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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Bidens TV-Auftritt erschüttert "Es ist entsetzlich"
Nach dem TV-Duell sind die Demokraten über den Auftritt Joe Bidens entsetzt. Sie wissen: Jetzt droht eine Debatte über den Rücktritt ihres Präsidentschaftskandidaten.
Bastian Brauns berichtet aus den CNN-Studios in Atlanta
Auch Jill Biden konnte es sichtlich kaum erwarten, bis diese erste Fernsehdebatte nach 90 Minuten endlich zu Ende war. Die First Lady eilte zur Bühne, ging direkt zum Podium, griff mit beiden Händen nach ihrem Ehemann, dem Präsidenten der Vereinigten Staaten, und ließ ihn erst einmal nicht mehr los.
Joe Biden beugte sich langsam zu ihr herunter. Wie in Zeitlupe gingen die beiden zum Bühnenrand. Jill Biden half dem US-Präsidenten dabei, selbst diese eine Stufe nach unten so vorsichtig wie möglich zu nehmen.
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Donald Trump wurde an diesem Abend nicht von seiner Ehefrau Melania am Bühnenrand mit Liebkosungen empfangen. Doch selbst die Abwesenheit der ehemaligen First Lady blieb kein Makel, sondern eine Stärke von Bidens Gegner. Donald Trump ging selbstbewusst und starken Schrittes ganz alleine von der Bühne.
Joe Biden ist 81 Jahre alt und das war in der vergangenen Nacht für die ganze Welt so deutlich zu sehen, dass es nicht mehr wegzudiskutieren ist. Der US-Präsident wirkte nicht nur über lange Strecken abwesend, sondern auch verwirrt und dem Format schlicht nicht mehr gewachsen. Biden zeigte Schwächen, die zwar bekannt sind, die er aber auch immer wieder, etwa bei der Rede zur Lage der Nation, im Griff zu haben schien.
Kein Demokrat war anwesend
Darum bricht nun donnerndes Rumoren im Lager der Demokraten aus. Und es ist noch hörbarer als Bidens ständiges Räuspern beim Duell gegen Donald Trump. Rund 130 Tage vor der Präsidentschaftswahl fallen an diesem Abend Sätze wie: "Es ist schwer zu argumentieren, dass Biden unser Kandidat sein sollte", "Es ist entsetzlich" oder einfach nur: "Wir sind am Arsch". Von "aggressiver Panik" und einem Schockzustand der Demokraten ist die Rede. Selbst Bidens Wahlkampfteam sieht sich schon nach rund einer halben Stunde genötigt, eine Erklärung für den Auftritt ihres Kandidaten zu streuen. Der Präsident sei krank, er habe eine Erkältung, heißt es.
In Atlanta, im sogenannten Spin Room, war die Implosion der Demokraten nach der Debatte buchstäblich zu sehen. Normalerweise tummeln sich in diesem Raum die Berater und Unterstützer der beiden Kandidaten, um den Medien ihren Dreh der Geschichte mitzugeben. Doch kein Demokrat war anwesend. Nur eine Gruppe von Young Democrats, der Jugendorganisation der Demokratischen Partei, drehte dort Videos für ihren YouTube-Kanal, und wirkte zerknirscht. "Ich mache mir wirklich Sorgen", sagte Luke. Biden habe es nicht geschafft, die Gefahren von Donald Trump "angemessen deutlich auf der Bühne anzusprechen".
Die Republikaner feierten ein Freudenfest
Die Republikaner hingegen feierten ein Freudenfest über den TV-Debattensieg von Donald Trump. Anwesend waren unter anderem der rechtsextreme Ex-Kandidat Vivek Ramaswamy, der Kongressabgeordnete Byron Donalds, seine Wahlkampfstrategen Jason Miller und Stephen Miller sowie hochrangige Kongressabgeordnete wie Elise Stefanik. Auch der Republikaner Matt Gaetz ätzte ins Mikrofon: "Heute haben wir einen Mann im Verfall gesehen, der eine Nation in den Verfall führt."
