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So nutzen Islamisten die Debatte um das Kopftuchverbot aus


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Protestaktion als Köder für Muslime
So nutzen Islamisten Debatte um Kopftuchverbot aus


Aktualisiert am 17.04.2018Lesedauer: 5 Min.
Griff nach dem Kopftuch: Mit dem emotionalen Motiv links bewarben fundamentalistische Verbände den Protest um ein Kopfttuchverbot für Kinder, das in Deutschland so gar keine Chancen hat.Vergrößern des Bildes
Griff nach dem Kopftuch: Mit dem emotionalen Motiv links bewarben fundamentalistische Verbände den Protest um ein Kopfttuchverbot für Kinder, das in Deutschland so gar keine Chancen hat. (Quelle: Generation Islam/Getty/Montage t-online.de)

Tausende Muslime beteiligen sich an einem Proteststurm gegen ein Kopftuchverbot für Kinder: Für Experten ist das ein Beispiel, wie Politik und muslimische Verbände junge Menschen in die Arme von Fundamentalisten treiben.

Zwölf Jahre alt ist "Mariam Gafar" angeblich und liebt das Kopftuch. So steht es in einem von mehr als 130.000 Tweets vom Sonntagabend, die alle eine Botschaft hatten: "#NichtohnemeinKopftuch". Die Organisationen "Generation Islam" und "Realität Islam" hatten vor allem über Facebook aufgefordert, gemeinsam "Twitter zu überfluten", um den Islam zu verteidigen. Dazu sollten sich Nutzer auch extra bei Twitter anmelden. Mindestens tausend Accounts wurden dafür neu angelegt.

Die koordinierte Offensive im sozialen Netzwerk ist aus Sicht der Extremismusforscherin Julia Ebner vom Londoner Institute for Strategic Dialogue der "Versuch, in einem kritischen Moment die sogenannten ‘Grauzonenmuslime’ in islamistische Netzwerke zu ziehen und das Bild eines Dschihad zu zeichnen", wie sie t-online.de sagt. Zumindest die Beteiligung besorgter Muslime war groß.

Österreich will verbieten, NRW überlegt

Österreichs Kanzler Sebastian Kurz hatte Anfang April ein Gesetz für ein Verbot von Kopftüchern in Kindergärten und Grundschulen angekündigt. Auch NRWs Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) hatte mit Staatssekretärin Serap Güler (CDU) angekündigt, NRW wolle das Tragen von Kopftüchern für Kinder unter 14 Jahren generell verbieten. Am Wochenende beim FDP-Landesparteitag erklärte er dazu, es gehe nicht zwingend um ein Gesetz und keineswegs um eine allgemeine Kopftuch-Verbotsdebatte, sondern um das Kindeswohl.

Am Proteststurm auf Twitter änderte das nichts. Salafist Pierre Vogel rief zur Teilnahme auf und denkt zusätzlich an eine Demo in Neukölln, Der fundamentalistische "Islamische Zentralrat Schweiz" mit gut 3.000 Mitgliedern stellte einen Video-Aufruf mit einer coolen Muslima mit Kopftuch und Sonnenbrille ins Netz.

Auch die Erdogannahe Kleinst-Partei "AD-Demokraten" sprang auf den Zug auf, die Chefs der Araber-Clans Abou-Chaker und Miri beteiligten sich ebenfalls.

Im Zentrum der Aktion stehen die Organisationen "Generation Islam" und "Realität Islam". "Realität Islam" mit dem Konvertiten Raimund Hoffmann an der Spitze hat auch eine Petition mit fast 40.000 Unterzeichnern initiiert.

Anhänger von verbotener Organisation im Hintergrund?

Sie kommen aus dem Umfeld von Hizb ut-Tahrir, erläuterte Claudia Dantschke, Leiterin der Beratungsstelle Hayat für Deradikalisierung, zu t-online.de. Die Organisation will alle Muslime in einem Kalifat vereinen und ist in Deutschland ebenso verboten wie in der Türkei und arabischen Ländern.Beide Organisationen antworteten nicht auf Nachfrage.

Die Verbindung zu Hizb ut-Tahrir sieht auch Eren Güvercin, Mitgründer des Vereins Alhambra-Gesellschaft, der für einen aufgeklärten Islam eintritt. "Die Orqanisation ist unter dem Namen nicht präsent, die Anhänger treten seit einigen Jahren mit einer anderen Strategie auf und sprechen auf geschickte Weise junge Muslime an", sagte Güvercin zu t-online.de. "Junge Muslime machen dann bei so einer Kampagne mit, ohne dass ihnen bewusst ist, wer die Akteure dahinter sind."

