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Entlassen, suspendiert, beobachtet – So radikal ist die neue AfD-Fraktion


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Entlassen, suspendiert, beobachtet
So radikal ist die neue AfD-Fraktion


Aktualisiert am 29.09.2021Lesedauer: 7 Min.
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Im t-online-Studio: AfD-Kandidat Chrupalla äußert sich zum Wahlergebnis seiner Partei und zu Vorwürfen gegen seine Partei. (Quelle: t-online)
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83 AfD-Politiker wurden in den Bundestag gewählt. Darunter sind Rechtsextreme, suspendierte Polizisten, verurteilte Hooligans und Corona-Leugner. Die Partei steht vor einer Zerreißprobe.

An diesem Mittwochmittag kommt die neue Fraktion der AfD erstmals im Parlament zusammen. 83 Sitze wird sie im neuen Bundestag einnehmen. Sie wird über Vorstand und Vorsitzende abstimmen, Alice Weidel und Tino Chrupalla stehen als Duo zur Wahl. Die Doppelspitze ist aber umstritten, vorab wurden bereits heftige Kämpfe in der Sitzung befürchtet. Und die neue Führung ist in der Fraktion nur ein Streitpunkt von vielen.

Tief verlaufen die Gräben in der AfD zwischen einem rechtsextremistischen und einem vergleichsweise gemäßigten Lager, das sich lieber an Bürgerliche wenden will. Das Duo Weidel/Chrupalla gilt als Unterstützer der Extremen, Protest gegen ihre Kandidatur als ein möglicher, vielleicht letzter Widerstand des gemäßigteren Teils der Partei. In Zukunft dürfte dieses Lager noch weniger zu sagen haben. Schon die letzte Fraktion galt als radikal und weit rechts, in dieser Legislatur wird die AfD noch weiter nach außen rücken.

Viele neue Gesichter aus Ost und West ziehen ein, die als Extremisten gelten. Alte Größen der rechten Szene behalten ihren Platz. Eine Auswahl.

Hannes Gnauck

Hannes Gnauck wird vom Militärischen Abschirmdienst (MAD) als Extremist eingestuft. Das berichtete der RBB im Juli, die Bundeswehr bestätigte den Bericht. Nach "Hinweisen auf mangelnde Verfassungstreue" wurde der Fall demnach erst auf Stufe Orange gesetzt, dann auf Stufe Rot – möglicherweise gab es neue Erkenntnisse gegen den Politiker aus der Uckermark. Seitdem herrscht für den seit 2014 verpflichteten Soldaten Uniformverbot – auch die Kaserne darf er seit 2020 nicht mehr betreten.

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Für massive Kritik sorgte Gnauck unter anderem, als er bei einer Kreistagsdebatte vor einer "gesellschaftszersetzenden Asylmaschinerie" und einer "höllischen Symbiose aus Wirtschaftseliten, radikaler Linker und Erfüllungsgehilfen der Migrationslobby" warnte. Im Interview mit der "MOZ" bekräftigte er später, dass er weiterhin zu seinen Aussagen stehe.

Über die Brandenburger Landesliste wird Gnauck neu in den Bundestag einziehen. Noch laufen aber Ermittlungen gegen ihn. Denn bei der Bundestagswahl am Sonntag postete Gnauck einen ausgefüllten Wahlzettel in den sozialen Medien. Die Erststimme war bei ihm gesetzt, die Zweitstimme bei der AfD. Der Kreiswahlleiter erstattete Anzeige wegen Verletzung des Wahlgeheimnisses. Gnauck bestreitet, dass es sein Wahlzettel war.

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Christina Baum

Christina Baum gilt als große Unterstützerin von Björn Höcke im Westen. Höcke ist der Kopf des rechtsextremen "Flügels" in der AfD, der sich offiziell aufgelöst hat. Auch mit der rechtsextremen Identitären Bewegung sympathisiert Baum offen. Laut Medienberichten taucht ihr Name in einem Verfassungsschutzgutachten mehrfach auf. Der Grund: Baum verbreitet Verschwörungserzählungen. Einer Studie des Göttinger Instituts für Demokratieforschung zufolge warnte sie beispielsweise vor einer "immer stärkeren Zurückdrängung des deutschen Bevölkerungsanteils" und einem "schleichenden Genozid".

Besonders häufig nimmt die Zahnärztin auch die LGBTQI-Gemeinde in den Fokus. Sie spricht von "Homo-Propaganda" und dem "Zurschaustellen sexueller Obszönitäten", Demonstrationen zum Christopher-Street-Day will sie verbieten lassen. Im Landtag von Baden-Württemberg saß Baum bereits, nun zieht sie über die Landesliste für die AfD erstmals in den Bundestag ein.

