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Zehn Jahre nach Lehman-Brothers-Pleite: In den USA gärt es


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USA zehn Jahre nach der Finanzkrise
Unter der Oberfläche gärt es

Von Fabian Reinbold, Washington

14.09.2018Lesedauer: 5 Min.
Chicagoer Börse nach der Lehman-Pleite im September 2008: "Wir konnten unser Land nicht überzeugen."Vergrößern des Bildes
Chicagoer Börse nach der Lehman-Pleite im September 2008: "Wir konnten unser Land nicht überzeugen." (Quelle: Archivbild/John Gress/reuters)
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Haus weg, Job weg, Rente weg: Vor zehn Jahren erschütterte die verheerende Finanzkrise die Existenz von Millionen Amerikanern – und das Vertrauen in die Mächtigen. Von dem Schock hat sich die Nation bis heute nicht erholt.

Die Männer, die Amerika gerettet oder, je nach Sichtweise, verraten haben, sitzen zusammen und lachen. Es ist ein grauer Septembermorgen, die drei hocken auf einer Bühne einer der zahllosen Denkfabriken in Washington und sprechen über die Stunde Null.

Über den September 2008, als sie das Land durch die verheerende Finanz- und Immobilienkrise bringen mussten. Die drei retteten zahlreiche Banken und Versicherungen, doch die traditionsreiche Investmentbank Lehman Brothers ließen sie am 15. September 2008 bankrott gehen. Es war die größte Pleite der US-Geschichte und ließ weltweit die Märkte einstürzen.

"Wir haben damals das meiste schnell unter Kontrolle gebracht", sagt jetzt Ben Bernanke, der heute immer noch den gleichen Bart wie vor zehn Jahren trägt, als er Chef der US-Notenbank Fed war. "Aber das größte Problem war: Wir konnten unser Land nicht überzeugen, dass das, was wir taten, notwendig war." Neben ihm nickt Hank Paulson, 2008 der US-Finanzminister. "Es war damals so schwer zu erklären."

Damals hat die Finanz-, Immobilien und Wirtschaftskrise, die mit der Pleite von Lehman Brothers voll durchbrach, das Land regelrecht verwüstet. Zehn Millionen Familien haben zwischen 2006 und 2014 ihr Wohneigentum verloren, das heißt, ihr Haus wurde zwangsvollstreckt. Zugleich gingen acht Millionen Jobs verloren, die Arbeitslosigkeit verdoppelte sich im Jahr 2008 schlagartig auf zehn Prozent.

Oberflächlich betrachtet geht es den Vereinigten Staaten wieder gut. Die Arbeitslosigkeit ist rapide gesunken, die Wirtschaft brummt, erst recht nach den großen Steuersenkungen für Unternehmen und Besserverdienende.

Die Art der Bankenrettung hat das Land verstört

Doch unter der Oberfläche gärt es. Die Finanzkrise hat tiefe Spuren in Amerika hinterlassen. Millionen Amerikaner kämpfen bis heute mit den verheerenden Folgen. Und: Die Art, wie die Rettung der Banken ablief, hat Millionen Amerikaner nachhaltig verstört und erzürnt. Dieser Vertrauensverlust in Regierende und Bosse hat entscheidend dazu beigetragen, dass sich das politische System Amerikas radikalisiert hat.

Kurze Rückblende. Vor zehn Jahren verloren sehr viele Amerikaner alles gleichzeitig: Ihr Häuschen, ihren Job und dazu noch große Teile ihrer Rente – denn die bezieht man in Amerika üblicherweise aus Investments an den Aktienmärkten. Diese brachen damals um die Hälfte ein. Manche kamen aus diesem Teufelskreis nicht wieder heraus, andere kämpfen bis heute.

Es traf besonders viele Aufsteiger, die sich mit ihrem Haus ihr Stück des amerikanischen Traums sichern wollten. Sie ließen sich Hypotheken aufschwatzen, die sie bald nicht mehr bezahlen konnten. Während die Banken mit diesen faulen Krediten zunächst prächtige Gewinne machten – und später atemberaubende Verluste.

Als die Immobilienkrise im Herbst 2008 eskalierte und kleinere Rettungspakete nichts halfen, trieb die Politik in den hektischen Wochen 700 Milliarden Dollar an Steuergeldern für Banken und Unternehmen auf. Aber was war mit denjenigen, die noch um ihre Häuser kämpften oder sie schon verloren hatten?

