.
Besonders strittig ist der Präsenzunterricht an den Schulen. Die baden-württembergische Kultusministerin Susanne Eisenmann sprach sich dafür aus, insbesondere Kitas und Grundschulen wieder zu öffnen, "unabhängig von den Inzidenzzahlen". Jedoch sprachen sich auch schon mehrere Ministerpräsidenten und Minister deutlich dagegen aus.
Wie lange wird der Lockdown noch dauern?
Wenn es nach dem SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach geht, sollte das überhaupt nicht festgelegt werden. Lauterbach fordert in der "Passauer Neuen Presse": "Der Lockdown muss weitergehen und sollte nicht zeitlich befristet werden, sondern auf den Zielwert von 25 ausgerichtet werden." Also einer Sieben-Tage-Inzidenz von 25, statt dem bisherigen Zielwert von 50. Lauterbach begründet den strengeren Wert nicht zuletzt mit der Virus-Mutation. Auch Markus Söder erklärte in der "Bild am Sonntag" auf die Frage, ob eine Verlängerung über Ende Januar hinaus möglich ist: "Es gibt nie Garantien, wie es weitergeht."
Grundsätzlich hängt die Dauer des Lockdowns eng mit der Beschaffung des Impfstoffs zusammen. Jens Spahn kündigte zwar an, dass es etwas "ruckeln" werde beim Beginn des Impfens. Es gibt zudem erste Überlegungen, ob die zweite Dosis später verabreicht werden sollte, um zunächst einmal mehr Menschen zumindest mit einer Dosis immunisieren zu können. Noch ist aber nicht absehbar, ab welcher Zahl von Geimpften in einem Kreis oder Bundesland auch regionale Lockerungen denkbar sind. Eine EU-Zulassung des Vakzins von Moderna könnte die Impftoff-Knappheit mindern und die Immunisierung beschleunigen – am 6. Januar könnte es soweit sein. Doch mit einer wirklichen Entspannung und damit entscheidenden Lockerungen rechnen Forscher erst in einigen Monaten.
Hat sich die EU beim Impfstoff verkauft?
Das wird ihr zumindest von mehreren Seiten vorgeworfen: von der Opposition, von der SPD, aber auch von diversen Ökonomen. Grund ist der unglückliche Umstand, dass die EU ausgerechnet von den Herstellern am wenigsten Impfstoff geordert hat, die am schnellsten Erfolg hatten und deren Impfstoffe bislang am wirksamsten sind: Biontech-Pfizer und Moderna.
Die EU-Kommission selbst gibt an, dass unter anderem die Erfolgsprognose und der Preis Kriterien für die Impfstoffbestellung gewesen seien. Beides sprach nicht für Biontech und Moderna. Das sogenannte mRNA-Verfahren ist recht neuartig, und die Impfstoffe sind mit etwa 12 bzw. 15 Euro teurer als etwa der AstraZeneca-Impfstoff mit 1,78 Euro.
Kritiker argumentieren jedoch, dass das keine Rolle hätte spielen dürfen: Vor allem weil es um Menschenleben gehe. Aber auch, weil jeder Preis für einen Impfstoff vertretbar gewesen sei, denn er verkürze den Lockdown und bringe damit die Wirtschaft wieder zum Laufen. "Whatever it takes" – was immer nötig ist. Das hätte aus Sicht der Kritiker das Motto sein müssen. Also die "Bazooka" nicht nur bei Wirtschaftshilfen, sondern auch beim Impfstoff. Die damit verbundene Hoffnung ist, dass größere und planbare Impfstoffbestellungen womöglich auch dazu geführt hätten, dass die Produktionskapazitäten schneller hochgefahren worden wären. Und es somit schneller mehr Impfstoff gegeben hätte.
- Eigene Recherchen