In manchen Tweets Verachtung für den Westen

Der Großteil der Tweets pro Kopftuch kam bezeichnenderweise von Männern. Die meisten Nachrichten waren schlicht Plädoyers dafür, dass der Staat nicht reinreden soll bei der Nutzung des Kopftuchs, oft kopiert aus anderen Tweets. Doch es gab auch die Nutzer, die Verachtung für westliche Lebensweise zum Ausdruck brachten. So zeigte ein Tweet einen Lutscher einmal eingepackt und einmal unverpackt und übersät mit Insekten. "Wir lassen die Fliegen nicht an uns ran!"

Kopftücher bei Kindern haben "aus religiöser Perspektive keinerlei Grundlage", so Güvercin, “und das Kopftuch ist generell keine der fünf Säulen des Islam”. Es gehe auch überhaupt nur um wenige Einzelfälle. Zudem hat der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags in einem Gutachten festgestellt, dass ein generelles landesweites Verbot für Schülerinnen, ein Kopftuch zu tragen, verfassungsrechtlich wohl nicht zulässig wäre. “Also eine Phantomdebatte, die in jeglicher Sicht kontraproduktiv ist.”

Sie liefere nur den Scharfmachern eine ideologische Vorlage, um mit dem Szenario einer vermeintlichen Bedrohung für den Islam junge Muslime aufzustacheln, so Güvercin. "Die Politik realisiert das aber nicht oder will es nicht realisieren."

Verbände lassen Jugendliche alleine

Zum Problem werde das auch, "weil die größeren Organisationen und Moscheeverbände mit Abwesenheit glänzen und die Bedürfnisse nicht wahrnehmen. Es fehlt ein souveräner Umgang mit dem Thema und der Zugang zu jungen Muslimen." Und die Verbände bekamen im Twittersturm auch Kritik ab: “Es ist Allah den ihr fürchten solltet und nicht der Staat!”, schrieb ein Nutzer. Wenn die Verbände nicht handelten, sei es an der Zeit, dass sich “jeder Muslim selbst dafür verantwortlich fühlte, was hier passiert”. Das ist die Botschaft der Fundamentalisten.

Es gab dann auch Tweets wie den später gelöschten: “Islam ist die Macht. Wir werden die Welt von der dreckigen Demokratie befreien.” Solche Hetze machte nur einen Bruchteil aus. Aber sie diente wiederum rechten Accounts als Beleg, dass der Islam die Gesellschaft spaltet. So schrieb Patrick Lenart, einer der Führer der Identitäten Bewegung Österreichs: “Massenzuwanderung schuf Parallelgesellschaft mit fremder Kultur, die sich nicht mit der heimischen Verschmelzen lässt, ohne beide zu zerstören.”

Accounts der Rechten machten schließlich fast ein Drittel aller Nutzer aus, die zu dem Thema twitterten, hat der Datenanalyst Luca Hammer anhand von 77.000 Tweets ermittelt. Accounts, der er "Generation Islam" zurechnete, machten 21 Prozent der Teilnehmer aus. Sie twitterten aber intensiv, fast vier Fünftel aller Tweets mit dem Hashtag gingen auf sie zurück.

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Parallelen zwischen Islamisten und Rechtsextremen

Islamisten und extreme Rechte gingen ähnlich vor, sagt Extremismus-Forscherin Julia Ebner, Autorin des Buchs "Wut: Was Islamisten und Rechtsextreme mit uns machen". Beide Seiten zeichneten einfache Weltbilder mit homogenen Blöcken und einer Bedrohung: Die Rechtsextremen unterschieden nicht zwischen Islam und Islamismus, Islamisten wollten muslimfeindliche Stimmen als repräsentativ darstellen und verbreiten, dass der Westen gegen Muslime ist. Der aktuelle Vorstoß für ein Verbot sei ein willkommener Anlass für Islamisten, um bei Muslimen mit einer Darstellung als Opfer und einer bedrohten Identität die Ängste und Unsicherheit zu verstärken.

Diese Botschaft sei verheerend, beklagt Muslim Güvercin. “Wie kann man hier leben, wenn man ständig transportiert bekommt, dass man hier nicht gewollt ist?” Es gebe natürlich Islamfeindlichkeit in Deutschland, “aber ich kann hier meinen muslimischen Glauben freier ausleben als in 99 Prozent der muslimisch geprägten Länder.” Die Verbände seien jedoch nicht in der Lage, den Jugendlichen ein positiveres Bild zu vermitteln. Und Gruppen wie “Generation Islam” hätten kein Interesse an kritischer Auseinandersetzung. Er selbst werde in E-Mails als “Haus-Muslim” beschimpft. Die Vorlage für den Begriff lieferte der radikale schwarze Bürgerrechtler Malcom X: “Haus-Neger” war seine abschätzige Bezeichnung für die Sklaven, die im Haushalt arbeiten durften, weil sie nach seiner Ansicht so unterwürfig waren.

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