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Julian Reichelt: Medienaufsicht prüft "Nius" | Ex-"Bild"-Chef befördert


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Mehrere Beschwerden
Medienaufsicht nimmt sich Reichelts neues Portal vor


Aktualisiert am 14.02.2024Lesedauer: 7 Min.
Julian Reichelt: Das von ihm verantwortete Portal nius.de ist auf den Radar der Medienaufsicht gekommen.Vergrößern des Bildes
Julian Reichelt: Das von ihm verantwortete Portal "nius.de" ist ins Visier der Medienaufsicht geraten. (Quelle: Jörg Schüler/imago-images-bilder)
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Der frühere "Bild"-Chef Julian Reichelt ist seit Kurzem auch geschäftsführender Direktor des krawalligen Internet-Portals "Nius". Dieses muss nun unangenehme Fragen der Medienaufsicht beantworten.

Das Geständnis unter dem Artikel auf der Seite "Nius" war peinlich: "In einer ersten Fassung wurden die ARD-Magazine 'Kontraste' und 'Monitor' verwechselt", stand unter einem Text, in dem das Portal Anschuldigungen gegen den Redaktionsleiter von "Kontraste", Georg Heil, erhob. Außerdem habe die Redaktion zunächst "geschrieben, eine Anfrage blieb unbeantwortet, obwohl sie nicht verschickt worden war".

Das Portal hatte eine Skandalgeschichte mit Unterstellungen gegen Heil veröffentlicht, aber vergessen, ihm Fragen dazu zu schicken – und in dem Text ohne dessen Stellungnahme auch noch die Sendungen verwechselt.

Der Text ist seit ein paar Tagen nicht mehr abrufbar. Klar aber ist: Der Artikel dürfte ein neuer Tiefpunkt gewesen sein für den früheren "Bild"-Chefredakteur und heutigen "Nius"-Macher Julian Reichelt – und dazu zeitlich sehr unpassend. Denn Reichelts Online-Portal "nius.de" ist nach Informationen von t-online auf dem Radar der zuständigen Medienanstalt Berlin-Brandenburg (Mabb) gelandet. Mehrere Beschwerden bei der Anstalt haben die Frage aufgeworfen, in welchem Umfang "Nius" gegen die journalistische Sorgfaltspflicht verstößt.

Reichelt laut Impressum jetzt Verantwortlicher

Dazu muss man wissen: "Nius" unterliegt anders als die "Bild"-Zeitung nicht der Selbstregulierung des Presserats. Dieser kann initiativ und auf Leserbeschwerden hin Rügen aussprechen, "Bild" und ihr damaliger Chef Reichelt lagen in dem unrühmlichen Ranking weit vorne.

Bei "Nius" aber greifen andere Regeln. Für kommerzielle Angebote mit journalistischen Inhalten, die jahrelang ohne jede Aufsicht agierten, wurde mit dem seit 2020 geltenden Medienstaatsvertrag festgelegt, dass die Landesmedienanstalten die Inhalte auf Einhaltung journalistischer Mindeststandards hin überprüfen können.

Reichelt hat das Portal mit dem Koblenzer Gesundheitsdaten-Milliardär Frank Gotthardt im Rücken an den Start gebracht, im Juli 2023 ging es online. Gotthardt, Ehrenvorsitzender des CDU-Wirtschaftsrates in Rheinland-Pfalz, hat in diesem Zuge eine Art Dauerwerbesendung gegen SPD und Grüne bekommen und Reichelt eine Plattform im Netz, in der er auftritt wie der frühere Fox-News-Moderator Tucker Carlson in den USA.

Nun steht Reichelt, der nach Vorwürfen des Machtmissbrauchs bei "Bild" gehen musste, im "Nius"-Impressum als Verantwortlicher: Er ist seit Montag im Handelsregister als ein geschäftsführender Direktor der Vius Management SE eingetragen, der Firma hinter dem Portalbetreiber Vius SE & Co. KGaA.

Anfangs als konservatives Nischenmedium belächelt, hat das Portal in den vergangenen Monaten oft Empörung ausgelöst und dabei auch mehrere einstweilige Verfügungen gegen seine Artikel kassiert. Immer wieder lautet die Kritik an "Nius" vor allem, durch Weglassen von wichtigen Informationen ein verzerrtes Bild zu zeigen. t-online wollte den "Nius"-Machern Gelegenheit gegeben, ihre eigene Sicht zur Kritik darzustellen. Doch binnen einer Frist von rund 24 Stunden kam keine Antwort, nach einer erneuten Fristverlängerung dann die Mitteilung, nichts sagen zu wollen.

