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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Exklusives Video-Interview Prüffall Uniter: Dubioser Verein traut sich aus der Deckung
Der zum Prüffall des Verfassungsschutzes erklärte Verein Uniter will Vertrauen aufbauen. Erstmals stellen sich Elitesoldaten und weitere Mitglieder einem Video-Interview. Das größte Problem des Vereins ist dabei zugeschaltet.
Die Pistole soll schnell noch aus dem Bild: Zum ersten Mal treten Mitglieder des geheimnisumwitterten Vereins Uniter gemeinsam vor die Kameras, und sie wollen ein gutes Bild abgeben. Deshalb packt die Waffe schnell jemand weg, ehe die Aufzeichnung beginnt. Fünf Stunden lang geben acht Uniter-Aktive t-online.de und dem ARD-Politikmagazin "Kontraste" Einblicke und beteuern, doch nur helfen zu wollen im Kreis Gleichgesinnter.
Uniter will offener sein, sein Image aufpolieren. Der Verein hält Öffentlichkeitsarbeit offenbar für geboten, denn er ist mit rechtsextremen Netzwerken in Verbindung gebracht worden. Schon ein leiser Verdacht ist brisant bei einem Zusammenschluss, in dem sich bestens ausgebildete Elitekräfte aus Bundeswehr und Polizei organisiert haben. Aktuell fällt Uniter eher auseinander.
Konspirativ: Keine Gesichter, keine Namen
Die Waffe, die im Interview nicht zu sehen sein soll, wäre eigentlich gar kein Problem. Es ist nur eine Plastikattrappe an einem Dummy, der zur Nahkampfausbildung eingesetzt wird. Den Raum für das Treffen hat ein Sicherheitsunternehmen in einem Berliner Industriegebiet zur Verfügung gestellt. Kollegen in der Redaktion haben vor dem Treffen ernsthaft geraten, man möge vorsichtig sein und sich melden, wenn alles gut abgelaufen ist.
Leiter und Stellvertreter von zwei der vier deutschen Uniter-Distrikte sind zum Treffen gekommen, beide haben nach eigenem Bekunden Erfahrung aus Eliteeinheiten. Mitgebracht haben sie die Verantwortlichen von regionalen Gruppen und den für Sicherheit im Distrikt Nord Verantwortlichen, einen früheren Kampftaucher. Zu den Spielregeln gehört: Keine Gesichter, nur Vornamen der Pseudonyme werden genannt. Man müsse sonst Übergriffe befürchten. Einige aus der Runde werden nach der Teilnahme auf eine neue Sicherheitsstufe gehoben, also quasi befördert.
Sicherheitsstufen in dem Verein regeln, wie viel ein Mitglied erfahren darf, die Krawattenfarbe verrät die Stufe. Die Mitglieder hier wissen vieles nicht von den Plänen an der Spitze: Vertrauen müsse man da, und als Uniter-Mitglied schenke man Vertrauen. Die Antwort vermittelt viel über die Haltung bei Uniter. Im Interview ist sie unbefriedigend.
Rechtsextremismus und soziale Projekte
Hintergrund: Uniter ist ein von deutschen Spezialkräften privat gegründeter Verein, der vor allem wegen Gründer "Hannibal" mit rechtsextremen Netzwerken in Verbindung gebracht wird. "Hannibal" stand mit dem Terrorverdächtigen Franco A. in Kontakt, der auch ein (frei verkäufliches) Patch von Uniter hatte. Auch die Gruppe "Nordkreuz" bildete sich aus einem von ihm administrierten Chat heraus. In der Gruppe gab es für einen Tag X nach einem Zusammenbruch der staatlichen Ordnung "Todeslisten" mit politischen Gegnern, vielfach Flüchtlingshelfern.
Das Gespräch findet im Januar statt. Es geht um zuerst durch "Focus" und "taz" aufgebrachte Vorwürfe, Uniter wolle einen Staat im Staate aufbauen. Es geht um Fragen, ob dort Mitglieder Pläne schmieden für einen Zusammenbruch der staatlichen Ordnung in Deutschland.
