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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Berufsalltag der Volksvertreter "Überall lauern Hass und Häme"
Angst, Einsamkeit, Machtkämpfe – und eine unerbittliche Öffentlichkeit: Politiker führen ein weit weniger glamouröses Leben, als die meisten denken. Das zeigt ein neues Buch von zwei profilierten Journalisten.
Peter Dausend (53) und Horand Knaup (61) berichten zusammen seit mehr als 40 Jahren über die Bundespolitik: Knaup war bereits in den neunziger Jahren für das Nachrichtenmagazin "Spiegel" in Bonn unterwegs, Dausend berichtet seit 2001 aus Berlin – zunächst für die Tageszeitung "Die Welt" und dann für die Wochenzeitung "Die Zeit".
Nun haben sie gemeinsam ein Buch über den Berufsalltag von Bundestagsabgeordneten geschrieben. Bereits der Titel "Alleiner kannst Du gar nicht sein" verrät, dass es darin nicht nur um den Reiz der Macht geht, sondern auch um die Schattenseiten der großen Politik. Und davon gibt es reichlich.
Was ist das größte Missverständnis über Politiker?
Horand Knaup: Der Job verändert die Menschen – nicht immer zu ihrem Vorteil.
Das fängt ja gut an.
Aber dass Politiker sich vor allem die Taschen voll machen wollten, ist so banal wie falsch.
Peter Dausend: Behauptet wird auch gern, es gehe ihnen nur um die Macht, sie hätten keine Ahnung vom wahren Leben. Das ist nicht mein Eindruck. Die allermeisten treibt ein echtes politisches Anliegen an, vor allem am Anfang. Bei manchen verliert sich das, bei anderen nicht.
Welche Ihrer Vorurteile haben sich während der Recherche bestätigt – oder wurden entkräftet?
Dausend: Es gibt viele Politiker, die eitel sind, teils auch narzisstisch.
Das ist also eher ein Urteil als ein Vorurteil?
Ja, aber solche Menschen gibt es in anderen Jobs ja auch, zum Beispiel im Journalismus. Eitelkeit ist natürlich auch ein Schutzpanzer. Und den braucht jeder in der Politik.
Knaup: Man muss wirklich in der Lage sein, sehr viel auszuhalten. Mein Respekt vor den Politikern ist auch deshalb gewachsen, weil mir klar geworden ist, wie ungeeignet ich für den Job wäre.
Welche Eigenschaften braucht ein Politiker, um bestehen zu können?
Zweikampfhärte, Nehmerqualitäten. Und den Willen, ständig und überall zu performen. Man darf keine Unsicherheiten zeigen, muss immer einen souveränen, kompetenten Eindruck machen. Nur im engen, vertrauten Kreis kann man es sich überhaupt leisen, mal Schwäche zu zeigen. Politiker haben einen der brutalsten Jobs, die es gibt. Auch, weil sie ständig unter Druck stehen.
Worin besteht dieser Druck?
Dausend: Zunächst einmal darin, dass man nur einen Zeitvertrag hat. Die Gefahr, dass nach vier Jahren Schluss ist und man vor dem Nichts steht, ist real. Deshalb ist es so wichtig, sich nicht von der Politik abhängig zu machen.
Knaup: Dann gibt es den inhaltlichen Druck. Jeder im Parlament will irgendetwas umsetzen. Damit ein Gesetz verabschiedet wird, braucht man aber eine Mehrheit für sein Anliegen. Das geht nicht allein, sondern nur im Team. Solisten kommen deshalb nicht weit.
Dausend: Dann sind da auch noch die Wähler.
Und die nerven?
So weit würde ich nicht gehen. Aber meistens kommen sie mit Problemen, die auf kommunaler Ebene geregelt werden müssen, etwa einem neuen Spielplatz. Da kann ein Bundestagsabgeordneter wenig ausrichten. Den Wählern muss er aber vermitteln, alles im Griff zu haben und es mit einem Anruf bei der Kanzlerin klären zu können. Politiker sind daher auch große Illusionskünstler…
…die deshalb gern in eine Floskelsprache flüchten?
Klar, die gibt auf unsicherem Terrain Sicherheit. Deshalb reden Politiker oft in ähnlichen Nullsätzen wie Fußballer. Die antworten auf die Frage, warum sie das Spiel verloren haben, mit „Weil wir nicht rechtzeitig in die Zweikämpfe kamen“. In der Politik heißt das am Abend einer Wahlniederlage: „Wir sind mit unseren Positionen nicht ausreichend durchgedrungen.“
Knaup: Was uns in den Gesprächen immer wieder begegnet ist, sind Versagensängste. Viele Abgeordnete schlafen schlecht, wenn sie am nächsten Tag eine Rede im Parlament halten müssen.