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Steffen Janich

Er bewarb eine von den Behörden untersagte Demonstration gegen die Corona-Politik und trat als Versammlungsleiter auf – seither ist Steffen Janich vom Polizeidienst suspendiert. Wie die Polizeidirektion Dresden auf Anfrage von t-online am Dienstag mitteilte, hält die Suspendierung weiter an. Den 50-jährigen Janich, der auch gelernter Klempner ist, muss das nicht schmerzen. Für die AfD zieht er jetzt als neues Gesicht in den Bundestag ein. Er holte mit 33 Prozent der Stimmen das Direktmandat im Wahlkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge.

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Janich gilt unter Kollegen bereits jetzt als Garant für skurrile Auftritte im Bundestag. Einen Vorgeschmack lieferte er auf dem Bundesparteitag der AfD 2020 – dort erschien er mit Deutschland-Pin am Jackett und einer gehäkelten Corona-Maske im Gesicht. "Steffen Janich wird ein Fest", twitterte Marcus Pretzell, Ehemann von Ex-AfD-Chefin Frauke Petry, mit Blick auf Janichs Einzug ins Parlament.

Thomas Seitz

Ein Fest speziell für Corona-Leugner waren Thomas Seitz' Auftritte im Parlament schon in dieser Legislatur. Der 53-Jährige trat im November mit einer löchrigen, orangefarbenen Corona-Maske im Plenarsaal ans Rednerpult. Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth rügte ihn und reichte ihm eine FFP2-Maske, Seitz setzte sie erst nach einigem Hin und Her auf und klagte über den "Maulkorb".

Kurz danach infizierte sich Seitz mit Corona, rang nach eigener Aussage vier Wochen lang auf der Intensivstation um sein Leben. Doch auch danach zeigte er sich wenig einsichtig. In einem Interview mit der "Lahrer Zeitung" behauptete er zu wissen, dass er sich im Nahverkehr infiziert habe, "obwohl ich eine Maske trug".

Bis 2017 war Seitz Staatsanwalt in Freiburg, wurde dann aber wegen rassistischer und verfassungsfeindlicher Posts auf seinen Social-Media-Profilen entlassen. Unter anderem schrieb er dort über "Quotenn****", "Gesinnungsjustiz", warnte vor einer "Invasion" durch Flüchtlinge und postete das Foto eines Korans in einer Toilette. Im September 2018 wurde Seitz auf Lebenszeit aus dem Staatsdienst entlassen. Das Gericht urteilte, dass er gegen die Gebote der Verfassungstreue und Mäßigung Staatsbediensteter verstoßen habe.

Jetzt geht Seitz für die AfD erneut in den Bundestag: In Baden-Württemberg reichte das AfD-Ergebnis knapp für seinen Einzug über die Landesliste.

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Sebastian Münzenmaier

Der Pfälzer sitzt bereits seit 2017 im Bundestag und ist seit zwei Jahren stellvertretender Fraktionsvorsitzender. 2018 wurde er wegen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung rechtskräftig verurteilt. Der Grund: Die Richter sahen es als erwiesen an, dass Münzenmaier 2012 zu einer Gruppe der Ultra- und Hooliganszene des 1. FC Kaiserslautern gehörte, die Anhänger des 1. FSV Mainz 05 angriff und mit Knüppeln sowie Dachlatten verprügelte.

Ob Münzenmaier selbst zuschlug, blieb unklar. Nachgewiesen wurde, dass er vor der Attacke als Lotse fungierte und ortsunkundige Hooligans zum Stadion führte. Münzenmaier ging in Berufung – und wurde erneut verurteilt. Er musste eine Geldstrafe von 16.200 Euro in 90 Tagessätzen zahlen.

Anfang September trat Matthias Joa, AfD-Abgeordneter im rheinland-pfälzischen Landtag, unter anderem aus Protest gegen Münzenmaier zurück. "Im AfD-Landesvorstand haben wir mittlerweile Personen sitzen, die definitiv nichts in einer demokratischen Partei zu suchen haben", schrieb er in einem Brief, in dem er Münzenmaier namentlich nannte und den er auch an ihn adressierte.

Stefan Keuter

2013 trat Stefan Keuter der AfD bei, 2017 zog der gelernte Bankkaufmann aus Essen in den Bundestag ein. 2018 machte er Schlagzeilen, weil er Nazi-Fotos auf WhatsApp teile, wie das Recherchenetzwerk Correctiv und der Stern aufdeckten. Darunter ein Foto von Adolf Hitler mit gehobenem Arm und der Sprechblase "Hallo Wien!", ein Badezimmer gekachelt in Schwarz-Rot mit Hakenkreuz sowie das Bild eines Stahlhelmsoldaten am Maschinengewehr, versehen mit der Aufschrift: "Das schnellste deutsche Asylverfahren, lehnt bis zu 1.400 Anträge in der Minute ab!" Keuter erwiderte auf die Vorwürfe, ihm seien die Bilder nicht "erinnerlich". Später behauptete er, er habe die Fotos bloß archivieren wollen.

