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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Reise nach Ungarn Maas' Spagat
Deutschland und Ungarn beteuern, sie arbeiteten eng zusammen. Doch das Verhältnis hat sich deutlich abgekühlt. Das zeigt sich auch beim ersten Besuch des Außenministers in Budapest.
Heiko Maas ist ein Mann der leisen Töne. Immer wieder betont er, er wolle den Dialog aufrecht erhalten, auch da, wo es schwierig ist. So hat er es im Streit um das Atomabkommen mit dem Iran gehalten. So hält der SPD-Politiker es mit den USA. Kompromisse will er nur da nicht machen, wo Populisten und Antisemiten Hass und Hetze verbreiten. Sie hätten in ihm einen entschiedenen Gegner, sagte Maas jüngst in einem Interview.
Wird er seinen eigenen Ansprüchen auch gegenüber der ungarischen Regierungspartei gerecht? Die Fidesz verfügt über eine Zweidrittelmehrheit im ungarischen Parlament, die sie seit Jahren nutzt, um das Land nach ihrem Geschmack umzubauen. Das heißt: Umbau des Verfassungsgerichtshofes. Grenzen dicht für muslimische Einwanderer. Die private Universität des Mäzens George Soros wird mit antisemitischen Untertönen aus dem Land getrieben. Offene Diskriminierung der Roma-Minderheit. Ablehnung homosexueller Partnerschaften. Liebäugeln mit Wladimir Putin, von dessen Energielieferungen Ungarn abhängig ist und dessen Staatsvision Premier Viktor Orban teilt.
Im Kern ist es all das, wofür die AfD in Deutschland steht.
Man darf davon ausgehen, dass Maas um diese Parallelen weiß. Er ist in der schwierigen Lage, sich inhaltlich von der Fidesz zu distanzieren, ohne sich in die inneren Angelegenheiten Ungarns einzumischen. In Budapest traf er seinen Amtskollegen Peter Szijjarto, zum ersten Mal besuchte er dabei die ungarische Hauptstadt, seit sechs Jahren war er der erste deutsche Außenminister, der das tat. Maas sagte anschließend vor Medienvertretern: "Ich werde weiterhin den Dialog suchen." Gerade bei den Meinungsverschiedenheiten mit der ungarischen Regierung wie etwa der Debatte über Flüchtlingsquoten müsse man im Gespräch bleiben.
Visegrad-Staaten hoffen auf Milde
Aber die Gespräche verlaufen mittlerweile in abgekühlter Atmosphäre, spätestens seit Orban Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) öffentlich für ihren Kurs in der Migrationspolitik angegriffen hat. Die große Koalition in Berlin vertritt die Haltung, alle EU-Staaten müssten die Flüchtlinge untereinander aufteilen. Die osteuropäischen Staaten wehren sich dagegen.
Noch immer läuft ein Rechtsstaatsverfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge gegen Ungarn. Im schlimmsten Fall droht ein Entzug der Stimmrechte, die EU könnte auch finanziellen Druck auf das Land ausüben. Auch gegen Polen hat die EU einen solchen Prozess eingeleitet. Wie es mit beiden Verfahren weitergeht, entscheidet sich erst, wenn die neue EU-Kommission im Amt ist.
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat es allerdings nur ins Amt geschafft, weil die Visegrad-Staaten – Polen, Slowakei, Tschechien und Ungarn – ihren Segen gegeben haben. Jetzt erwarten sie, dass von der Leyen ihnen bei den Justizverfahren entgegenkommt. Die 61-Jährige hat bereits Gesprächsbereitschaft signalisiert.
Nur "unterschiedliche Meinungen"
Die deutsche Außenpolitik ist traditionell vorsichtig damit, Vorgänge in anderen Ländern öffentlich zu bewerten. Das kann man aus historischen Gründen nachvollziehen, Deutschland möchte gerade mit dem Blick auf die eigene unrühmliche Geschichte im Dritten Reich nicht als Besserwisserland dastehen.
Gerade bei Heiko Maas und dem Fall des Rechtsrucks in Ungarn verwundert es aber, dass Maas bei dieser ersten Reise nach Budapest Rassismus, Diskriminierung und Antisemitismus nicht benennt, sondern stattdessen lediglich von "unterschiedlichen Meinungen" spricht. Schließlich erzählte er einmal, er sei wegen Auschwitz in die Politik gegangen. Maas hat sich dagegen entschieden, Ungarn vor den Augen der Öffentlichkeit zur Rede zu stellen.
Doch ganz ohne Mahnungen entließ er Szijjarto nicht: "Wir haben einen Vorschlag diskutiert, den Belgien und Deutschland eingebracht haben", sagte Maas zum Thema Rechtsstaatlichkeit. Anstatt die EU die Einhaltung dieses Prinzips auf höchster Ebene kontrollieren zu lassen, könnten die Mitgliedstaaten demnach untereinander Prinzipien erarbeiten und sich auch gegenseitig bei der Einhaltung überprüfen. Der Vorstoß zeigt: So oder so, eine Lösung muss her.
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Szijjarto ging darauf nicht ein. Er sprach lieber über die starken Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und Ungarn, über Ungarn als großen Kunden der deutschen Rüstungsindustrie, über gemeinsame Militäreinsätze beider Länder etwa im Kosovo. Braucht es möglicherweise klarere Ansagen, um den Vertretern der Fidesz-Partei zu verdeutlichen, wie Deutschland zu ihrer Politik steht?
Womöglich ist es am Ende, wie so vieles, eine Frage des Geldes. Vielleicht braucht es mehr wirtschaftlichen Druck, um klarzustellen, wie wichtig ein gemeinsames Wertegerüst ist. Da stellt sich die Frage, ob Maas' mit den leisen Tönen, die er anschlägt, seinem eigenen Anspruch gerecht wird: sich entschieden gegen rechtes Gedankengut einzusetzen.
- Eigene Beobachtungen vor Ort
- Interview in der ZEIT