Richtungsstreit in der CDU Die Gräben reißen auf

In der CDU brodelt es an einer Flanke, an der es bislang ruhig war: der Außenpolitik. Es gibt zunehmend konträre Haltungen im Umgang mit Russland, der Türkei und den USA.
Während Union und SPD dabei sind, letzte Details der Koalitionsverhandlungen zu klären und die Verteilung der Spitzenposten in der künftigen schwarz-roten Regierung vorzunehmen, werden in der CDU Stimmen laut, die einen anderen Umgang mit Russland fordern, als dies bislang der Fall war.
Zuletzt sprachen sich führende CDU-Politiker für eine Wiederaufnahme der Gaslieferungen aus Russland aus. Zudem gibt es Diskussionen innerhalb der Partei, was das Auftreten gegenüber der US-Regierung unter Donald Trump oder der autokratischen Regierung unter Recep Tayyip Erdoğan in der Türkei betrifft. Auch dazu gab es in den vergangenen Tagen zahlreiche, zum Teil widersprüchliche Äußerungen.
Hintergrund ist wohl die künftige Besetzung des Außenamts. Während das Verteidigungsministerium weiterhin von Boris Pistorius (SPD) geführt werden könnte und der SPD auch der Zugriff auf das wichtige Finanzministerium nachgesagt wird (womöglich in Gestalt von SPD-Chef Lars Klingbeil), bekäme die CDU das ebenfalls prestigeträchtige Auswärtige Amt. In Zeiten einer turbulenten Weltlage mit zahlreichen Krisenherden und tiefen politischen Erschütterungen könnte die Position des Außenministers wichtiger als je zuvor werden.
Doch wie stellt sich die Union in diesem Politikbereich unter Friedrich Merz inhaltlich auf? Derzeit scheint in der CDU in dieser Frage eher der Eindruck von Uneinigkeit vorzuherrschen.
Insbesondere der ehemalige CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet hat sich in den vergangenen Tagen deutlich positioniert. Es müsse im Umgang mit Erdoğan mehr Augenmaß geben, forderte der ehemalige Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens etwa im Interview mit den Zeitungen der "Funke"-Gruppe. Lautstarke Kritik an der Verhaftung des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem Imamoğlu lehnt Laschet demnach ab.
Laschets Kurs in der Türkei-Politik
Natürlich müsse man demonstrieren dürfen gegen den Vorgang, der in der Türkei seit Tagen Hunderttausende Menschen auf die Straße bringt, um gegen die ihrer Meinung nach politisch motivierte Verhaftung İmamoğlus zu protestieren. Aber, so Laschet, "Man kann aber auch diplomatisch signalisieren, dass das nicht zum europäischen Standard gehört. Die Türkei will ja immer noch in die Europäische Union, und der Umgang mit İmamoğlu ist unvereinbar damit."
Laschet hatte während seiner Zeit als Integrationsminister in Nordrhein-Westfalen versucht, den großen Anteil türkeistämmiger Menschen, die in dem Bundesland leben, politisch und gesellschaftlich einzubinden. Er hatte sich auch stets um eine gute Beziehung zum Erdoğan-Regime bemüht.
Laschets Parteifreundin Serap Güler kritisierte das Vorgehen Erdoğans hingegen. "Erdoğan hat dieses Mal den Bogen überspannt. Auch in seiner eigenen Wählerschaft wird durchaus kritisiert, wie man hier den stärksten Oppositionspolitiker aus dem Weg schaffen will", sagte Güler.
Vor offener Kritik an Erdoğan warnte allerdings auch sie: "Kritik aus dem Ausland setzt Erdoğan gegenüber seiner eigenen Anhängerschaft unter Druck, nicht nachzugeben." Dies sei nicht im Sinne der Menschen, die für die Demokratie auf die Straße gehen. "Deshalb sind Gespräche hinter verschlossenen Türen nötig."
Massive Flüchtlingsbewegung droht
Ähnlich äußerte sich Laschet. Man müsse "einen Weg finden, unsere Haltung bei eklatanten Verstößen wie der Verhaftung des Istanbuler Bürgermeisters sichtbar zu machen, ohne die Beziehungen zu Ankara auf Jahre zu zerstören."
