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Dietzenbach: Polizei in Hinterhalt gelockt – wie kam es zum Gewaltausbruch?


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Polizei in Hinterhalt gelockt
Wie kam es zum Gewaltausbruch in Dietzenbach?


Aktualisiert am 29.05.2020Lesedauer: 5 Min.
Ermittlungen am Tag danach: Polizisten befragen auf dem Parkdeck der Hochhäuser im Spessartviertel Zeugen.Vergrößern des Bildes
Ermittlungen am Tag danach: Polizisten befragen auf dem Parkdeck der Hochhäuser im Spessartviertel Zeugen. (Quelle: Boris Roessler/dpa)

Im hessischen Dietzenbach wurden Polizei und Feuerwehr in einen Hinterhalt gelockt und angegriffen. Das erinnert an überwunden geglaubte Zeiten, in denen die Stadt bundesweit Schlagzeilen machte.

Der "Starkenburgring" heißt heute "Spessartviertel" – und auch sonst hatte sich eigentlich einiges geändert in Dietzenbach, wo in der Nacht zum Freitag Polizisten in eine Falle gelockt und attackiert wurden. Zwölf Einsatzfahrzeuge wurden beschädigt, drei Männer festgenommen. Bundesweit ist die Empörung groß. Das erinnert an die Zeiten, als die Gegend am Rand der Stadt noch deutschlandweit verschrieen war. 2005 hatte es über Wochen fast Nacht für Nacht derartige Randale gegeben.

"Es gab sehr lange keine derartigen Vorkommnisse mehr", sagt Peter Amrein, Leiter des Fachbereichs Soziale Dienste in Dietzenbach. Er sei einerseits "sehr erschrocken: Das sind jetzt Bilder, die wir von früher kennen. Aber das Viertel hat sich sehr zum Besseren gewandelt seit den Tagen."

Ehemaliges Symbol für soziale Brennpunkte

Das bestätigt auch der örtliche CDU-Landtagsabgeordnete Ismail Tipi, integrationspolitischer Sprecher seiner Fraktion und früher Chefredakteur der "Hürriyet": Er erinnert sich an Zeiten, als Nachrichtensender sofort an Dietzenbach dachten und Material vom "Starkenburgring" zeigten, wenn es um Gettoisierung und soziale Brennpunkte ging. Die Siedlung wurde sogar umbenannt, um ein Signal zu senden. "Es war aber vor allem viel lange Arbeit vieler Beteiligter, von den alten Zuständen wegzukommen."

Auch beim Polizeipräsidium Offenbach kann man sich in den vergangenen Jahren nicht an einen Einsatz erinnern, wie jetzt am Mespelbrunner Weg 2–4, der Adresse eines von fünf Hochhäusern mit neun, 12 und 17 Stockwerken und mehr als 1.000 Wohneinheiten. 3.300 Menschen leben hier, darunter mehr als 1.000 Kinder und Jugendliche, etwa ein Zehntel der Einwohner Dietzenbachs. Rund 100 Nationen. "Und die leben eigentlich ohne große Probleme zusammen", sagt Politiker Tipi.

Beamte im Einsatz angegriffen

In der Nacht zum Freitag gab es dann aber die Probleme. Rund 50 Menschen waren um kurz nach Mitternacht vor den Häusern oder stießen noch hinzu, als Polizei und Feuerwehr um kurz nach Mitternacht wegen Feuern anrückten. Müllcontainer und ein Bagger standen in Flammen. "Wir gehen davon aus, dass die Feuer nur gelegt wurden, um die Einsatzkräfte anzulocken", sagte ein Sprecher der Polizei am Freitag. Die gewaltbereite Gruppe habe auf das Eintreffen der Kräfte bereits mit vorbereiteten Steinhaufen gewartet.

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Dann flogen Flaschen und Steine, in Richtung Polizei, und in Richung Feuerwehr, die auf Twitter dringend appellierte, damit aufzuhören. Zwei Stunden dauerte die Auseinandersetzung vor den Wohnsilos. Gebaut worden waren sie zwischen 1970 bis 1974, als für Dietzenbach 70.000 Einwohner erwartet wurden.

Viertel wurde zur "Ruine der Hoffnung"

Eine fatale Fehleinschätzung. Mit der Ölkrise standen die Häuser fast komplett leer und zogen die an, die sich sonst gar nichts leisten konnten oder Vermieter suchten, die keine Fragen stellten. "Ruine der Hoffnung" nannte der Spiegel die Siedlung 1998. Sie wurde zum sozialen Brennpunkt, in dem Frust, Enttäuschung und Kriminalität gediehen. "Der Starkenburgring hatte einen Ruf wie Donnerhall", so Sozialamtsleiter Amrein.

Inzwischen haben sich Vermieter wieder getraut, in Anzeigen von Wohnungen "in ruhiger Lage in einem gepflegten Mehrfamilienhaus" zu sprechen, wenn sie die Adresse Mespelbrunner Weg 2–4 meinen. Aber das Areal, wo es früher nur Asphalt und Beton gab, heißt ja auch inzwischen "Rosenpark".

"Wohnumfeld hat sich deutlich gebessert

Das weckt immer noch falsche Vorstellungen. "Es ist aber nicht mehr das schlechte Viertel, als dass es bekannt war", sagt Amrein. "Auch durch die Wohnungsnot im Rhein-Main-Gebiet ist das Spessartviertel attraktiver geworden, das Wohnumfeld hat sich deutlich gebessert. Da wohnen sehr viele ordentliche Leute."

