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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Biograf über Kanzler-Kommunikation "Dieser Satz ist Scholz rausgerutscht"
Was haben Scholz und Merkel gemeinsam? Viel, sagt sein Biograf Lars Haider im Interview mit t-online. Vor allem kommunizierten beide wenig bis gar nicht. "Aber die Strategie funktioniert nicht."
Wieso redet der Kanzler so, wie er redet – nämlich relativ wenig? Diese Frage treibt viele Menschen um, auch Lars Haider. Der 54-Jährige ist seit 2011 Chefredakteur des "Hamburger Abendblatts" und Scholz-Biograf. Nun hat Haider zusammen mit Jörg Quoos, dem Chefredakteur der Funke Zentralredaktion, ein neues Buch geschrieben.
In "Der Blabla-Wumms" geht es um die Sprache der Politiker – auch um Scholz‘ Sprache. Was sie auszeichnet, erklärt Haider im Gespräch mit t-online – und er verrät, womit ihn der Kanzler mal wirklich überrascht hat.
t-online: Herr Haider, dem Bundeskanzler wird vorgeworfen, zu zögerlich zu kommunizieren. Sie sagen: Das sei kein Zaudern, sondern Strategie. Welche Strategie?
Lars Haider: Seine Überzeugung ist, dass man erst über Politik reden sollte, wenn sie fertig durchdacht ist. Scholz will keine Zwischenstände geben. Diese Strategie funktioniert allerdings nicht in der überkommunikativen Gesellschaft, in der wir leben. Dadurch wirkt Scholz wie ein Zauderer, der er aber gar nicht ist. Scholz ist sehr entscheidungsstark.
Wenn alle anderen in der Bundesregierung mit Forderungen um sich werfen, wirkt ein Kanzler, der schweigt, nun mal schwach.
Stimmt. Das ist aber ein Trugschluss: Die, die mehr reden, geben nicht den Ton im Kabinett an. Minister haben mir erzählt, dass wenn sie mit einer Idee zum Kanzler gehen, er oft noch eine eigene, bessere parat hat. Aber klar ist auch: Neben rhetorisch stärkeren Politikern wie Robert Habeck oder Christian Lindner sieht Scholz entscheidungsschwach aus, auch wenn er das nicht ist.
Hat der Kanzler Angst, falsch verstanden zu werden?
Scholz hat den Anspruch, dass sich keiner seiner Sätze verselbstständigen oder auch nur in Ansätzen falsch verstanden werden darf. Es gibt auch nur einen Satz in seiner Karriere, der sich verselbstständigt hat.
Sie meinen seine Aussage zum G20-Gipfel 2017 in Hamburg: "Wir richten ja auch jährlich den Hafengeburtstag aus. Es wird Leute geben, die sich am 9. Juli wundern werden, dass der Gipfel schon vorbei ist." Tatsächlich gab es dann heftige Krawalle.
Genau. Der Satz ist ihm herausgerutscht. Das war ihm eine Lehre. Seitdem ist Scholz in seiner Sprache noch vorsichtiger geworden.
In der Regierung sagt und fordert jeder, was er will – auch Gegensätzliches. Wäre es nicht Scholz‘ Aufgabe dafür zu sorgen, dass die Ampel mit einer Stimme spricht?
Die unterschiedlichen Ansätze von Kommunikation gehen nicht zusammen, das stimmt. Dadurch wirkt die gesamte Regierung zerstritten. Allein deshalb wird es schwer sein, diese Koalition vernünftig fortzuführen.
Sie glauben, die Ampel ist am Ende?
Ich glaube, dass die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Haushaltspolitik ein Wendepunkt ist. Ich habe Scholz in der Vergangenheit immer verteidigt, weil er jemand ist, der sich mit Politik und den Details extrem gut auskennt. Der Haushaltstrick, die Corona-Kredite für den Klima- und Transformationsfonds umzuwidmen, war seine Idee. Es gab sicher Leute, die das hinterfragt haben.
Aber er hat nicht auf sie gehört?
Scholz als gelernter Jurist hat gedacht, das wird schon durchgehen. Sein Image war: "Ich bin kein großer Redner, aber ein großer Macher". Dieses Image hat zum ersten Mal einen großen Knacks bekommen. Ich bin mir nicht sicher, ob er das Vertrauen wiedergewinnen kann. Das ist der größte Rückschlag in seiner politischen Karriere.
Schafft die Regierung eine volle Amtszeit oder bricht sie bald auseinander?
Wenn, dann hätte die Regierung direkt nach dem Urteil zurücktreten müssen. Ich frage mich: Was müsste noch Schlimmeres passieren, damit sie zurücktritt? Da fällt mir nichts ein. Deswegen werden SPD, Grüne und FDP die nächsten zwei Jahre schauen, was noch geht. Scholz muss jetzt mit guter Politik punkten, das ist seine letzte Chance.
Die Sympathiewerte für Scholz sind im Keller. Ist ihm so was egal?
Das wird ihn beschäftigen. In der Vergangenheit war es so: Die SPD war nicht besonders beliebt, aber Scholz hatte hohe Kompetenzwerte. Jetzt sind beide Werte im Keller. Scholz glaubt allerdings immer, dass er einen Ausweg weiß. Ich würde Scholz nie abschreiben, aber dieses Mal bin ich ratlos, wie er das schaffen soll.
