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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Nach brutalen Attacken Faeser: "Wir brauchen noch mehr sichtbare Polizeipräsenz vor Ort"
Angriffe auf Politiker halten die Bundesrepublik in Atem. Bund und Länder wollen nun schnellstens Maßnahmen ergreifen. Welche Vorschläge gibt es? Und was ist bisher zu den Fällen bekannt?
Brutale Angriffe auf Politiker im Wahlkampf haben Deutschland aufgerüttelt. Tausende Menschen gingen am Sonntag in Dresden und Berlin auf die Straße, um für Demokratie und gegen Gewalt zu demonstrieren. Politiker mehrerer Parteien riefen zu Solidarität mit den Opfern und zu einem Einstehen für die Demokratie auf.
Während die Suche nach den Tätern noch läuft, gibt es bereits erste Rufe nach einer entschiedenen Reaktion der Politik auf die Gewalt. "Es ist wirklich fünf vor zwölf", sagte etwa Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) am Sonntagabend in der ARD-Sendung "Caren Miosga". Eine kurzfristig von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) einberufene Konferenz mit ihren Länderkollegen soll am Dienstag dazu beraten.
Doch was ist in der vergangenen Woche genau vorgefallen? Was weiß man bisher über die Täter? Und welche Maßnahmen wollen Bund und Länder nun konkret ergreifen? t-online gibt einen Überblick.
Welche Angriffe auf Politiker hat es gegeben?
Der wohl brutalste Angriff hat sich am Freitagabend im Dresdener Stadtteil Striesen abgespielt. Eine Gruppe von wohl vier Personen attackierte Matthias Ecke, den Spitzenkandidaten der sächsischen SPD für die Europawahl, als dieser Wahlplakate aufhängen wollte. Der 41-Jährige wurde schwer verletzt, musste anschließend im Krankenhaus operiert werden.
Nur Minuten zuvor soll möglicherweise dieselbe Gruppe einen Wahlkampfhelfer der Grünen beim Plakatieren angegriffen haben. Die Täter sollen ihm ins Gesicht geschlagen und auf ihn eingetreten haben, als er noch am Boden lag. Mehr zu den beiden Angriffen lesen Sie hier.
Bereits am Donnerstag war der dritte Bürgermeister der Stadt Essen, Rolf Fliß (Grüne), auf offener Straße attackiert worden. Fliß war mit seinem Parteikollegen Kai Gehring unterwegs, als sie mit einer Gruppe von drei Männern ins Gespräch kamen. Im Zuge dessen sei es zu Beleidigungen und schließlich zu Schlägen ins Gesicht von Fliß gekommen. Mehr zu diesem Vorfall lesen Sie hier.
Ein weiterer Angriff auf einen Politiker trug sich am Samstag im niedersächsischen Nordhorn zu. Dort hatte der AfD-Landtagsabgeordnete Holger Kühnlenz einen Infostand aufgebaut. Laut Polizeiangaben warfen Personen zunächst Eier auf den Stand, später seien sie zurückgekehrt und hätten Kühnlenz geschlagen. Mehr dazu lesen Sie hier.
Was weiß man bisher über die Täter?
Nach den Angriffen in Dresden-Striesen hat sich ein 17-Jähriger der Polizei gestellt. In der Nacht auf Sonntag meldete sich der Jugendliche gemeinsam mit seiner Mutter bei der Polizei im südlichen Stadtteil Prohlis. Dabei habe er zwar den Angriff eingeräumt, sich jedoch nicht zu einem Tatmotiv geäußert, teilte die Polizei mit. Mehr dazu lesen Sie hier.
Laut Angaben der Dresdner Staatsanwaltschaft wurden zudem noch am Sonntag drei weitere Tatverdächtige identifiziert und deren Wohnungen durchsucht. Mehr dazu lesen Sie hier. Zeugen hatten die Täter als dunkel gekleidet und vermummt beschrieben, ein Zeuge hatte sie Polizeiangaben zufolge dem "rechten Spektrum" zugeordnet.