Er mache "Meinungsjournalismus, aber basiert auf Fakten", erzählte Reichelt kürzlich in einem Interview. "Extrem viel Recherche, extrem viel Beschäftigung", gehe seinen Beiträgen voraus, sagte er in dem Gespräch der "Weltwoche" des rechtspopulistischen Schweizer Politikers Roger Köppel. Das heißt für ihn etwa: "Niemand in Deutschland guckt, glaube ich, so viel Baerbock-, Habeck- und Ricarda-Lang-Videos."

Reichelt: "Linke Sprache in die Luft jagen"

Reichelt wirkt geradezu besessen von den Grünen. Wobei der 43-Jährige die Partei und ihre Angehörigen gar nicht mehr bei ihrem Namen nennt. "Grün" klinge zu positiv, erläuterte er. Er spricht von "Ökosozialisten" oder allenfalls von der "Grünen Partei". Er nennt sie also nicht so, wie sie heißen, sondern so, wie es offenbar besser ins Konzept passt.

Reichelt macht auch kein Geheimnis daraus, dass er für seine politischen Ziele brachiale Mittel wählt. Er habe erkannt, dass man die "linke Sprache der deutschen Medien und Politik in die Luft jagen muss". Er gebe sich viel Mühe, "die linke Propagandasprache zu dechiffrieren". Das heißt: Er "übersetzt", was nach seiner Ansicht gemeint sei – und das wohl auch, wenn es gar nicht so gesagt wurde.

Ein "rechtspopulistisches Agitationsformat mit journalistischem Anstrich" sieht dagegen der Politikwissenschaftler Markus Linden in dem Angebot von "Nius". An der Universität Trier forscht der Professor zur Theorie und Empirie der Demokratie, unter anderem beschäftigt er sich mit der Neuen Rechten und der Relevanz sogenannter Alternativmedien. Im Gespräch mit t-online sagt er, er sehe eine Doppelstrategie bei dem Portal: Einerseits "gemäßigte" Formate mit demokratischen Politikern, andererseits "reißerisch aufgemachte Krawall-Formate, bei denen eine sichtbare Rückbindung an journalistische Sorgfaltspflichten unterbleibt."

Einer der "gemäßigten" und eher sachlichen Texte zur Erklärung ging am 15. Januar bei "Nius" online. Er bestand aus zusammenkopierten, wörtlichen Absätzen anderer Medien. "Spiegel"-Journalist Anton Rainer wies darauf hin: "Dieser Text ist ein vollständiges Plagiat", und Reichelt bedankte sich. "Vollkommen richtig. Ist zu früh erschienen. Sollte so nicht passieren."

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Eine Passage war von der "Neuen Zürcher Zeitung" geklaut, eine von "Tirol24", eine andere stammte aus einem Beitrag des ZDF. Die Anleihe bei dem öffentlich-rechtlichen Sender ist besonders kurios, weil Reichelt "aus Gewissensgründen" angeblich keinen Rundfunkbeitrag zahlt. Er hatte in einem Beitrag erklärt, er könne nicht zur Finanzierung von Inhalten beitragen, "die jeder objektive Betrachter als infam empfinden muss." Als Reichelt wenig später allerdings über Jan Böhmermann und das "ZDF Magazin Royale" Vorwürfe verbreitet hatte, war die "Nius"-Berichterstattung das Problem: Sie sei schon mangels eingeholter Stellungnahme rechtswidrig, so ein Gericht. Mehrere unwahre Tatsachenbehauptungen wurden untersagt.

Fehler passieren. Doch Falschdarstellungen bei "Nius" seien keine bloßen handwerklichen Fehler, sagt Politikwissenschaftler Markus Linden: "Die Macher sind Medienprofis, die aber einer Agenda folgen. Es handelt sich um ein zentrales mediales Sprachrohr der Kreise um Hans-Georg Maaßen. 'Nius' ist Werteunion-TV." Die Werteunion wurde als Verein gegründet, der die CDU nach rechts rücken wollte, was auch Reichelt als Ziel seiner Arbeit nannte. Nun hat der Verein unter seinem Vorsitzenden Hans-Georg Maaßen das Ziel aufgegeben, und dieser will eine eigene Partei gründen.