Laschet weiß, dass der türkische Präsident ein mächtiges Druckmittel in der Hand hält: das Migrationsabkommen mit der EU. Wird die Kritik an der Regierung in Ankara zu laut, könnte Erdoğan womöglich das Abkommen aufkündigen. Die Folge wäre wohl eine massive Flüchtlingsbewegung, der sich Deutschland und die EU ausgesetzt sähe.
Während sich die noch amtierende rot-grüne Bundesregierung wesentlich deutlicher positionierte und scharfe Kritik an Ankara übte, hielt man sich in der CDU in dieser Frage bislang zurück. Auch Roderich Kiesewetter, Außenexperte der Union, mahnte zu einem umsichtigen Kurs mit Erdoğan. Demnach sei die Türkei einer der wichtigsten Eckpfeiler für die Verteidigung der Nato. "Wir müssen vorausschauen", betonte Kiesewetter bei tagesschau.de. "Die nächsten zehn Jahre werden gravierend für Europa, weil Russland Krieg gegen Europa vorbereitet."
Kiesewetter: "Dürfen Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen"
In einer anderen Frage scheinen die Gräben in der CDU allerdings immer weiter aufzureißen: dem richtigen Umgang mit dem diktatorischen Regime Wladimir Putins. So forderte Kiesewetter im Gespräch mit "Süddeutsche Zeitung Dossier" eine klare Abgrenzung von Russland. Er kritisierte seine eigene Partei dabei auch für frühere Fehler im Umgang mit Moskau. "Es ist wünschenswert, wenn es in der Union zu einer Aufarbeitung der verfehlten Russlandpolitik der Vergangenheit käme, denn wir dürfen die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen", sagte er. "Wer russische Narrative verbreitet oder wieder auf russisches Gas setzt, der schwächt damit europäische Sicherheit, die insbesondere Geschlossenheit und Stärke gegenüber Russland braucht."
Kiesewetter forderte zudem, mögliche russlandfreundliche Tendenzen bereits im Koalitionsvertrag auszuschließen: "Eine Reaktivierung von Nord Stream sollte am besten im Koalitionsvertrag ausgeschlossen werden, damit sämtlichen Spekulationen und russlandfreundlichen Ambitionen der Wind aus den Segeln genommen wird", sagte er. Mit Appeasement wie den Lockerungen von Sanktionen werde die deutsche Sicherheit geschwächt sowie der Aggressor Russland gestärkt.
Auch SPD-Co-Chef Lars Klingbeil lehnte es ab, über erneute Gaslieferungen aus Russland zu diskutieren. Man habe sich nach dem russischen Überfall auf die Ukraine von russischen Lieferungen unabhängig gemacht, sagt Klingbeil in der ARD: "Dieser Weg muss konsequent weitergegangen werden." Er sehe einen Weg zurück "überhaupt nicht". Man sei ohnehin weit weg von einer Normalisierung mit Russland. Aber auch nach dem Krieg könne es keinen Weg zurück geben. "Wir dürfen nicht mehr naiv werden", fügt er hinzu.
Zuletzt hatten neben Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer auch die CDU-Politiker Thomas Bareiß und Jan Heinisch für eine Wiederaufnahme der Gasimporte aus Russland geworben – eine Forderung, die auch die in weiten Teilen rechtsextreme AfD seit Jahren vertritt.
Die Debatte innerhalb der CDU hatte bei anderen Parteien scharfe Kritik ausgelöst. Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann zeigte sich entsetzt über Kretschmers Äußerungen. "Während Putin weiter Bomben auf die Ukraine wirft, biedert sich Ministerpräsident Kretschmer dem Kriegstreiber wieder an", sagte sie. Den CDU-Vorsitzenden Merz forderte Haßelmann auf, "die Moskau-Connection in seiner Partei schnellstens abzuwickeln".