Früher ist Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt öffentlich für seinen Chef in die Bresche gesprungen. Warum tut er das heute nicht mehr?
Das verstehe ich auch nicht. Schmidt hat sich entschieden, nicht mehr öffentlich aufzutreten. Das wäre allerdings gut, weil er sehr schnell Sympathien gewinnen und Olaf Scholz sehr gut erklären kann. Spätestens im Bundestagswahlkampf müsste er das wieder machen. Er ist einer der wichtigsten Berater des Kanzlers, auch wenn Olaf Scholz am Ende seine Entscheidungen vor allem aus sich selbst heraus trifft.
Scholz ist also beratungsresistent?
Auf jeden Fall ist er niemand, der sich verbiegt. Seit Jahrzehnten wird ihm geraten, dass er etwas an seiner Kommunikation verändern muss, weil er mit seiner Art sonst nie etwas werde. Nun hat er das wichtigste politische Amt in diesem Land inne, und zwar genau mit dieser Art.
Scholz fordert von seinem Umfeld, niemals hysterisch oder beleidigt zu sein. Wie gelingt ihm das selbst?
Er ist so. Olaf Scholz braucht auch keine Hobbys, um herunterzukommen, weil er gar nicht hochkommt. Scholz joggt nur, um sportlich zu bleiben, nicht um abzuschalten. Er hat mir mal erzählt, die vier Stunden, die er während des turbulenten G20-Gipfels pro Nacht geschlafen hat, habe er sehr ruhig geschlafen. Er schläft auch als Kanzler tief und fest.
Scholz und seine Vorgängerin Angela Merkel werden oft verglichen. Wie ähnlich sind sich die beiden?
Ich finde, sie sind sich sehr ähnlich. Wolfgang Schmidt sagt immer: Scholz ist Merkel mit Plan. Ich glaube, das stimmt. Viele der heutigen Probleme, mit denen der Kanzler sich beschäftigen muss, gehen auf die Amtszeit von Merkel zurück. Die Ampel ist auch deshalb unbeliebt, weil sie massive Veränderungen anstoßen muss, die in den 16 Jahren zuvor nicht auf den Weg gebracht worden sind.
Hat sich Scholz bewusst Dinge von Merkel abgeschaut?
Nein, hat er nicht. Scholz ist so, wie er ist. Seine größte strategische Leistung war es, vor der Bundestagswahl 2021 zu erkennen, dass die Menschen Merkel mögen und er als männlicher Merkel Bundeskanzler werden kann.
Als Gemeinsamkeit haben die beiden auch ihre seltenen Talkshow-Auftritte. Merkel ging eher zu Anne Will, Scholz als Kanzler bisher auch zu Will oder Maybrit Illner. Sollte Scholz einmal zu Markus Lanz gehen?
Ja! Ich habe Scholz‘ Umfeld auch mal gefragt, warum er als Kanzler noch nicht bei Markus Lanz war. Antwort: Bei Anne Will oder Maybrit Illner erreiche er mehr Zuschauer.
Der Moderator lockt fast jeden Politiker aus der Reserve. Könnte es auch daran liegen?
Ich glaube, er ist einem offenen Gespräch mit Lanz gewachsen. Lanz sagt selbst, Scholz sei sein größter Gegner. Auch die Bürger würden Scholz ein Gespräch mit Markus Lanz hoch anrechnen. Er könnte dort Pluspunkte sammeln, die er dringend braucht.
Sie sind als Scholz-Biograf sehr nah am Kanzler. Wie halten Sie die Distanz?
Das ist ganz einfach. Scholz schafft die Distanz immer selbst. Ich habe zwar einen Vorteil, weil ich ihn schon lange und gut kenne und wir uns oft getroffen haben, aber Scholz lässt keinen Journalisten richtig nah an sich heran. Interessant ist, dass er dabei nie unhöflich wirkt.
Haben Sie seine Handynummer?
Nein.
Welche Sache stört Sie an Scholz?
Ich verstehe nicht, warum er seine andere Seite nicht öfter öffentlich zeigt. Wenn die Mikrofone und Kameras ausgeschaltet sind, kann er witzig sein, erklärt seine Politik anschaulich und leidenschaftlich, ist einnehmend und hat kluge Gedanken. Ich war vor einem dreiviertel Jahr mit anderen Chefredakteurskollegen bei ihm im Kanzleramt für ein Hintergrundgespräch. Da waren zwei oder drei dabei, die ihn noch nie so erlebt hatten. Als wir rausgingen, meinten die: Wer war das? Ich glaube, er täte sich einen Gefallen, wenn er diese Seite öfter zeigte.
Womit hat Scholz sie einmal überrascht?
Mit der Augenklappe. Das war seine Idee. Er hatte sich an einem Wochenende beim Joggen verletzt und dann seinem Regierungssprecher – typisch Scholz – geschrieben: "Missgeschick passiert. Augenverletzung sieht ziemlich übel aus." Dann ging es hin und her, was man macht und Scholz schrieb irgendwann einfach nur: "Augenklappe". Und gewann damit in kürzester Zeit viele Sympathien. Ich glaube, dass er die Augenklappe sogar länger getragen hat, als er hätte müssen.
Herr Haider, vielen Dank für das Gespräch.
- Videogespräch mit Lars Haider