Designierter Präsident Bundestag wählt CDU-Abgeordneten Stephan Harbarth ins Verfassungsgericht
Wirtschaftsanwalt, Berufspolitiker – bald Verfassungsgerichtspräsident? Stephan Harbarth kommt als Exot nach Karlsruhe. Manche zweifeln an seiner Unabhängigkeit. Zu Recht?
Stephan Harbarth ist kein Mann der schrillen Töne. Beharrlich in der Sache, aber immer verbindlich. Keiner, der in einer Sitzung laut wird, sich zu provokanten Thesen versteigt. Seit einigen Tagen wägt Harbarth noch genauer ab, was er sagen kann und was nicht.
Schon länger ist klar, dass CDU-Mann auf dem Sprung nach Karlsruhe ist, in eines der wichtigsten Ämter der Republik: Seine Parteifreunde haben ihn für die frei werdende Stelle am Bundesverfassungsgericht auserkoren – und damit perspektivisch sogar als Nachfolger von Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle im Jahr 2020.
Gewählt wurde er am Donnerstag: mit 452 Stimmen im Bundestag, eine Zwei-Drittel-Mehrheit war nötig, er hat sie bekommen. Die Union hatte sich mit SPD, Grünen und FDP abgestimmt. Eine ganz große Koalition stützt Harbarth. Glücklich sind mit der Wahl trotzdem nicht alle.
Karriere in der CDU
Harbarth registriert sorgfältig, was über ihn geschrieben wird. Der 46-Jährige ist ganz offensichtlich niemand, der in seiner Karriere etwas dem Zufall überlassen hat, weder als Jurist noch als Politiker.
Mit 16 tritt der gebürtige Heidelberger in die Junge Union ein, macht sich in seinem Wahlkreis Rhein-Neckar bald einen Namen. 2009 wird er Bundestagsabgeordneter, 2016 stellvertretender Chef der Unionsfraktion und Mitglied im CDU-Bundesvorstand. Sein Verhältnis zur Kanzlerin gilt als sehr gut. Den Kontakt zur Basis scheint Harbarth, der mit Frau und drei Kindern in Mühlhausen im Kraichgau lebt, nicht verloren zu haben. Sein Twitter-Account zeigt einen umtriebigen, volksnahen Politiker, mit Glas in der Hand bei der Rauenberger Rotweinnacht, mit TSG-Hoffenheim-Schal um den Hals im Fußballstadion, bei unzähligen Weinfesten und Kerwe-Eröffnungen.
Mehr als 250.000 Euro im Jahr
Parallel macht er Karriere als Wirtschaftsanwalt: Mit Abschlüssen in Heidelberg und Yale ist Harbarth heute Partner in der Großkanzlei Schilling, Zutt & Anschütz in Mannheim – ein Job, der ihm seit Jahren einen Platz unter den Top 10 der Bestverdiener im Bundestag sichert. Nebeneinkünfte in der höchsten Stufe 10: also mehr als 250.000 Euro.
Im ehrwürdigen, diskreten Kosmos des Verfassungsgerichts macht ihn beides zum Besucher von einem anderen Stern. Die beiden Senate mit je acht Richtern sind traditionell besetzt mit vormaligen Bundesrichtern und Hochschulprofessoren, Staatsrechtler zumeist. Von 1967 bis 2005 gab es drei Rechtsanwälte unter den Richtern, seither keinen mehr, wie der Deutsche Anwaltverein und die Bundesrechtsanwaltskammer vor nicht allzu langer Zeit vorgerechnet haben. Beiden gefällt die Entwicklung nicht.
Aus der Politik kommen derzeit nur der langjährige saarländische CDU-Ministerpräsident Peter Müller und sein Senatskollege Peter Huber, der vor dem Wechsel nach Karlsruhe kurz CDU-Innenminister in Thüringen war. Zwar waren auch die über jeden Zweifel erhabenen Gerichtspräsidenten Jutta Limbach und Roman Herzog unmittelbar vor ihrer Nominierung aktive Landespolitiker. Beide hatten allerdings zuvor auch klassische Professorenlaufbahnen eingeschlagen.
Warnung vor Interessenkonflikten
Einige wie der Linke-Obmann im Bundestags-Rechtsausschuss, Niema Movassat, sehen Harbarths Nominierung deshalb kritisch. In Karlsruhe werde er über Gesetze entscheiden, die er selbst als Abgeordneter mitgetragen habe, das sei ein klarer Interessenkonflikt, gab Movassat im Deutschlandfunk zu bedenken. Gerne erinnern Harbarths Kritiker jetzt auch daran, dass seine Kanzlei mit dem Slogan "Zu uns kommen Konzerne" unter anderem Volkswagen im Dieselskandal vertritt.
Persönlich war Harbarth mit dem Mandat nicht betraut. Seine Arbeit als Anwalt endet ohnehin mit dem Wechsel, als Verfassungsrichter darf er nur seine Honorarprofessur an der Uni Heidelberg weiter pflegen.
Andererseits gilt das Verfassungsgericht immer schon als Institution, die seine Richter prägt, nicht als eine, die von Richtern geprägt wird: Das Vertrauen, das es bei er Bevölkerung genießt, die eine Folge der Unabhängigkeit und Überparteilichkeit ist, überwog bisher stets politische Loyalitäten. Auch bei Peter Müller war es so, auch damals gab es Zweifel. Harbarth wird sich einfinden müssen.
Designierter Verfassungsgerichtspräsident
Allerdings wird er voraussichtlich eine herausgehobene Stellung haben: Am Freitag entscheidet der Bundesrat darüber, ob er auch direkt zum Vizepräsidenten gewählt wird – weil er dem Vizegerichtspräsidenten Ferdinand Kirchhof nachfolgt, der aus Altersgründen ausscheidet. Die Entscheidung ist eine Formsache. Niemand rechnet damit, dass der Bundesrat gegen ihn stimmt. Daraus folgt aber auch: In zwei Jahren wird er wahrscheinlich Verfassungsgerichtspräsident, also der fünfte Mann im Staat.
Denn in zwei Jahren wechselt die Gerichtspräsidentschaft wieder vom Vorsitzenden des zweiten Senats zum Vorsitzenden des ersten Senats. Also dann zu Harbarth, wenn alles läuft wie geplant.
Auf der Internetseite Abgeordnetenwatch.de können Nutzer an die Volksvertreter Fragen stellen, von Harbarth will jemand wissen: "Können Sie die gerichtliche Unabhängigkeit mit Ihrer bisherigen Tätigkeit mit reinem Gewissen gewährleisten?" Bisher hat Harbarth die Frage nicht beantwortet - wie alle anderen Fragen aus dem November.
- dpa