Fan der Politik von Strauß und Reagan

Reichelt sagte im Interview mit der "Weltwoche", er verorte sich "klar rechts im politischen Spektrum." Von seiner eigenen Überzeugung könne er in Deutschland sehr wenig erkennen, er sehe sich bei der Strauß-Union und bei den Reagan-Republikanern. Als Ronald Reagan 1981 US-Präsident wurde, lag Reichelt noch in den Windeln. Er war acht Jahre alt, als der bayerische CSU-Ministerpräsident Franz-Josef Strauß starb.

Reichelt findet ferner, Themen, die angeblich nur die AfD behandle, müssten dort angesiedelt werden, "wo Menschen jahrzehntelang gewählt haben". Er freut sich über "fünf Millionen Menschen im Monat auf den verschiedenen Kanälen", die nach seiner Rechnung "Nius"-Inhalte sehen – und hat dort überzeugte Anhänger. "Nius" selbst präsentiert sich gern als "Stimme der Mehrheit".

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Dafür hatte das Portal zwischenzeitlich einen anderen prominenten konservativen Journalisten gewonnen – und sogleich wieder verloren: der Publizist Jan Fleischhauer, einst bekannt geworden durch seine "Spiegel"-Kolumne "Der Schwarze Kanal", die inzwischen unter demselben Titel beim "Focus" erscheint. Fleischhauer hatte bereits den Vertrag für ein wöchentliches Format unterschrieben, machte dann aber einen Rückzieher.

In der "Süddeutschen Zeitung" erklärte er seinen Schritt wie folgt: "Ich glaube nicht, dass 'Nius' dem Claim gerecht wird, 'Stimme der Mehrheit' sein zu wollen." Eigentlich sei er überzeugt von der Idee, etwas aufzubauen "jenseits des eher linksbestimmten Medienbetriebs in Deutschland". Bei Reichelts "Nius" aber dann doch nicht: "Sehr düster, sehr aggressiv im Auftritt" sei die Seite. "Die meisten Menschen wollen auch nicht die ganze Zeit angeschrien oder wachgerüttelt werden."

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Dass sich jetzt die Mabb mit "Nius" beschäftigt, ist angesichts all dieser Entwicklungen kein Zufall. Nach t-online-Informationen sind in den insgesamt mindestens sechs Beschwerden über "Nius" tragfähige und begründete Vorwürfe enthalten. Von der Mabb heißt es dazu: "Das Angebot 'nius.de' ist uns bekannt, die Mabb hat hierzu bereits mehrere Beschwerden erhalten." Ins Detail geht Justiziar und Vizedirektor Marco Holtz nicht: "Zu Inhalten der Beschwerden und Stand eines etwaigen Verfahrens bezüglich 'Nius' können wir keine Auskünfte geben." Das darf die Mabb erst, wenn sie Entscheidungen getroffen hat. So weit ist es nicht: "Förmliche Aufsichtsmaßnahmen wie etwa eine Beanstandungs- oder Untersagungsverfügung hat die Mabb gegen die Anbieterin von 'nius.de' noch keine vollzogen."

Und das Unternehmen will keine Stellung dazu nehmen und keine Fragen beantworten, wie es mit der journalistischen Sorgfalt umgeht. Auf die Fragen zum Verfahren bei der Aufsichtsbehörde kommt eine sehr kurze Antwort. "Zu internen Vorgängen nehmen wir öffentlich keine Stellung." Abgeschickt hat das der frühere Chief Public Affairs Officer Government Relations der CompuGroup, ein Unternehmen von Reichelts Geldgeber Frank Gotthardt.

"Noch keine Verfügung vollzogen"

Dabei hätte er auch darauf hinweisen können, dass eine Beschwerde zunächst einmal wenig aussage: Jeder Bürger kann Beschwerden über jedes Portal einreichen. Möglicherweise könnte eine Prüfung auch als politischer Angriff auf das Portal hingestellt werden.

Dabei relevant ist die Erklärung der Mabb: Es geht bei der Prüfung allein um die Frage, "ob die journalistischen Sorgfaltspflichten eingehalten wurden", so Holtz zu t-online. "Die politische Ausrichtung eines Angebots ist für die medienrechtliche Überprüfung unerheblich."

