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CDU/CSU mit 77 Prozent? So sähe der Bundestag mit Mehrheitswahlrecht aus


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Erste Parlamentssitzung in London
So sähe der Bundestag nach britischem Wahlrecht aus


Aktualisiert am 17.12.2019Lesedauer: 4 Min.
Bundestag mit Dreiviertel-Mehrheit für die Union: So wäre die Mandatsverteilung umgerechnet auf die Erststimmenergebnisse der Wahl 2017.Vergrößern des Bildes
Bundestag mit Dreiviertel-Mehrheit für die Union: So wäre die Mandatsverteilung umgerechnet auf die Erststimmenergebnisse der Wahl 2017. (Quelle: Montage: Benjamin Springstrow/getty-images-bilder)

In Großbritannien kommt das neue Parlament zusammen, gewählt nach Mehrheitswahlrecht. Mit diesem System kämen CDU und CSU angeblich auf drei Viertel aller Sitze im Bundestag. Doch stimmt das?

"The winner takes it all", heißt es bei Wahlen in Großbritannien, der Gewinner räumt alles ab: Dort zieht nach dem System der Mehrheitswahl derjenige ins Unterhaus, der den Wahlkreis gewinnt – und auch nur die Wahlkreisgewinner, egal, wie stark eine Partei sonst ist. Das britische System hatte einst auch die Union in Deutschland einführen wollen – und sie würde stark profitieren.

231 der 299 Wahlkreise haben Kandidaten der CDU und der CSU bei der Bundestagswahl 2017 gewonnen, die Union käme damit auf eine fast 80-prozentige Mehrheit im Parlament. Die SPD würde 59 Abgeordnete stellen, die Linke 5, von der AfD wären drei Abgeordnete im Parlament und Canan Bayram aus der Hochburg Friedrichshain-Kreuzberg wäre einzige Grünen-Abgeordnete. Solche Modelle machen Furore, Schaubilder des Szenarios sind tausendfach geteilt worden. Gepostet hat das Gedankenexperiment zum Beispiel Nico Semsrott, "Die Partei"-Europaabgeordneter.

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Ganz so dramatisch wäre die Sitzverteilung im Bundestag allerdings nicht, sagt Matthias Cantow, Wahlexperte und einer der Betreiber der Seite wahlrecht.de.

Wieso die CDU doch nicht auf 77,3 Prozent käme: Diese Rechnung setzt voraus, dass es dann nur noch 299 Abgeordnete gäbe und nicht wie bisher mindestens 598. Bei einem reinen Mehrheitswahlrecht würde es aber so viele Wahlkreise wie Abgeordnete geben und die Zahl der Wahlkreise würde sich verdoppeln. Es gebe also viel kleinere Wahlkreise – und das hätte Effekte: Lokale Hochburgen kämen viel stärker zum Tragen, und es wäre auch einfacher, mit örtlich populären Kandidaten zu gewinnen, so Cantow zu t-online.de. "Das würde bei einem so schwachen Ergebnis der Unionsparteien wie bei der Bundestagswahl 2017 vor allem auf deren Kosten gehen."

Wähler würden anders abstimmen

Parteien könnten dann auch viel stärker geneigt und gezwungen sein, Absprachen mit anderen Parteien zu treffen, um überhaupt eigene Kandidaten ins Parlament zu bringen. "Auch die Wähler würden noch strategischer wählen, wenn sie wissen, dass ihre einzige Stimme unter den Tisch zu fallen droht", so Cantow.

Cantow ist sich sicher: "Es ist ein netter Ansatz, für den Vergleich das Erststimmenergebnis von 2017 heranzuziehen. In der Praxis gäbe es dann aber deutlich andere Ergebnisse." Das Risiko einer Verzerrung der Sitzanteile im Parlament gegenüber den Anteilen der Wählerstimmen sei bei einem Mehrheitswahlrecht aber sehr groß – "vor allem, wenn eine einzelne Partei deutlich größer ist".

Was das deutsche Wahlsystem für die Briten hieße: Das Ergebnis hat den Briten deutlich vor Augen geführt, dass ihre Stimmen unterschiedlich viel wert sind. Bei den Grünen (2,7 Prozent der Stimmen) kamen 860.000 Stimmen auf einen Sitz. Bei der schottischen SNP (3,9 Prozent) waren es 25.000 Stimmen pro Sitz. Die SNP hat mit viel weniger Stimmen als die LibDems (11 Prozent) mit 48 gewonnenen Wahlkreisen mehr als vier Mal so viele Sitze errungen wie die LibDems (11). Nach dem deutschen Wahlrecht würde sich die Zahl der Wahlkreise halbieren, die SNP käme nur auf 27 Abgeordnete, die Grünen hätten 16 Abgeordnete statt einem. Vor allem hätten Johnsons Konservative 80 Sitze weniger und keine absolute Mehrheit. Stattdessen wäre die Brexit-Partei von Nigel Farage doch ins Parlament eingezogen.

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Aber auch solche Rechnungen sind problematisch, erläutert Cantow: "In Großbritannien würde dann ebenso zum Teil anders gewählt werden." Bislang wählen Briten häufig keine kleinen Parteien, weil sie wissen, dass Stimmen verschenkt sind für Kandidaten, die den Wahlkreis nicht gewinnen werden. Wenn aber die Partei so stark einzieht, wie sie Prozente geholt hat, lohnt es, auch kleinere Parteien zu wählen. Das Wahlergebnis könnte plötzlich ganz anders aussehen. Die großen Parteien in Großbritannien haben aber kein Interesse, das zu ändern.

Grüne und AfD wären vielleicht bedeutungslos

Was Vor- und Nachteile beider Systeme sind: Das liegt jeweils in der Sicht des Betrachters. In Großbritannien gibt es in der Regel eine Mehrheit für eine Partei. Koalitionsbildungen sind nur selten nötig. In Deutschland sind sie immer komplizierter geworden, weil es vielfach schon für zwei Parteien zur Mehrheit allein nicht reicht.

Ob Alleinregierungen von Union und SPD in den vergangenen Jahrzehnten wünschenswert gewesen wären, ist aber fraglich. "Beim Mehrheitswahlrecht ist es die Ausnahme, dass neue Parteien eine nennenswerte Rollen spielen können", so Matthias Cantow. Grüne und AfD wären vielleicht nie hochgekommen, Stimmen für die Parteien wären regelmäßig folgenlos geblieben.

Wie das deutsche Wahlsystem geändert werden könnte: Das Grundgesetz macht keine Vorgaben, nach welchem System in Deutschland gewählt wird, eine Änderung der Verfassung wäre also nicht einmal nötig, so Cantow.

Als das Wahlgesetz zum ersten Bundestag 1949 erarbeitet wurde, wollten Union und Deutsche Partei ein Mehrheitswahlrecht, damit nicht wie in der Weimarer Republik das Parlament durch zu viele Parteien zersplittert wird. SPD und die kleinen Parteien waren für das Verhältniswahlrecht, ein Kompromissvorschlag der SPD für eine Mischung aus beiden Systemen setzte sich schließlich durch – gedacht für die erste Wahl.

Verwendete Quellen
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