Türkei-Neuwahl: Kritik aus Deutschland Özdemir: "Erdogan ist ein verbitterter alter Mann"
Nach der umstrittenen Annullierung der Wahl in Istanbul kommt aus Deutschland Kritik an Präsident Erdogan. Neben Außenminister Maas und Özdemir positioniert sich auch die türkische Gemeinde.
Der frühere Grünen-Chef Cem Özdemir hat die Annullierung der Bürgermeisterwahl in Istanbul als undemokratisch gewertet. "Mit Demokratie hat das rein gar nichts mehr zu tun", sagte der Bundestagsabgeordnete am Dienstag zu AFP. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan "beweist mit der Annullierung der Wahl in Istanbul keine Stärke, sondern offenbart sich als ein verbitterter alter Mann, der den Zenit seiner Macht längst überschritten hat".
Özdemir warf dem türkischen Präsidenten Realitätsverlust vor: "In der Welt von Recep Tayyip Erdogan ist jeder ein Terrorist, der anders denkt als er, und jede Wahl, die er verliert, eine gefälschte Wahl." Der Grünen-Politiker äußerte die Hoffnung, dass die Opposition ihre Geschlossenheit bewahre. "Die Geschlossenheit der Opposition war ihr Erfolgsrezept bei den Wahlen in Istanbul", sagte Özdemir.
Maas und die türkische Gemeinde sind besorgt
Kritik kommt auch vom deutschen Außenminister und der türkischen Gemeinde in Deutschland. Heiko Maas (SPD) mahnte die Einhaltung demokratischer Grundprinzipien an. "Die Entscheidung des Hohen Wahlrats, das Ergebnis der Kommunalwahlen in Istanbul für ungültig zu erklären und eine Wahlwiederholung anzuordnen, ist für uns nicht transparent und nicht nachvollziehbar", erklärte Maas. "Über die Besetzung des Oberbürgermeisteramtes in Istanbul kann und darf allein der Wille der türkischen Wählerinnen und Wähler entscheiden. Die Einhaltung demokratischer Grundprinzipien mit transparenten Wahlbedingungen hat aus unserer Sicht oberste Priorität."
Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD) warnt vor einem Abgleiten der Türkei in die Diktatur. "Sie entfernt sich von rechtsstaatlichen und demokratischen Prinzipien", sagte TGD-Chef Gökay Sofuoglu. Die Annullierung der Wahl wertete er als "politische Entscheidung, die mit Rechtsstaatlichkeit nichts zu tun hat".
Mit dem Schritt sende die türkische Führung die Botschaft aus: "Ihr dürft bei Wahlen antreten, aber nicht gewinnen." Dies "schadet der türkischen Wirtschaft, der Demokratie und damit der Türkei insgesamt", kritisierte Sofuoglu. Die Menschen müssten daran glauben können, dass eine Übernahme von Macht durch demokratische Wahlen möglich sei. "Wenn dieser Glaube schwindet, dann verliert die Demokratie an Legitimität."
Imamoglu spricht von Verrat
Der TGD-Vorsitzende riet der Opposition in der Türkei zum Festhalten an demokratischen Werten. "Auch wenn es schwer fällt: Die Opposition muss jetzt einen kühlen Kopf bewahren", sagte Sofuoglu. "Die Annullierung kann einen noch stärkeren Mobilisierungseffekt bei der Opposition auslösen. Nach dem Motto: Jetzt erst recht!"
Die türkische Wahlbehörde hatte am Montagabend einer Beschwerde von Erdogans Regierungspartei AKP stattgegeben und eine Wiederholung der Wahl vom 31. März angeordnet. Istanbuls Bürgermeister Ekrem Imamoglu von der oppositionellen CHP, der die Wahl knapp gewonnen hatte, sprach von Verrat.
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Der Verlust von Istanbul war für Erdogan und seine Partei bitter, da die 16-Millionen-Metropole das kulturelle und wirtschaftliche Herz der Türkei ist. Zudem stammt Erdogan selbst vom Bosporus und begann dort 1994 seine politische Karriere als Bürgermeister.
- Nachrichtenagenturen AFP und dpa