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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Corona-Rassismus im Saarland "Franzosen trauen sich zum Teil gar nicht mehr hierher"
Die Corona-Krise führt im deutsch-französischen Grenzgebiet offenbar zu rassistischen Übergriffen. Der Bürgermeister einer kleinen Gemeinde warnt drastisch vor dem Aufreißen alter Gräben.
Im Zuge der Verschärfung der Grenzkontrollen zu Frankreich wegen der Corona-Krise kommt es im Saarland offenbar zu rassistischen Anfeindungen von französischen Bürgern. Das schildern mehrere Politiker und Diplomaten. "Franzosen trauen sich zum Teil gar nicht mehr hierher", sagte Michael Clivot t-online.de. Er ist Bürgermeister der kleinen Gemeinde Gersheim an der französischen Grenze und hatte sich vor kurzem mit einer besorgten Videobotschaft an die Bevölkerung gewandt – auf Facebook wurde sie mittlerweile fast 15.000 mal angeschaut.
"Werden beschimpft und auf der Straße angehalten"
Darin schilderte er, die Grenzschließung in der Gemeinde sei ein "Alptraum", der jahrzehntelange Arbeit für eine deutsch-französische Aussöhnung bedrohe. Hardliner wie der Bundesinnenminister hätten mit einseitigen Maßnahmen historische Errungenschaften über Bord geworfen, um Stärke zu demonstrieren. In der Folge habe sich "eine gewisse Feindseligkeit gegenüber unseren französischen Freunden" in der Region breitgemacht. "Manche werden beschimpft und auf der Straße angehalten."
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Nach der Veröffentlichung des Videos hätten sich zahlreiche weitere Menschen an ihn gewandt und von Anfeindungen berichtet, sagte Clivot nun t-online.de: Demnach seien sie beim Spazierengehen angespuckt oder an der Supermarktkasse beschimpft worden. "Geh zurück in Dein Corona-Land", sei jemandem wohl zugerufen worden, sagte Clivot. Er sorge sich um den Umgang miteinander.
Clivot kritisierte dabei erneut die einseitige deutsche Grenzschließung scharf – sie sei "auf den Tag genau" 25 Jahre nach der offiziellen Grenzöffnung erfolgt. "Was wir gebraucht hätten, wären gemeinsame Maßnahmen mit Frankreich gewesen", sagte Clivot. "Diese einseitige Grenzschließung führt zu Ressentiments auch auf der anderen Seite der Grenze."
Wirtschaftsministerin reagiert
Seine Botschaft hat nun auch die Landespolitik erreicht: "Wir hören, dass Franzosen beschimpft und mit Eiern beworfen werden", schrieb die saarländische Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger am Mittwoch im Kurzbotschaftendienst Twitter. "Wer sowas tut, versündigt sich an der Freundschaft unserer Völker." Ihr Sprecher sagte t-online.de, die Ministerin hätten zuvor zahlreiche Schreiben und Anrufe aus der Grenzregion erreicht – unter anderem aus der Gemeinde Gersheim. Clivot bestätigte, dass er mit Rehlinger telefoniert habe. Und auch eine Diplomatin wandte sich an die Ministerin.
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Die französische Generalkonsulin in Saarbrücken, Catherine Robinet, sagte t-online.de: "Es herrscht in manchen Orten nahe der Grenze eine angespannte Stimmung." Französische Bürger hätten auch ihr "von sehr unfreundlichem Verhalten ihnen gegenüber" berichtet – in Geschäften, Apotheken "und selbst in Firmen gegenüber langjährigen Mitarbeitern".
Auch direkt an der Grenze gibt es offenbar Probleme: "Bei Kontrollen von Krankenschwestern und Putzfrauen, die seit vielen Jahren jeden Morgen um 5.30 Uhr die Grenze überqueren, könnte die Bundespolizei mehr Augenmaß und Sensibilität zeigen – wenn sich Beamte so verhalten, wie es mir berichtet wird", sagte Robinet.
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Zuvor hatte das ZDF-"heute Journal" einen Beitrag über die Situation in der deutsch-französischen Grenzregion ausgestrahlt, wo beispielsweise die eng verbundenen Gemeinden Petite-Rosselle und Großrosseln nun durch Grenzkontrollen auf einer kleinen Brücke getrennt sind. Ein französischer Pendler schilderte dort, er sei von einem Polizisten als "dreckiger Franzose" beschimpft worden. Auch weitere Bürger und Gemeindevertreter äußerten in der Sendung Besorgnis über zunehmende Anfeindungen.
Aktenkundig geworden sind laut einem Sprecher des Landespolizeipräsidiums solche Fälle allerdings bislang nicht. Es sei möglich, dass keine Anzeigen erstattet worden seien. Dem im "heute Journal" geschilderten Fall am Grenzübergang gehe man derzeit nach. Auch in diesem Fall habe sich der Betroffene aber bislang nicht an die Polizei gewandt.
- Eigene Recherchen
- heute Journal: Sendung vom 4. April (ab Minute 9:20)