Manager in einem Unternehmen haben doch auch manchmal Angst vor der Rede auf der Betriebsversammlung. Sie müssen ebenfalls fast immer so tun, als wüssten sie alles – und sich gegen interne Konkurrenten durchsetzen. Wo liegt der Unterschied zu Politikern?
In der permanenten Öffentlichkeit, in der sich Politik abspielt. Einerseits ist die Sucht nach Scheinwerfern bei den meisten Protagonisten groß. Weil das gesellschaftliche Klima aber so rau geworden ist, lauern andererseits überall Hass und Häme. Die meisten Menschen dagegen haben Jobs, in denen sie unter Ausschluss der Öffentlichkeit arbeiten. Fehler bekommen nur ein paar Kollegen mit.
Dausend: Es gibt junge Politiker auf kommunaler oder Landesebene, die irgendwo eine Rede halten, die irgendetwas Verhetzbares enthält und dann von irgendwem ins Netz gestellt wird. Wer einen entsprechenden Shitstorm erlebt hat, gibt schnell wieder seinen Plan auf, in die Politik zu gehen. Deshalb rücken so wenige junge Politiker nach – und noch weniger junge Politikerinnen.
Knaup: Es gibt Spitzenpolitiker, die sich gegen all den Hass abschotten, ihren Mitarbeitern sagen: Ich will die Mails und Briefe nicht mehr sehen. Aber das gelingt den wenigsten. Es zehrt eben am Nervenkostüm. Und viele, die seit Langem im Bundestag sitzen, fragen sich: Muss ich mir das wirklich noch antun?
Wenn ich Ihnen so zuhöre, wundert mich der traurige Titel Ihres Buchs nicht mehr: „Alleiner kannst Du gar nicht sein.“ Woher kommt denn auch noch die Einsamkeit?
Dausend: Die ist vor allem während der Sitzungswochen des Bundestags ein Thema. Den ganzen Tag über hat man ein hohes Tempo, trifft viele interessante Leute. Abends sitzt man dann in seiner kleinen Wohnung – oder noch schlimmer: im tristen Hotelzimmer – und alles fällt von einem ab. Niemand wartet. Der berufliche Alltag ist vollgepackt mit interessanten Begegnungen, das Privatleben dagegen menschenleer.
Das klingt fast wie: Das einzige, was einem bleibt, sind Alkohol und Affären.
Ganz so schlimm ist es nicht. Alkohol ist weniger verbreitet als früher. Aber Affären gibt es in der Tat viele. Frauen verhalten sich da nicht anders als Männer. Oft geht es auch um Beziehungen zwischen Politikern und Mitarbeitern. Da existieren mancherorts geradezu Wettbewerbe, wer wen schon hatte. Es gibt in Berlin häufig die Kombination aus Macht, Einsamkeit und Gelegenheit. Wer hat das sonst noch? Deshalb passiert mehr als in anderen Jobs.
Allerdings tun die meisten Abgeordneten so, als hätten sie ein intaktes Familienleben. Was sagen denn Partner und Kinder daheim zum Berliner Nachtleben?
Knaup: Das ist so wie bei anderen Familien auch: Manche wissen nichts davon. Andere wiederum ahnen es, sprechen aber nicht darüber. Oft ist der Familie daheim auch wichtiger, dass Frau oder Mann Berlin wirklich abschütteln, bevor sie zur Haustür reinkommen.
Wie schütteln Mann und Frau Berlin denn ab?
Dausend: Da geht es viel um den Tonfall. Manch ein Abgeordneter hat zu Hause noch dieses Herrische. Er bekommt dann von der Familie gesagt: Wir sind nicht deine Angestellten. Das ist verständlich. Man darf aber nicht vergessen, dass Abgeordnete auch privat enorm unter Druck stehen. Sie waren quasi auf Montage in Berlin, kommen nach Hause und sollen ein, zwei Wochen Beziehung zu ihren Familien nachholen, haben aber zig Termine im Wahlkreis.
Bleibt da überhaupt noch Zeit, um Freundschaften zu pflegen?
Knaup: Noch so ein Problem. Verlässliche Freundschaften sind in der Politik ein schwieriges Kapitel. Viele haken sich unter, wenn sie neu in den Bundestag kommen, so wie Norbert Röttgen, Armin Laschet und Peter Altmaier es Mitte der Neunzigerjahre getan haben. Dann wurden sie im Laufe der Zeit aber zu Konkurrenten. Heute ist das Verhältnis zwischen den dreien weitgehend kaputt.
Dausend: Das Traurigste ist aber dieses Nicht-Loslassen-Können. Gerade bei Leuten, die mal etwas waren. Die Sucht nach Öffentlichkeit und Anerkennung ist die gefährlichste für Politiker.
Knaup: Selbst denjenigen, die selbstbestimmt ihre Karriere beendeten, geht es oft nicht besser. Manche haben noch nach Jahren Phantomschmerzen.