Weitere Verfahrensschritte werden nur eingeleitet, wenn tatsächlich Anhaltspunkte für Verstöße gegen die Sorgfaltspflichten vorliegen. In einem ersten Schritt folgt "förmlich angehört und zu einer Stellungnahme aufgefordert", wenn ein Aufsichtsverfahren in Gang gekommen ist.

Wenn in der Anhörung Kritik nicht entkräftet wird, geht es um mögliche Konsequenzen. Bei bundesweiten Angeboten trifft diese brisante Entscheidung nicht die jeweilige Landesmedienanstalt, sondern die Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK) der Landesmedienanstalten. Als allerletztes – sehr unwahrscheinliches – Mittel kann ein Portal sogar gesperrt werden.

Aufsichtsbehörde: Die Medienanstalt Berlin-Brandenburg ist für Nius zuständig.
Aufsichtsbehörde: Die Medienanstalt Berlin-Brandenburg ist für "Nius" zuständig. (Quelle: Sascha Steinach/imago-images-bilder)

Diese Möglichkeiten hat die Medienaufsicht

Beanstandungen sind das mildere Instrument, sie stellen formal einen Verstoß gegen medienrechtliche Vorgaben fest. Privatsender gehen bisweilen aber auch gegen solche Verfügungen der zuständigen Landesmedienanstalt vor. Das weitergehende Instrument ist die Untersagungsverfügung; Aussagen oder ein Beitrag dürfen dann nicht mehr verfügbar gemacht werden. Die Sperrung eines gesamten Portals kommt nur als letztes Mittel in Betracht. "Dafür müsste nachgewiesen werden, dass durchgängig Gesetze nicht eingehalten werden und wiederholte und systematische Verstöße vorliegen", so Mabb-Justiziar Holtz. Die Mabb agiere mit Augenmaß und sehr sorgfältig, "denn es geht um nichts weniger als die in unserer Demokratie so unerlässliche Meinungsfreiheit". Geldbußen oder -strafen können bei Verstößen gegen journalistische Sorgfaltspflichten nicht verhängt werden, nur Zwangsgelder, wenn Verfügungen nicht umgesetzt werden. In den Anfangszeiten der Gesetzesänderung verschickte die Mabb sogar erst einmal nur Hinweisschreiben.

Für Jörg Reichel, Landesgeschäftsführer der Deutschen Journalisten-Union (dju) in Berlin-Brandenburg, ist klar: "Wo Journalismus im Internet draufsteht, sollte auch Journalismus drin sein und nicht rechter Kulturkampf, 'verdrehte Fakten' und Populismus." Die dju erwarte, "dass die Mabb dem Medienhaus auf die Finger schaut und die Aufsichtspflichten wahrnimmt".

Politikwissenschaftler Linden spricht davon, dass das Portal eine Radikalisierung durchlaufen habe. "'Nius' ist bereit, über die rein ideologisch geprägte Darstellungsweise hinauszugehen, also bewusst manipulative Methoden der Desinformation zu nutzen." Dort würden "mittlerweile auch postfaktische Darstellungsweisen gewählt". Allerdings unterscheide sich "Nius" da noch von extremistischen Anbietern wie "Compact" oder "Auf1". "Bislang ist es dort nicht in dem Maße der Fall, wie es für andere sogenannte Alternativmedien typisch ist."

Bei solchen Alternativmedien hat die Mabb auch schon Erfahrungen mit aufsichtsrechtlichen Maßnahmen sammeln können. Gegen das nicht mehr existierende Portal "KenFM" hatte die Behörde ein Verfahren eingeleitet, weil Beiträge auch mit Nachbesserungen die journalistische Sorgfaltspflicht nicht erfüllten. Die Untersagung einzelner Aussagen oder Beiträge auf "KenFM" und die Androhung eines Zwangsgelds von bis zu 50.000 Euro kamen aber nicht zum Tragen: Das Verfahren wurde eingestellt, weil das Portal aus dem Internet verschwand.

Bei "Nius" geht es zwar manchmal sehr schnell, aber ein Verschwinden ist nicht zu erwarten.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • uebermedien.de: Ein Schelm, der bei "Nius" an Recherche denkt (Abo-Inhalt)
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