Es geht um den Umgang mit Rechtsextremen, aber auch um soziale Projekte und die Frage, warum der Verein Mitgliedern eine Herzensangelegenheit ist. Der Staat hat mit Versäumnissen Uniter nötig gemacht, heißt es. Im Video sehen Sie Ausschnitte.
Zum Gespräch ist es gekommen, weil sich "Duke" bei der Redaktion nach einem Artikel über den Rückzug des Leiters Ost gemeldet hat. Über einen verschlüsselten Messenger werden Absprachen getroffen. Uniter wolle reden. "Ich erwarte nicht, dass wir hier rausgehen und reingewaschen sind", sagt er beim Gespräch. "Aber wir wollen Hintergrundwissen vermitteln."
Teilnehmer äußern sich dann auch manchmal genervt, dass der Verein weiterhin in Verbindung gebracht wird mit Stichwörtern wie dem Prepper-Netzwerk "Nordkreuz" und Franco A., dem Soldaten, der als syrischer Flüchtling registriert Anschlagspläne geschmiedet haben soll. Wenn von Uniter als "Schattenarmee" die Rede ist, schütteln Mitglieder in dem Gespräch verärgert den Kopf.
Verfassungsschutzprüfung: Neue Austrittswelle
Einige Tage nach dem Gespräch kommt dann die Schlagzeile: Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat den Verein zum Prüffall erklärt, es untersucht mögliche verfassungsfeindliche Bestrebungen. Die offizielle Reaktion des Vereins: Damit würden endlich die Vorwürfe ausgeräumt, man begrüße deshalb die Entscheidung.
Kurzfristig ist sie für den Verein eine mittlere Katastrophe: Die Entscheidung des Verfassungsschutzes hat umgehend zu weiteren Austritten geführt, ein Großteil der Mitglieder ist im Staatsdienst. Von einst 2.151 Mitgliedern sei die Mitgliederzahl inzwischen auf knapp 1.000 zurückgegangen und sinke weiter, sagte André S., bei Uniter als "Hannibal" unterwegs, zu t-online.de und "Kontraste".
"Hannibal" ist der Gründer, der Distriktleiter Deutschland und mit seinen Verbindungen und Kontakten die Person im Mittelpunkt der Vorwürfe, die den Verein treffen. Er ist beim Interview als Zuhörer zugeschaltet und steht am Ende kurz Rede und Antwort. Vorher hieß es alle paar Minuten: "Das müssen Sie 'Hannibal' fragen."
Bizarrer Auftritt von "Hannibal"
"Hannibal" will nicht aufgenommen werden, und es ist ein bizarrer Auftritt. "Wenn man bei jedem, der in einer Behörde arbeitet, in die Wohnung schaut, müsste jeder entlassen werden", sagt er zum Fund von Übungsgranatenteilen bei ihm. Die haben ihm eine Geldstrafe wegen Sprengstoffbesitzes eingebracht. Er wisse, dass die Zeitung "taz" nur noch dank Berichten über Uniter existiere, und Journalisten hätten aus kommerziellen Gründen an wahrer Berichterstattung über Uniter kein Interesse.
Er sagt auch: Nach "drei Jahren Diffamierung in der Presse" wisse er, "wo es Verbindungen direkt zur Antifa gibt", und habe dazu Akten. "Hannibal" erklärt auch, ein Richter habe "eine Straftat begangen", als er bei ihm eine Hausdurchsuchung wegen des Verdachts einer paramilitärischen Übung genehmigte. Nachfragen kommentiert er oft mit "Schwachsinn", alles ist Unsinn. Mitglieder, die vorher erklärt haben, man habe Fehler gemacht und daraus gelernt, schauen sich an.
"Hannibal" hat aber weiter hochfliegende Pläne. Ein breit gefächertes und verästeltes Uniter-Organigramm, das Eindruck schinden sollte, hat zwar nach den zahlreichen Abgängen mit der Realität des Vereins nichts mehr zu tun. "Hannibal" spricht aber weiter davon, dass Uniter in fünf, zehn Jahren eine NGO sein könnte, die im Auftrag von Regierungen taktische Notfallmedizin anbietet.