Deshalb mache ihn der Übergriff auf die Einsatzkräfte traurig: "98 Prozent der Bewohner haben es nicht verdient, mit solchen Vorfällen in Verbindung gebracht zu werden. Das sind Menschen, die sich erfolgreich in unsere Gesellschaft integriert haben."

Politiker Tipi glaubt auch, dass der Vorfall eher den Zusammenhalt stärken wird. "Eigentlich fast alle, die dort leben, werden sich dagegen wenden." Tipi hat Nachbarschaftsfeste dort besucht, und Polizisten als gerne gesehene Gäste erlebt. "Die Polizei bringt den Kindern hier das Fahrradfahren bei, das ist ein gutes Miteinander. Die Leute wissen, dass die Polizei viel getan hat, dass sie hier besser leben."

War es eine Racheaktion?

Stellt sich die Frage nach dem Warum des Gewaltausbruchs. Die Polizei hat sie noch nicht offiziell beantwortet, aber Tipi und Amrein denken da an einen Einsatz der Polizei von diesem Montag: Ein Hausmeister war in vier Kellern, die eigentlich leerstehen sollten, auf unzählige Fahrräder, E-Roller, und Baustellengerät gestoßen.

Gut möglich, dass dann von einem der Fenster aus Bewohner zusahen, wie 23 Polizisten stundenlang ihr Diebesgut aus den Kellern trugen. Zwei 7,5-Tonnen-Lkw mussten voll beladen zwei Mal fahren, um alleine 200 Fahrräder wegzubringen. Jetzt sprechen in Dietzenbach manche von einer Racheaktion.

"Es könnte eine Inszenierung gewesen sein als Reaktion auf den Einsatz", sagt Amrein. "Und da haben sich dann möglicherweise vielleicht noch einige weitere Jugendliche hineinziehen lassen." Er "hoffe, dass keiner von denen darunter war, die wir kennen. Wir gehen da jetzt hin und fragen nach."

Die Stadt habe auf viele der jungen Leute Zugriff über ihre Streetworker, die Schulen leisten sehr gut Arbeit. Allerdings gab es in den vergangenen Wochen in der Corona-Krise weniger Kontakte. "Für uns geht die die Sozialarbeit jetzt verstärkt weiter."

Starkes Engagement im Viertel

Die Stadt Dietzenbach engagiert sich in den Hochhäusern und dem gesamten Spessartviertel stark mit Sozialarbeit, Jugendarbeit und Streetwork. Das geschieht eng vernetzt in Zusammenarbeit mit der Polizei und den Schulen im Quartier.

1999 war das Viertel wegen seiner vielschichtigen Probleme in das Bund-Länder-Programm "Soziale Stadt" aufgenommen worden, es wurde saniert, es begannen Projekt, um die Bewohner stärker zu integrieren, die wenig Grund hatten sich heimisch zu fühlen.

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Die Stadt wollte die Wohnsituation sogar mit einer eigenen Hausverwaltungsgesellschaft verbessern, kam aber dort nicht zum Zug. Ein Teil der Hunderten Eigentümer machte zumindest in der Vergangenheit mit ständig wechselnden Hausverwaltungen eigene Geschäfte, Sanierungen wurden blockiert. Mieter hatten zeitweise keinerlei Vertrauen mehr, dass ihnen bei Anliegen geholfen wird. 2019 berichtete die "Offenbach-Post", dass die Wahlen der Hausverwaltungen zehn Jahre in Folge vom Amtsgericht für ungültig erklärt hat.

Polizei fährt täglich Streife

Dann schwärzte die Hausverwaltung in einem "Hilferuf" Jugendliche an, die "Drogen rauchen und saufen", Coronaparties feiern und andere anspucken würden. Die Polizei fährt täglich Streife, bestätigt fand sie die Vorwürfe nicht und auch keine Zeugen, die von Anspucken berichteten.

Fachbereichsleiter Peter Amrein findet: "Die Polizei leistet nach meinem Eindruck sehr gute Arbeit, sie hat auch jetzt sehr schnell, sehr gut und mit der gebotenen Intensität gehandelt." In der Nacht rückte Verstärkung aus anderen Dienststellen an, ein Hubschrauber unterstützte aus der Luft. "Ich gehe auch davon aus, dass die Polizei die weitere Entwicklung sehr genau im Blick behält. Sie zeigt da bisher eine sehr gute Mischung aus Sensibilität und Klarheit."

Drei Männer wurden laut Polizei vorläufig festgenommen. Zwei von ihnen hätten den Einsatz gestört und seien Platzverweisen nicht gefolgt, der Dritte sei ein mutmaßlicher Steinewerfer. CDU-Politiker Tipi denkt schon weiter: Wenn die Rädelsführer gefasst seien, dann müssten sie mit aller Härte bestraft werden. "Da darf es auch keine kulturellen Rabatte gebe, wenn die Täter Migrationshintergrund haben sollten." Wenn es sich um Ausländer handele, "dann haben sie ihr Aufenthaltsrecht verwirkt", findet der integrationspolitischer Sprecher der hessischen CDU-Fraktion. "Wer unseren Rechtsstaat und seine Organe angreift, greift unsere ganze Gesellschaft an."

Verwendete Quellen
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