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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Experte warnt "Zehntausende werden vom Wahlrecht ausgeschlossen"
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In weniger als zwei Wochen findet die Bundestagswahl statt. Doch zehntausende Wahlberechtigte könnten ausgeschlossen sein. Ein Experte ordnet die Folgen ein.
Drei bis vier Millionen Deutsche leben dauerhaft oder vorübergehend im Ausland. Auch sie dürfen am 23. Februar wählen – ihnen bleibt jedoch nur die Briefwahl. Angesichts der kurzen Fristen könnten besonders Menschen in Übersee von der Bundestagswahl ausgeschlossen sein (die ganze Recherche lesen Sie hier).
Doch wie kann das sein? Und welche Möglichkeiten gibt es, dass Auslandsdeutsche künftig an Wahlen teilnehmen können? Verwaltungsrechtler und Stiftungsvorstand Oliver Junk gibt Antworten.
t-online: Herr Junk, Tausende Auslandsdeutsche werden womöglich vom Urnengang ausgeschlossen, weil die Fristen zu kurz sind. Wie kann das sein?
Oliver Junk: Streichen Sie "womöglich". Faktisch werden Zehntausende Auslandsdeutsche vom Wahlrecht ausgeschlossen. Man darf deshalb sehr wohl der Frage nachgehen, ob das nicht ein verfassungswidriger Zustand ist. Zwar ist es verfassungsrechtlich möglich, das Wahlrecht für Auslandsdeutsche einzuschränken, indem man etwa eine Bindung an Deutschland fordert.
Aber?
Wenn man Auslandsdeutschen das Wahlrecht gibt, muss es auch nutzbar sein. Das ist heute jedoch nicht der Fall. Aufgrund der kurzen Fristen und der ausschließlichen Möglichkeit der Briefwahl ist es für viele nicht möglich, an der Wahl teilzunehmen.
In diesem Jahr sind die besonders kurzen Fristen eine Besonderheit. Welche Folgen hat das?
Wahrscheinlich wird es zahlreiche Beschwerden geben, die an den Wahlprüfungsausschuss geben, der sie prüft. Spannend wird es aber, wenn sich mehrere Auslandsdeutsche zusammentun und vor dem Verfassungsgericht klagen, um das Thema auf rechtlichem Wege zu klären. Denn: Das Problem für die Auslandsdeutschen kommt nun besonders zum Vorschein. Neu ist es aber nicht.
Wie meinen Sie das?
Die Briefwahlunterlagen kommen zu spät oder gar nicht an, das Briefwahlverfahren ist aufwendig. In Deutschland wird man automatisch ins Wählerverzeichnis eingetragen, Auslandsdeutsche müssen sich jedoch aktiv darum bemühen. Dadurch wird das Wahlrecht für sie faktisch ausgehebelt.
Ein schwerer Vorwurf.
Nun ja. Die Wahlbeteiligung der Auslandsdeutschen lag unter drei Prozent, während die allgemeine Wahlbeteiligung 2021 bei mehr als 75 Prozent lag. Das zeigt, dass hier etwas nicht stimmt. Es handelt sich nicht um Desinteresse, sondern um Frustration. Viele versuchen es gar nicht erst, weil sie wissen, dass es nicht funktioniert.
![Oliver Junk (CDU) Oliver Junk (CDU)](https://images.t-online.de/2021/05/86380186v1/50x0:540x360/fit-in/540x0/oliver-junk-cdu-buergermeister-der-stadt-goslar-foto-swen-pfoertner-archivbild.jpg)
Zur Person
Oliver Junk (geboren 1976) ist ein deutscher Politiker (CDU) und Jurist. Von 2011 bis Ende 2021 war er Oberbürgermeister der Stadt Goslar. Er ist Professor für Verwaltungsrecht an der Hochschule Harz. Zudem ist er ehrenamtlicher Vorsitzender der Stiftung Verbundenheit, die sich als Vertretung der Auslandsdeutschen in Deutschland versteht.
