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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Merkels erstes TV-Interview als Altkanzlerin "Ich war baff"
Dass Angela Merkel in Ostdeutschland aufgewachsen ist, wurde ihr schon öfter als Makel zugeschrieben. Im ersten TV-Interview nach ihrer Amtszeit wehrt sich die Ex-Kanzlerin vehement dagegen. Die wichtigsten Aussagen im Überblick.
Fast zwei Jahre ist Angela Merkel keine Bundeskanzlerin mehr. Die CDU-Politikerin hat sich zurückgezogen, zeigt sich nur noch selten in der Öffentlichkeit. Doch zum Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober ist sie zum ersten Mal seit dem Ende ihrer Amtszeit wieder für ein TV-Interview vor die Kamera getreten.
Im Rahmen der ZDF-Dokumentation "Am Puls mit Mitri Sirin" spricht Merkel über ihr Aufwachsen in der DDR, Missmut aus dem Osten und ihr Unverständnis für AfD-Wähler. Ein Überblick über die wichtigsten Aussagen.
DDR-Vergangenheit als "Ballast"?
Das Gespräch startete gleich persönlich. Nach der Frage des Moderators Mitri Sirin, warum Merkel sich das Thema Ostdeutschland für das Interview ausgesucht habe, erinnerte sich die Kanzlerin a.D. an eine ihrer letzten Reden im Amt – die zugleich bis heute als eine ihrer persönlichsten gilt. Im Oktober 2021 in Halle, zum Tag der Deutschen Einheit, kritisierte Merkel scharf, dass ihre DDR-Biografie in einem von der Konrad-Adenauer-Stiftung herausgegebenen Buch als "Ballast" bezeichnet wurde.
Nun erklärt die 69-Jährige im ZDF-Interview, was diese Bewertung mit ihr gemacht hat: "Es war wie so ein kleiner Schlag in die Magengrube, muss ich ganz ehrlich sagen. (...) Ich habe es irgendwie erst gar nicht richtig glauben können (...)." Sie habe sich durch diese Äußerung "entkernt" gefühlt. "Weil alles, was mich ausmacht, natürlich die Biografie, das Aufwachsen in der DDR war", so Merkel. "Insofern war ich baff. Da muss man erst mal drauf kommen."
"Ich habe das dann viel mit mir selber ausgemacht"
Die ehemalige Bundeskanzlerin erklärte auch, warum sie damals so persönlich geworden ist: weil es auf das Ende ihrer Amtszeit zuging. Vorher hätte sie das "wahrscheinlich nicht gemacht. Weil ich mich immer als Kanzlerin aller Deutschen verstanden habe". Sie wollte demnach verhindern, stigmatisiert zu werden. "Jetzt kommt sie wieder mit ihrem Ostdeutschland", hätte es dann geheißen, meinte Merkel im ZDF.
- Merkel in Halle im Oktober 2021: Ihre damalige Rede im Wortlaut
"Ich habe das dann viel mit mir selber ausgemacht oder im Wahlkreis darüber gesprochen, aber eben nicht als Bundeskanzlerin wie eine Monstranz vor mir hergetragen." Sie habe aber immer darüber geredet, dass es einen Unterschied gebe "zwischen dem Staat DDR, dessen Überwindung wir natürlich alle begeistert gefeiert haben und einem persönlichen Leben, das ja in jedem Land mehr ist als die staatliche Struktur – Gott sei Dank", sagte Merkel. Sie erinnerte sich an ihre Kindheit und Jugend: "Man hatte Freunde, man hat gefeiert, wir sind mit den Eltern in den Urlaub gefahren."
Zugleich habe es die prägenden Erlebnisse durch den Staat gegeben, erklärte Merkel. "Die Anwesenheit von Freiheit formt Menschen, aber die Abwesenheit von Freiheit formt sie ja auch", sagte sie über das Leben in der DDR.
Angela Merkel
ist am 17. Juli 1954 in Hamburg geboren, wuchs aber in der DDR auf. Sie war vom 22. November 2005 bis zum 8. Dezember 2021 die erste Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland. Sie war im Amt des Bundeskanzlers sowohl die erste Person aus Ostdeutschland als auch die erste nach der Gründung der Bundesrepublik geborene Person.
Missmut aus dem Osten
Angesprochen auf den Missmut vieler Ostdeutscher, der ihr während ihrer Amtszeit entgegengeschlagen war, rechtfertigte sie sich: "Es gab einen Teil der Menschen, die sehr wütend auf mich waren." Die Lage habe sich polarisiert, "als auch sehr viele Flüchtlinge zu uns kamen". "Aber ich habe ja immer in meinem Wahlkreis gewonnen", betonte Merkel.
"Es ist ja nicht so, dass die Mehrzahl der Menschen in den neuen Bundesländern mich angeschrien hätte, sondern es gab einen Teil und eine sehr radikale und auch laute und intolerante Gruppe." Der Lauteste hinterlasse den letzten Eindruck. Viele Menschen, die leise seien und sich gegen die Intoleranz wehrten, kämen viel weniger zu Wort. Das sei nicht in Ordnung.
Kein Verständnis für AfD-Wähler
Die CDU-Politikerin kritisierte in diesem Zusammenhang auch die Zunahme von AfD-Wählern. "Ich möchte dafür kein Verständnis äußern (...). Ich verstehe, dass man über manches verärgert ist, dass man nicht alles gut findet, aber ich bin nicht bereit zu akzeptieren, dass man deshalb Ideen und Gedankengut unterstützt, was für mich nichts mit dem zu tun hat, was im Rahmen meiner Toleranz akzeptabel ist."
Sie habe kein Verständnis dafür, wenn Menschen sich auf Kosten anderer Menschen, anders aussehender Menschen und Menschen mit anderer Biografie profilierten.
"Stärke ist Vielfalt"
Moderator Mitri Sirin ging auch darauf ein, dass er als Mensch mit Migrationshintergrund im Osten häufiger Rassismus erfahre als im Westen. Merkel bedauerte dies. Viele sähen "vielleicht auch eine Konkurrenz" in Menschen mit Migrationshintergrund. "Aber akzeptabel ist das deshalb trotzdem nicht."
Die Altkanzlerin setzte dem entgegen, dass Menschen, die eine Minderheitenbiografie haben, so wie Ostdeutsche und Menschen mit Migrationshintergrund, eigentlich verbunden sein sollten. "Ich habe immer dafür plädiert, dass unsere Stärke ja eigentlich die Vielfalt ist. (...) Die Vielfalt ist ja eigentlich das Schöne – dass die Menschen nicht gleich geboren sind."
In diesem Zusammenhang plauderte Merkel auch aus dem Nähkästchen: "Deutschland umfasst alle. Ich habe darüber auch mit dem türkischen Präsidenten Erdoğan sehr häufig gesprochen. Wer ist verantwortlich zum Beispiel für türkischstämmige Menschen, die hier zweite, dritte Generation wohnen? Und ich habe immer gesagt: 'Pass auf, deren Bundeskanzlerin bin ich.'"
- zdf.de: "'Pass auf, deren Bundeskanzlerin bin ich'"
- zdf.de: "Am Puls mit Mitri Sirin" (Ausstrahlung: 3. Oktober 2023, 19.20 Uhr oder in der ZDFmediathek ab 2. Oktober, 19 Uhr)