"Du musst dich in Krisengebieten verteidigen"
Eine entsprechende Einheit, die "Medical Response Unit", gibt es schon, und einen Einsatz im Ausland hatte sie auch. Auf den Philippinen war die Gruppe willkommen, dort hat sie im vergangenen Jahr nach eigenen Angaben in "Notfallmedizin" geschult. Der Einsatz auf den Philippinen wirft aber Fragen auf, weil Präsident Duterte dort beim blutigen Kampf gegen Drogen Menschenrechte ignoriert.
"Hannibal" denkt auch daran, dass Uniter künftig zum Schutz von Helfern und Patienten mit Waffen unterwegs sein könnte. "In Krisengebieten musst du dich doch verteidigen, wenn du Leute rausholst." Eine Waffe sei da "wie Gabel und Löffel beim Essen". Mitglieder haben im Interview dagegen erklärt, für wie abwegig sie es halten, dass Deutsche für Uniter im Ausland bewaffnet Einsätze absolvieren.
Verein verschleiert Führung in der Schweiz
Einige Tage später relativiert auch "Michael" die Pläne. Das Gespräch hat wieder Duke vermittelt, Michael sei der neue Uniter-Vorsitzende. "Wir haben ganz andere Probleme im Moment, wenn wir realistisch sind. Wir tauchen jede Woche einmal in einer Presse auf." "Hannibal" habe den Verein gegründet und verfolge Ziele, "er darf sich das vorstellen. Ob wir dahinkommen oder in die Richtung gehen, das steht im Moment gar nicht zur Diskussion."
t-online.de kennt den vollen Namen von Michael. Ob er der Vorsitzende ist, lässt sich nicht überprüfen. Der Verein, der sich offen geben will, zieht gerade in die Schweiz um und versteckt damit faktisch seine Struktur. Nach Schweizer Recht sind die Vereinsvorstände nicht einfach öffentlich im Internet einsehbar, Michael spricht per Skype mit t-online.de und "Kontraste", will aber nicht gezeigt und nicht genannt werden.
Er ist Deutscher in der Schweiz, wie die beiden Männer, die beim Amtsgericht Stuttgart bislang als Vorsitzender und Stellvertreter des Uniter e.V. geführt werden. Dort läuft die Auflösung des Vereins, den der Verfassungsschutz gerade zum Prüffall erklärt hat.
Soziale Projekte liegen auf Eis
Der Umzug in die neutrale Schweiz sei lang geplant, heißt es von Verantwortlichen. Tatsächlich gab es im März 2019 auch erste Berichte. Spenden aus Deutschland an den bisher als gemeinnützig anerkannten Verein werden damit zumindest schwieriger. Das könnte weitere Probleme bringen: Angesichts der Austrittswelle ist der Jahresbeitrag gerade von 50 auf 100 Euro verdoppelt worden, um Einnahmeausfälle auszugleichen.
"Wir müssen genesen", sagt Vorstand Michael. "Wenn sich das alles mal wieder ein bisschen beruhigt hat, und wir die Möglichkeit haben, gesittet nach vorne zu gehen, dann knüpfen wir wieder da an, was wir vorhatten." Die großen sozialen Projekte, die der Verein als Jahresziel ausgegeben hat, stocken. Wenn aktuell der Name Uniter auftauche, gehen die Türen zu. Aber es sei ja erst Februar.
Doch der personelle Aderlass verschärft das. Im Distrikt Nord ist gerade erst eine Person ausgeschieden, die dort ein gemeinsames Vorzeigeprojekt betreuen sollte: "Engelsflügel", ein Hilfsangebot für Kinder, war als eines von zwei sozialen Projekten als großes Jahresziel ausgegeben worden. "Das war im November, da war noch vieles anders", sagt Duke. "Wir müssen uns sortieren und neu aufstellen." Und dabei offenbar sogar harmlose Pistolenattrappen aus dem Bild räumen.
Das ARD-Politikmagazin "Kontraste" zeigt am heutigen Donnerstag, den 27. Februar 2020, um 21.45 Uhr einen Beitrag über die gemeinsamen Recherchen zur Auslandsmission von Uniter.
- Eigene Recherchen
- taz.de: Schwerpunkt Hannibal