Dausend: Und richtig stillen können sie die nicht. Zwar kann jeder Ehemalige zu den Fraktionssitzungen seiner Partei kommen. Aber der Ex-CDU-Abgeordnete Wolfgang Bosbach hat uns erzählt, wie das abläuft. Beim ersten Besuch fragen noch alle interessiert „Wie geht’s?“, beim zweiten tuscheln sie mitleidig „Warum ist der schon wieder da?“ und beim dritten haken die ersten verzweifelt nach: „Wie heißt der nochmal?“
Puh. Das klingt ja alles nicht wirklich nach einem besonders attraktiven Job. Was macht denn eigentlich dessen Reiz aus?
Knaup: Aktiv etwas gestalten zu können.
Es gibt aber doch viele Jobs, bei denen man etwas gestalten kann.
Aber da steht dann am Ende kein Gesetz. Wer ein paar Jahre für ein bestimmtes Anliegen wie ein Gesetz zur Förderung regenerativer Energien, mehr Mittel für die Entwicklungshilfe oder eine wichtige Umgehungsstraße in seinem Wahlkreis gekämpft hat, erlebt oft eine große Befriedigung.
Dausend: Ganz allein schafft man das nicht. Es geht immer darum, Leute zu gewinnen. Im Wahlkreis sind es die Wähler, in Berlin die Kollegen im Parlament. Wer dabei erfolgreich ist, erlebt Genugtuung.
Ein Anliegen haben und es durchsetzen – ist das Macht?
Durchzusetzen, was man durchsetzen will, ist eine Form von Macht. Dann gibt es noch eine Art Machtmacht.
Wie bitte?
Das ist jene Macht, die auf die Macht selbst bezogen ist. Wer nach immer wichtigeren Posten strebt, ohne damit konkrete Vorstellungen und Ziele zu verbinden, möchte Macht um ihrer selbst willen. Machtmacht.
Treibt nicht deutlich mehr Politiker die Sorge um, dass jemand ihnen den Posten wegnehmen will, den sie gerade erst ergattert haben?
Knaup: Wer in der Politik etwas werden will, muss von sich überzeugt sein, für sich kämpfen und auch mal anderen vors Schienbein treten. Die Angst vor dem Verlust der eigenen Position kommt erst später. Etwa, wenn es nicht mehr rundläuft. So wie bei Andrea Nahles.
Dausend: Die ehemalige SPD-Chefin ist auch für ein anderes Phänomen ein gutes Beispiel: Machtflucht.
Das wiederum heißt übersetzt: Niemand hat die Absicht, sich um einen Posten zu bewerben?
Inzwischen ist es oft schwierig, einen Job nachzubesetzen. Als es um die Nachfolge von Andrea Nahles ging, wurden Leute bedrängt, lehnten aber dankend ab. Einer begründete das damit, dass er von den eigenen Genossen nicht so brutal behandelt werden wolle, wie Nahles das erleben musste. Und noch wichtiger: Er selbst wolle nicht so wie sie werden – also brutal und hart zu sich selbst.
Knaup: Bei der nächsten Bundestagswahl scheiden vergleichsweise viele Abgeordnete mit Ende 40, Anfang 50 aus. Das gab es früher nicht.
Ist Jens Spahn der letzte, der noch den absoluten Willen zur Macht ausstrahlt?
Dausend: In seiner Generation der unter 50-Jährigen absolut.
Knaup: Wenn Kevin Kühnert so weiter macht, wird er eine harte Konkurrenz.
Wo fängt Machtmissbrauch an?
Wenn es korrupt wird.
Ist es schon Korruption, wenn ein Mitglied des Haushaltsausschusses besonders viel Geld in seine Heimat schleust?
Dausend: Der Haushaltsausschuss ist der Ausschuss, in dem am meisten Macht missbraucht wird. Der ist eine Ecke in unserem demokratischen System, in der es ziemlich undemokratisch zugeht.
Knaup: Das hat damit zu tun, dass die Kontrollmechanismen nicht funktionieren. Der Haushaltsausschuss ist für alle anderen Abgeordneten sehr intransparent. Im Hinblick auf Gestaltungsmacht und Einfluss ist er das am meisten unterschätzte Gremium.
Wo wir schon beim Geld sind: Ein Bundestagsabgeordneter verdient gut 120.000 Euro pro Jahr. Ist das angemessen?
Knaup: Ich finde schon. Bis zu 2.000 Euro pro Monat gehen allein für die Fraktion, die Partei, den Ortsverein, den Landesverband und so weiter drauf. Was bleibt, ist für eine 80-Stunden-Woche, in der man sehr viel aushalten muss, nicht zu viel.
Dausend: Wahrscheinlich ist es wie in jedem Job: Einige sind über-, andere unterbezahlt. Aber im Schnitt passt das schon.
- Gespräch mit Peter Dausend und Horand Knaup.