Warum macht der deutsche Staat es den Auslandsdeutschen so schwer?
Offenbar gibt es keine starke Lobby für dieses Thema. Zudem gibt es taktische Überlegungen: Man weiß nicht, wie Auslandsdeutsche wählen würden, und das könnte für manche Parteien ein Risiko sein. Möglicherweise fürchten sie, dass Auslandsdeutsche entweder sehr weltoffen oder konservativ wählen. Das könnte eine Rolle spielen.
Also gibt es die Befürchtung, dass sie "falsch" wählen?
So kann man es sagen. Es wäre wichtig, dass die Politik in Berlin in der nächsten Legislaturperiode handelt.
Erklären Sie das bitte.
Die Absicht sollte sein, dass Auslandsdeutsche an Wahlen teilnehmen und zu Botschaftern für die deutsche Demokratie im Ausland werden. Das Wahlsystem wurde jedoch nie für sie weiterentwickelt. Wir brauchen dringend ein modernes Wahlsystem, das auch Digitalisierungsfortschritte nutzt, etwa über ein digitales Wählerverzeichnis. Es muss ein System für Auslandsdeutsche geschaffen werden, das eine höhere Wahlbeteiligung ermöglicht.
Wie kann das aussehen?
Zum einen muss es möglich sein, direkt im Ausland zu wählen, etwa im Konsulat in Buenos Aires. Zum anderen muss das aktuelle komplizierte System angepasst werden, weil Auslandsdeutsche an ihre letzte Heimatgemeinde gebunden sind. Daher wählen sie in einem bestimmten Wahlkreis in Deutschland. In jeder Botschaft müsste theoretisch jede Stimme eines jeden Wahlkreises bereitgehalten werden. Andere Länder haben das anders gelöst und führen spezielle Auslandswahlkreise ein.
Das würde bedeuten, dass es etwa einen Abgeordneten für Nordamerika oder Südamerika gäbe?
Genau. Man könnte fünf oder sechs Auslandswahlkreise bilden und diesen bestimmte Abgeordnete zuordnen. Solche Systeme gibt es bereits. Es geht hier nicht um eine kleine Gruppe, sondern um drei bis vier Millionen Menschen, die Mehrheit von ihnen wahlberechtigt – das entspricht der Bevölkerung von Berlin. Diese Menschen sollten auch im Bundestag repräsentiert sein.
Eine Möglichkeit wären zudem Online-Wahlen. Doch Deutschland zögert, weil es Sicherheitsbedenken gibt, etwa durch ausländische Einflussnahme. Wäre die Gefahr nicht zu groß?
Das sind berechtigte Argumente. Allerdings ist die Technik inzwischen weiter, auch hier haben andere Länder Fortschritte gemacht. Deutschland hat aber aufgehört, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Man könnte Pilotprojekte in ausgewählten Regionen starten, etwa in Nord- und Südamerika, und das System dann auswerten.
Wie realistisch ist es, dass sich in den kommenden Jahren etwas ändert?
Ich bin zuversichtlich. Wir haben mit der Stiftung Verbundenheit einen Forderungskatalog an die Parteien in Berlin geschickt und in einem Wahlforum diskutiert. Viele waren von den Zahlen überrascht. Vielleicht wird aus einem ganzen Paket zumindest eine Maßnahme umgesetzt.
Zynisch gesagt: Wenn diese Bundestagswahl vor dem Verfassungsgericht landet, würde das dem Thema nicht helfen, weil es dann in den Fokus rückte?
Das ist gut möglich. Mehr mediale Aufmerksamkeit wäre in jedem Fall hilfreich, um den Gesetzgeber in Berlin zu bewegen. Ob es dafür den Weg übers Verfassungsgericht benötigt, wird sich zeigen.
Herr Junk, vielen Dank für das Gespräch!
- Telefoninterview mit Oliver Junk
- Stiftung Verbundenheit: "Wir unterstützen deutsche Minderheiten und deutschsprachige Gemeinschaften im Ausland"