"Wir haben viel gemacht für den Immobilienmarkt", sagt Timothy Geithner. Er ist der dritte Mann, der jetzt in Washington auf der Bühne sitzt. 2008 war er der Chef der Fed in New York, wo die Banken ihre Zentralen haben. Barack Obama machte ihn später zum Finanzminister. "Aber wir waren zu spät dran für diejenigen, die vor dem Verlust ihres Hauses standen. Wir haben zu wenig gemacht."

Obama und sein Finanzminister erfüllten nicht, was er vor Amtsantritt in Aussicht gestellt hatte: Versprochen war etwa, dass aus dem Rettungspaket 100 Milliarden Dollar benutzt werden sollten, um weitere Zwangsenteignungen zu verhindern. Acht Jahre später waren jedoch nur 21 Milliarden ausgezahlt.

Finanzprodukte wurden zwar schärfer reguliert, doch aus Sicht vieler seiner Wähler vergaß Obama die Opfer der Krise. Als dann die mit Steuergeldern geretteten Banken Boni an ihre Manager ausschütteten, als wäre nichts gewesen, und die Regierung nichts dagegen unternahm, flammte eine linke Wut-Bewegung auf. Besonders sichtbar wurde sie 2011 als "Occupy Wall Street"-Protest, war aber bald wieder verschwunden. Das brachliegende Potenzial rief dann in den Jahren 2015 und 2016 der Linksaußen-Senator Bernie Sanders ab, der sich bei den Demokraten um ein Haar gegen Hillary Clinton als Präsidentschaftskandidat durchgesetzt hätte.

Die Geburt der "Tea Party"-Bewegung

Doch was den einen von Obama zu wenig kam, war anderen schon zu viel. So erwuchs eine neue Art Widerstand. Da war etwa der kalkulierte Wutausbruch eines Manns namens Rick Santelli. Der CNBC-Börsenmoderator wetterte im Februar 2009 auf dem Parkett in Chicago gegen ein Paket Obamas und Geithners, das Banken Anreize bieten sollte, Hypotheken umzuschichten, statt ihre Schuldner aus deren Häusern zu werfen.

In Santellis Augen war das Staatshilfe für jene, die sich selbst reingeritten hatten. "Wir bezuschussen die Hypotheken der Loser", schimpfte er – und erntete sehr viel Applaus. (Hier können Sie sich den Auftritt anschauen.)

Der Auftritt gilt als Geburtsstunde der "Tea Party"-Bewegung. Diese sehr konservative, von Wut über die Obama-Regierung getriebene Bewegung konnte erfolgreich mobilisieren, auch weil sie von konservativen Großspendern unterstützt wurde. Bald ging es schon nicht um Hypotheken, sondern die Frage, ob der Präsident denn wirklich in den USA zur Welt gekommen sei.

In den Folgejahren übernahm sie immer mehr Kontrolle über die Richtung der Republikanischen Partei. Aus der wütenden "Tea Party" entwickelte sich die Wählerbasis Donald Trumps. Auch sie fühlen sich von der Regierung im Stich gelassen und behaupten, allen anderen werde geholfen, nur ihnen nicht.

Eine neue "Schuldenbombe"

So brach auf beiden Seiten ein tiefes Misstrauen gegen die Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft durch. Es begünstigte die Wahl eines Außenseiters wie Trump. Der kleine Mann hat für die Fehler der Großen bezahlt, heißt es nun zehn Jahre später links wie rechts. Und tatsächlich besitzen die unteren 90 Prozent jetzt einen kleineren Anteil am US-Gesamtvermögen als vor der Krise. Derweil werden unter Trump zahlreiche Regeln, die Obama nach 2008 den Banken auferlegte, wieder zurückgenommen.

Andrew Ross Sorkin, Finanzexperte der "New York Times", zeichnete damals in einem Buch die Tage rund um den Untergang von Lehman Brothers nach. Zehn Jahre später sieht er es so: "Als ich "Too Big To Fail" schrieb, wusste ich, dass die Krise Wall Street und Wirtschaft neu definieren wird. Aber ich ahnte nicht, wie grundlegend sie das politische Klima neu definieren würde."

Auf diesem wackligen Fundament stehen zehn Jahre später amerikanische Gesellschaft und Politik, die beide immer mehr Schulden anhäufen. Derzeit steigen insbesondere die Verbindlichkeiten aus Studiengebühren rapide an, zugleich klettert und klettert die Staatsverschuldung, letzter Stand: 21 Billionen US-Dollar. Ex-Finanzminister Paulson raunte auf der Veranstaltung in Washington schon von einer neuen "Schuldenbombe".

Verwendete Quellen
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