Festnahme nur nach Angriff auf AfD-Politiker
Bisher gab es lediglich im Fall des Angriffs auf den AfD-Politiker in Nordhorn eine Festnahme. Ein 29-Jähriger wurde nach der Attacke von der Polizei in Gewahrsam genommen. Der Mann soll mit einer Frau unterwegs gewesen seien, zu der es jedoch bisher keine weiteren Informationen gibt.
Nach dem Angriff auf den dritten Bürgermeister Essens, Rolf Fliß, sucht die Polizei nach zwei Tatverdächtigen und Zeugen des Vorfalls. Der Staatsschutz ermittelt in dem Fall, da der Verdacht einer politisch motivierten Tat besteht. Die Täter sollen Fliß laut dessen Angaben unter anderem mit Beleidigungen wie "ihr grünen Faschos" belegt haben. Fliß, der bei dem Angriff leicht verletzt wurde, hat Anzeige erstattet.
Welche Maßnahmen will die Politik nun ergreifen?
Am Dienstag kommt Bundesinnenministerin Nancy Faeser mit ihren 16 Länderkollegen zusammen, um die Situation zu beraten. Die SPD-Politikerin hat bereits einen besseren Schutz für Politiker und Helfer gefordert: "Wir brauchen noch mehr sichtbare Polizeipräsenz vor Ort, um Demokraten an Wahlkampfständen und bei Veranstaltungen zu schützen", sagte Faeser der "Rheinischen Post" angesichts der Attacke auf Ecke und auf weitere Politiker und Wahlhelfer in den vergangenen Tagen. "Rechtsstaatlich müssen wir jetzt mit mehr Härte gegen Gewalttäter und mehr Schutz für die demokratischen Kräfte handeln", betonte sie.
Sachsens Innenminister Armin Schuster versprach ein entschiedenes Durchgreifen der Strafverfolgungsbehörden: "Wir werden dafür sorgen, dass alle Täter ihrer Strafe zugeführt werden." Zugleich sprach er sich dafür aus, die Zusammenarbeit zwischen Parteizentralen und der sächsischen Polizei im Wahlkampf zu intensivieren, um die Teilnehmerinnen und Teilnehmer etwa bei Veranstaltungen besser schützen zu können.
Die SPD in Sachsen will aufgrund der nächtlichen Angriffe auf ihren Spitzenkandidaten nur noch tagsüber plakatieren. Zudem will man laut Angaben des SPD-Landeschefs Henning Homann die Teams vergrößern.
Politiker sprechen sich gegen Kürzungen bei innerer Sicherheit aus
In diesem Jahr stehen neben der Europawahl Anfang Juni auch Landtagswahlen im September in Brandenburg, Sachsen und Thüringen an. Darüber hinaus finden zahlreiche Kommunalwahlen statt.
Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, André Berghegger, wies darauf hin, dass gerade Kommunalpolitikerinnen und -politiker leicht für Beleidigungen, Hetze, Hass oder sogar tätliche Angriffe erreichbar seien und sorgt sich wegen der zunehmenden Angriffe auf Wahlkämpfer. "Im Jahr 2024 werden in rund 6.000 Städten und Gemeinden mehr als 110.000 Mandate neu gewählt", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Daher gäben die Ereignisse der vergangenen Tage Anlass zu großer Sorge.
Innenpolitiker von SPD und Grünen warnen davor, nun bei der inneren Sicherheit zu sparen. "Wer in diesen Zeiten im Innenressort sparen will, legt die Axt an die Demokratie. Wir müssen das Gegenteil tun und ein Sicherheits- und Demokratiepaket auflegen", sagte SPD-Innenpolitiker Sebastian Fiedler dem "Spiegel". Der Grünen-Innenexperte Marcel Emmerich mahnte in dem Nachrichtenmagazin ebenfalls: "Angesichts des inneren und äußeren Drucks auf unsere Sicherheit und Demokratie wären solche Kürzungen im Bereich der inneren Sicherheit töricht und fahrlässig." Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz bekräftigte die Forderung nach einem "Sondervermögen innere Sicherheit".
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
- spiegel.de: "Tatort Schandauer Straße" (kostenpflichtig)
- wdr.de: "Grünen-Politiker in Essen angegriffen: 'Lasse mich nicht einschüchtern'"
- spiegel.de: "Fehlt dem Staat das Geld zum Schutz seiner Politiker?" (kostenpflichtig)