Auch Trumps Schwiegertochter Lara Trump, die inzwischen die Parteivorsitzende der Republikaner ist, kam in den "Spin Room". Zu t-online sagte sie, Joe Biden habe sich vielleicht bei seiner tagelangen Vorbereitung auf die Debatte bei seinen zahlreichen Beratern etwas eingefangen. Nach ihrem spöttischen Spruch fügte sie noch hinzu, dass nicht die Erkältung von Biden das Problem sei, sondern dessen Politik.
Doch darum, was die richtige oder falsche Politik ist, ging es in dieser Nacht fast gar nicht mehr. Trump tischte 90 Minuten lang immer wieder Lügen und Falschbehauptungen auf. Biden versuchte, das zu korrigieren, scheiterte aber daran. Die Moderatoren verstanden ihre Aufgabe offenbar nicht als Korrektiv, sondern arbeiteten lediglich ihre Fragen ab.
Die amerikanische Nation ist nun damit beschäftigt zu verarbeiten, was sie da live gesehen hat. Der amtierende Präsident der USA muss nach seinem Auftritt damit leben, dass auch in dem ihm zugeneigten Sender CNN, der die Debatte übertrug, plötzlich über seinen Rücktritt debattiert wird. Möglich wäre das, auch wenn es für die Demokraten eine große Bürde bedeutete, innerhalb kürzester Zeit, noch vor dem Nominierungsparteitag, einen neuen Kandidaten oder eine neue Kandidatin zu finden.
Im "Spin Room" von Atlanta brach dann plötzlich doch noch Chaos aus. Reporter, Kamera- und Tonleute rannten in eine Ecke und bildeten binnen Sekunden ein undurchdringliches Knäuel. Zwei Demokraten wagten es nämlich, Joe Biden zu verteidigen. Der eine war Raphael Warnock, Senator aus Georgia. Der andere war Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom, er wird schon lange als möglicher Ersatzkandidat für Biden gehandelt. Spätestens in dieser Nacht wurde er zum Hoffnungsträger, auch wenn er das natürlich abstritt.
Newsom beteuerte vor den Reportern dann aber eilig seine Treue zum Kandidaten. "Ich werde Präsident Biden niemals den Rücken kehren", sagte er. Und er kenne auch keinen Demokraten, der das tun würde. Trumps Leistung bezeichnete er als "Schwäche, die sich als Stärke tarnt". Wahlkampf sei kein Sprint, sondern eine Langstrecke. "Wir werden diese Wahl gewinnen", so Newsom. Diese Debatte, so will er seine Botschaft verstanden wissen, sei nur eine kurze Momentaufnahme.
- Hören Sie hier im Podcast, was hinter der Organisation des TV-Duells steckt und wie die Medien den Wahlkampf in Amerika beeinflussen:
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Die amerikanischen Zuschauerinnen und Zuschauern fällten jedenfalls ein eindeutiges Urteil über diesen Moment. In einer ersten Umfrage nach dem Duell gaben in der Nacht nur 33 Prozent an, Joe Biden habe die Debatte gewonnen. Eine deutliche Mehrheit von 67 Prozent sieht Donald Trump als Sieger. Vor vier Jahren, bei der ersten Debatte zwischen den beiden, war das anders. Biden gewann damals mit 60 Prozent. Donald Trump erhielt 28 Prozent.
Gemeinsam mit seiner Ehefrau Jill bestieg Joe Biden noch in der Nacht die Präsidentenmaschine Air Force One. Eigentlich bräuchte er jetzt erst einmal eine lange Erholungsphase. Doch er ist der Präsident und will es unbedingt wieder werden. Und diese erste Fernsehdebatte war erst der Anfang einer offensichtlich quälenden Bewährungsprobe. Sie wird noch 130 weitere Wahlkampftage dauern.
Der junge Demokrat Luke drückte es in Atlanta so aus: "Joe Biden muss jetzt rausgehen. Auf jede Bühne, die sich ihm bietet. Er muss den Menschen zeigen, dass er stärker ist als das, was er heute Abend gezeigt hat." Es klang wie ein verzweifelter Wunsch, die Realität irgendwie doch noch auszutricksen zu können.
- Eigene Recherchen und Gespräche vor Ort