Haßelmann kritisiert "Moskau-Connection" in der CDU
Doch Kretschmer, der sich trotz des Ukrainekrieges seit Jahren für ein konstruktives Verhältnis zum Kreml einsetzt, ging noch weiter. So forderte er Deutschland und die EU-Länder auf, über Lockerungen der Sanktionen gegen Russland nachzudenken. Eine Weigerung, das Thema anzugehen, sei "völlig aus der Zeit gefallen", so der stellvertretende CDU-Vorsitzende. "Wenn man merkt, dass man sich selbst mehr schwächt als das Gegenüber, dann muss man darüber nachdenken, ob das alles so richtig ist."
Für den Kanzler in spe, Friedrich Merz, kommen die Diskussionen zur Unzeit. Schließlich hatte er sich im Wahlkampf stets für ein hartes Vorgehen gegenüber Putin und einen Ausbau der Unterstützung für die völkerrechtswidrig angegriffene Ukraine ausgesprochen. Doch die "Moskau-Connection", wie Haßelmann die Russland-Befürworter in der CDU nennt, sitzen bei den Koalitionsgesprächen allesamt im Verhandlungsteam der Union. Sie sind keine Hinterbänkler.
Und auch Laschet bringt sich wohl nicht zufällig in die außenpolitische Debatte ein. Zuletzt durfte er in der Delegation von Annalena Baerbock (Grüne) mit nach Syrien reisen. Der gescheiterte Kanzlerkandidat von 2021 gilt als Anwärter auf den Posten als Außenminister. Er selbst bestreitet das nur halbherzig. Im "Bild"-Podcast ließ er kürzlich wissen, er habe sich zwar um kein Amt beworben, aber seitdem er politisch tätig ist, immer auch Außenpolitik betrieben.
Laschet: "Trump wird uns noch mal brauchen"
Ambitionen auf den Posten werden auch Johann Wadephul nachgesagt, ebenso dem Außenexperten Norbert Röttgen. Beide stehen für einen harten Kurs gegenüber Russland. Wadephul hatte zuletzt auch scharfe Kritik am umstrittenen Vorgehen Donald Trumps gegenüber der Regierung in Kiew geübt. "Trump begeht einen schweren strategischen Fehler", sagte Wadephul im Podcast der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".
Auch hier machte sich Laschet nun für einen eher moderateren Kurs stark. So plädierte er für einen diplomatischeren Umgang mit Donald Trump. "Es bringt uns keinen Millimeter weiter, wenn wir uns jeden Tag ereifern über Donald Trump und uns über ihn lustig machen", sagte Laschet der "Funke"-Mediengruppe. "Man muss alles tun, Trump so eng wie möglich an Europa zu binden." Es gelte, ihm zu verdeutlichen, dass eine enge Zusammenarbeit auch im amerikanischen Interesse sei. "Es gibt geopolitische Konflikte, nicht nur mit Russland, sondern auch mit China. Trump wird uns auch noch mal brauchen", sagte Laschet.
In der CDU, so wird wohl nicht nur beim künftigen Koalitionspartner SPD erwartet, dürfte der designierte Kanzler Merz spätestens mit seinem Amtsantritt dafür sorgen, die Vielstimmigkeit in Sachen Außenpolitik in seiner Partei zu beenden. Denn wer auch immer das Amt letztlich besetzen wird: Es wird auch eine Richtungsentscheidung für Deutschlands Umgang mit den großen weltpolitischen Konflikten unserer Zeit.
- zeit.de: Laschet rät von "lautstarken" Reaktionen auf Festnahme İmamoğlus ab
- welt.de: Laschets riskantes Spiel mit den Deutschtürken
- deutschlandfunk.de: CDU-Politikerin Güler: Erdogan wird sich öffentlichem Druck aus dem Ausland nicht beugen
- tagesschau.de: Nach Verhaftung von İmamoğlu. Wie umgehen mit der Türkei?
- iwd.de: Importe aus Russland: Wie abhängig ist Deutschland?
- fr.de: Kabinett Merz: Könnte Laschet Außenminister werden?
- bild.de: Wer wird neuer Außenminister? Kampf um die Baerbock-Nachfolge hat begonnen
- youtube.com: FAZ. CDU-Vize Wadephul: "Trump begeht einen schweren strategischen Fehler"
- Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa, AFP und Reuters