"Klares Signal an Putin" Ex-Außenminister stellt sich überraschend gegen Scholz
Kanzler Scholz hat einen Einsatz der Bundeswehr etwa zur Luftverteidigung der Ukraine ausgeschlossen. Ein Parteifreund und früherer Außenminister sieht das anders.
Angesichts der schwierigen Lage in der Ukraine fordert Ex-Außenminister Sigmar Gabriel eine härtere Gangart gegenüber Russland – und spricht sich dagegen aus, einen Einsatz deutscher Soldaten etwa zur Luftverteidigung von vornherein auszuschließen. "Es braucht das klare Signal an Putin: Stoppe diesen Krieg – oder wir tragen ihn zu dir."
Das sind ungewöhnlich deutliche Worte eines Sozialdemokraten, dessen Partei zuletzt mehr dadurch aufgefallen ist, bei allen wichtigen Entscheidungen in Sachen militärischer Hilfe für die Ukraine zunächst abzuwarten und darauf zu hoffen, dass sich die Schutzmacht USA zuerst bewegt.
Nun fordert Gabriel ausgerechnet in der Frage einer deutschen Beteiligung an einer Flugverbotszone über der Ukraine, sich gegen den Machthaber im Kreml zu stellen. "Wenn das heißt, dass deutsche Raketenabwehrsysteme mithilfe der Bundeswehr Flugverbotszonen in der Ukraine durchsetzen, um damit ukrainische Städte vor den russischen Angriffen auf die Zivilbevölkerung zu schützen, würde ich Herrn Putin nicht schon wieder versprechen, dass wir das nie tun werden", sagte der frühere SPD-Vorsitzende dem Magazin "Stern".
Gabriel: "Putin reagiert nur auf Härte"
Putin hatte erst vor wenigen Tagen bei einem Gespräch mit westlichen Journalisten das Thema weiterer Lieferungen von Offensivwaffen durch den Westen an die Ukraine aufgegriffen und mit schwerwiegenden Konsequenzen gedroht, solle es dazu kommen. Die Biden-Regierung sagte dem von Russland völkerrechtswidrig angegriffenen Land erst am Dienstag die Lieferung eines weiteren Patriot-Systems zu.
Das Patriot-System hilft der Ukraine, sich gegen russische Raketenangriffe zu verteidigen. Darüber hinaus steht immer noch eine Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern aus Deutschland im Raum. Kanzler Scholz hat diese abgelehnt. Auch die Beteiligung deutscher Soldaten an einer Flugverbotszone über der Ukraine schließt der Sozialdemokrat aus.
Anders sein Parteifreund Gabriel: "Niemand wünscht sich, die Bundeswehr in einen Krieg führen zu müssen. Aber wenn die Gefahr wächst, dass die Ukraine verliert, dann zerstört das auch unser bisheriges Leben in Frieden und Sicherheit in Europa. Putin wird nach kurzer Zeit der Erholung an anderer Stelle zündeln", erklärte der ehemalige Außenminister. "Es ist ein Krieg gegen uns." Und mit Blick auf Putin: "Er reagiert nur auf Härte und Stärke. Und derzeit glaubt er, wir seien schwach und ängstlich."
Gabriel fordert weitere Friedenskonferenz
Einen Sieg über die Atommacht Russland könne es aber nicht geben. Für ein Ende des Krieges braucht es nach Gabriels Worten eine Art Doppelstrategie: "Putin unseren Eisenfuß entgegenstellen und zugleich nach Gesprächsformaten und damit nach Auswegen aus dem Krieg suchen." Dazu gehöre auch eine weitere Friedenskonferenz. "Neben der Konferenz in der Schweiz bedarf es einer zweiten Friedenskonferenz, auf der sich Russlands Gesprächspartner treffen." Diese Russland-Allianz solle von China geführt werden.
"Deutschland könnte einen solchen Vorschlag glaubwürdig einbringen. Dann würde das Wahlplakat des Bundeskanzlers zur Europawahl unter dem Motto 'Frieden sichern' auch durch aktives Handeln unterlegt werden", sagte Gabriel, der jetzt Vorsitzender der deutsch-amerikanischen Atlantikbrücke ist.
Warnungen vor dem Kreml wurden in Berlin ignoriert
Gabriel steht seit dem Beginn des Ukrainekriegs selbst in der Kritik, unter anderem wegen seiner Rolle beim Bau der Gas-Pipeline Nord Stream 2. Das von Russland vorangetriebene Projekt wurde von verschiedenen Bundesregierungen über Jahre hinweg großzügig unterstützt. Wie neue Dokumente zeigen, hatte sich die Regierungen unter Angela Merkel massiv für den Bau der Pipeline eingesetzt, unter anderem auch Gabriel, der mehrfach nach Moskau reiste und beste Beziehungen zu russischen Politikern unterhielt.
Von der ausgesprochen russlandfreundlichen Außenpolitik ließen deutsche Politiker auch dann nicht ab, als Putin bereits auf der Krim einmarschiert war und die Warnungen vor allzu großer Nähe zum Kreml aus vielen Teilen der Welt auch in Berlin eigentlich unüberhörbar gewesen waren.
Gabriel äußerte sich in dem Zusammenhang selbstkritisch mit seiner Rolle und mit der deutschen Russlandpolitik allgemein. "Es war ein Fehler, bei den Einwänden gegenüber Nord Stream 2 nicht auf die Osteuropäer zu hören. Das war auch mein Fehler", sagte Gabriel schon 2022 der "Welt".
- sueddeutsche.de: Einsatz der Bundesregierung für die Pipeline. Die Akte "Nord Stream 2" (kostenpflichtig)
- ntv.de: Putin warnt Deutschland und droht dem gesamten Westen
- welt.de: Gabriel spricht mit Schröder über Russland-Reise
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa