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Afghanistan-Rede: Joe Biden gibt den Heiler der Nation


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Ansprache zum Afghanistan-Abzug
Joe Biden gibt den Heiler der Nation

  • Bastian Brauns
Von Bastian Brauns, Washington

31.08.2021Lesedauer: 3 Min.
Joe Biden richtet sich an die Nation: "Eine weise Entscheidung"Vergrößern des Bildes
Joe Biden richtet sich an die Nation: "Eine weise Entscheidung" (Quelle: imago-images-bilder)

Wegen seines chaotischen Afghanistan-Abzugs steht Joe Biden politisch mit dem Rücken zur Wand. Schafft er es nun, seine Kritiker zu überzeugen?

Als Joe Biden am späten Dienstagnachmittag endlich vor die Kameras im Weißen Haus trat, ließ er seinen Zuschauern lediglich zwei Optionen für Afghanistan: Abziehen oder Eskalieren.

Nichts anderes als eine Entscheidung zwischen diesen beiden Polen habe für ihn bestanden, insbesondere nach dem Deal seines Amtsvorgängers Donald Trump mit den Taliban. Eskalieren hätte bedeutet, erneut Zehntausende Soldaten nach Afghanistan zu entsenden und deren Leben weiterhin in einem Krieg zu riskieren. Auch nur wenige Soldaten im Land zu lassen, hätte letztlich zu einer Eskalation geführt. Also habe er sich dafür entschieden, abzuziehen.

Der Druck, der auf Biden an diesem Nachmittag in Washington lastete, war riesig. Republikaner, Veteranen, Demokraten, Alliierte – sie alle sparen in diesen Tagen nicht mit ihrer Kritik am Oberbefehlshaber. Mal werfen sie ihm Inkompetenz vor, mal Verrat, mal Herzlosigkeit und mal mangelnde Verlässlichkeit.

Trotzig, uneinsichtig, aber taktisch klug

Darum hat sich Biden offensichtlich dafür entschieden, thematisch dort zu punkten, wo er trotz aller Kritik aus allen Lagern die Mehrheit hinter sich weiß: "Der Abzug ist richtig. Es ist richtig, diesen Krieg jetzt zu beenden."

Für einige Beobachter mag dies fast trotzig oder uneinsichtig wirken. Taktisch klug aber war es womöglich, vollumfänglich bei seiner Verteidigungsstrategie zu bleiben, mit der er vor rund zwei Wochen in seiner ersten Afghanistan-Ansprache begonnen hatte. Das Signal, das Biden zu geben versucht: Ich weiß, was ich tue. Vertraut mir!

Kein Fehlereingeständnis. Kein Bedauern. Die Entscheidung sei nicht nur richtig, ja sogar "weise" gewesen, sagte Biden. Lediglich die eigene Annahme, dass eine Armee, die "zwanzig Jahre lang ausgebildet wurde", länger durchhält, habe sich als falsch herausgestellt. Neue Argumente waren das nicht.

Vehement wie kaum in letzter Zeit

Neu war auch nicht, dass Biden sagte, die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts seien ganz andere als noch im Jahr 2001: Konfrontationen mit China, Russland, Hackerangriffe, atomare Bedrohungen und ein anders agierender Terrorismus. Auch die USA müssten ihre Strategie anpassen, sagte Biden. Was gleichsam nicht bedeute, sich den Herausforderungen nicht weiterhin zu stellen. Jene, die Amerika schaden wollten, werde man jagen "bis ans Ende der Welt". Man werde nicht vergeben und nicht vergessen. So weit, so üblich.

Neu aber war die Vehemenz, mit welcher der US-Präsident seine Positionen vortrug. Erschöpft und kraftlos wirkte er in den vergangenen zwei Wochen immer wieder. Mitunter schmetterte Biden nun seine Sätze geradezu in den Presseraum des Weißen Hauses, als handelte es sich um Parolen auf einem Exerzierplatz. Ausgerechnet beim Thema Ausgaben: "Zwei Jahrzehnte lang, 300 Millionen Dollar pro Tag" habe dieser Einsatz gekostet. "Ja!", das solle das amerikanische Volk wissen. Er wiederholte es noch einmal. Und dann noch einmal. Und dann noch einmal als optimistischere Rechnung: "Das wären immer noch 150 Millionen Dollar pro Tag!"

Es sind hohe Summen, die Biden nennt und die er kennt von seinen Investitionsplänen zur Erneuerung der amerikanischen Infrastruktur. Einen kostspieligen Krieg zu beenden heißt auch, mehr Geld für anderes zu haben.

Eine Rede an die geschundene Nation

Einmal mehr in seiner Präsidentschaft bemühte sich Biden auch darum, den Schmerzensmann zu geben. Einen Mann, der nicht zuletzt wegen seines einst im Irakkrieg kämpfenden und inzwischen verstorbenen Sohns Beau Leid aus der Tiefe seines Herzens versteht. Er gibt den Heiler der eigenen geschundenen Nation. Er berichtete von amerikanischen Familien und was diese bei jedem geführten Krieg erdulden müssten. 18 Veteranen nehmen sich laut Biden mitten in diesem Land jeden Tag das Leben. Er trage die Verantwortung und er wolle dieses Leid, diese Trauer und diese Qualen jetzt beenden.

Gut möglich, dass Biden mit seiner Entscheidung und seiner Erzählung langfristig punkten kann. Das hängt allerdings sehr davon ab, wie sich die Lage am Hindukusch entwickelt. Davon, ob er wie erneut versprochen jene Menschen aus dem Land holen kann, die willens sind, zu gehen. Davon, ob das Bild der USA in der Welt sich wieder wandeln kann in eines der Stärke und Verlässlichkeit. Und nicht zuletzt davon, ob er es innenpolitisch schafft, aus dem als Schande wahrgenommenen Afghanistan-Desaster wirklich eine Chance werden zu lassen.

Nachfragen der Presse ließ Biden wie oft in letzter Zeit nicht zu. Aber es war eine vergleichsweise kraftvolle Ansprache des US-Präsidenten, die sich an die Seele einer Weltmacht im Wandel richtete. An eine Weltmacht, die ihre Rolle erst wieder finden muss, offenbar in einem zunehmenden Isolationismus. "America First" mit einem anderen Stichwortgeber. Es war keine Ansprache an das afghanische Volk.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Livestream des Weißen Hauses
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