Die Gedenkstätte Lindenstraße erstattete 2019 in Potsdam Strafanzeige gegen Keuter – wegen Volksverhetzung. Er soll bei einem Besuch dort die Euthanasie in der NS-Zeit gerechtfertigt haben. Mangels Anfangsverdachts sah die Staatsanwaltschaft allerdings von Ermittlungen ab.

Robert Farle

Robert Farle ist ein besonderes Kuriosum im künftigen Bundestag: Vor seinem Aufstieg in der AfD durchlief er schon einmal eine Jahrzehnte andauernde Parteikarriere – und zwar in der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP), also dem westdeutschen Ableger der SED. Dort galt er laut Weggefährten als "150-prozentiger Genosse", der keinen Deut von der stalinistischen Parteilinie abwich und andere das auch spüren ließ.

Besonders pikant: Die Funktionäre der DKP wurden über ein von der Stasi abgeschirmtes Tarnfirmengeflecht aus der DDR finanziert. Wie Recherchen von t-online ergaben, ging auch Farle im Westen höchstwahrscheinlich einer Scheinbeschäftigung nach. Als die DDR dann zusammenbrach und die Zahlungen ausblieben, standen die meisten Funktionäre vor dem Nichts. Farle aber gründete im SED-Patenbezirk ein Steuerbüro – und machte so seine kommunistischen Kontakte im Osten zu Geld.

Heute gilt er in der AfD als gewiefter Redner, dem man seinen langen Kampf gegen die Bundesrepublik und für die Weltrevolution gerne verzeiht. Als parlamentarischer Geschäftsführer der Landtagsfraktion in Sachsen-Anhalt hatte er beim politischen Gegner den Ruf eines Demagogen. Das zumindest hat sich seit seinen Tagen bei den Stalinisten nicht geändert. Seine Rhetorik sicherte ihm den erstmaligen Einzug per Direktmandat – mit nur 202 Stimmen Vorsprung.

Stephan Brandner

Der thüringische Politiker ist eng mit Björn Höcke verbunden. Zwischen die beiden passe "kein Blatt", sagt Brandner selbst. Schon 2017 zog Brandner in den Bundestag ein, dort gilt er als Stellvertreter Höckes in Berlin. Trotz Widerstands aus den anderen Parteien wurde der Rechtsaußen Vorsitzender im mächtigen Rechtsausschuss – bis Brandner nach dem Angriff auf die Synagoge in Halle mit mehreren Tweets, einer davon gegen den jüdischen Publizisten Michel Friedman, Empörung auslöste.

Die Abgeordneten aus den anderen Parteien im Ausschuss setzten Brandner als Ausschussvorsitzenden ab – ein einmaliger Vorgang in der Geschichte des Bundestags. Nur einen Monat später wurde er auf dem Parteitag der AfD zum stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Partei gewählt. Nun zieht Brandner mit 29 Prozent der Stimmen aus seinem Wahlkreis "Gera – Greiz – Altenburger Land" als Direktkandidat in den Bundestag ein. Sein Ziel ist bekannt: höhere Ämter in der Fraktion erlangen.

Karsten Hilse

Schon 2017 zog Karsten Hilse über das Direktmandat für den sächsischen Wahlkreis "Bautzen I" in den Bundestag ein. Seither ist der Polizist nach eigener Aussage vom Dienst freigestellt. Stattdessen ist er nun umweltpolitischer Sprecher der Fraktion – und leugnet, wie die gesamte AfD, den Einfluss des Menschen auf den Klimawandel. In Reden im Bundestag wettert er gegen "Klimahysterie", Greta Thunbergs Auftritte in der Öffentlichkeit bezeichnete er als "Kindesmissbrauch".

Hilses Interessen beschränken sich allerdings nicht aufs Klima, Corona ist sein zweites Steckenpferd. Im Mai 2020 rief er als Polizist und Bundestagsabgeordneter in einem offenen Brief an Polizisten dazu auf, nicht gegen Demonstranten auf Corona-Demos vorzugehen.

Bei einer Demonstration in Berlin wurde Hilse im November 2020 von der Berliner Polizei festgenommen. Ein Video der Festnahme wurde von der AfD und Unterstützern in den sozialen Medien verbreitet. Die Bundespolizei notierte Medienberichten zufolge in einem internen Bericht, Hilse habe einen Begleiter zum Filmen aufgefordert – und erst danach Widerstand geleistet.

Mit 33,4 Prozent der Stimmen setzte Hilse sich in seinem Kreis bei dieser Wahl erneut gegen den CDU-Kandidaten durch. In der neuen Fraktion will er umweltpolitischer Sprecher bleiben.

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