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Robert Kagan über Donald Trump und die Nato: "Sind jetzt eine Schurken-Supermacht"


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US-Politikberater über Trump
"Wir sind jetzt eine Schurken-Supermacht"

InterviewVon Fabian Reinbold, Washington

Aktualisiert am 12.07.2018Lesedauer: 6 Min.
Donald Trump: Der US-Präsident kennt keine Verbündeten mehrVergrößern des Bildes
Donald Trump: Der US-Präsident kennt keine Verbündeten mehr (Quelle: Kevin Lamarque/reuters)

Was steckt hinter Donald Trumps Angriffen auf Deutschland, Europa und die Nato? Der konservative Vordenker Robert Kagan sieht eine neue Weltordnung heraufziehen – in der für Verbündete kein Platz mehr ist.

Es hat geknallt. Der Nato-Gipfel vollzieht sich wie ein Unfall, der in Zeitlupe abläuft: Man weiß, was passieren wird und kann dennoch nicht wegschauen. So hat Donald Trump wie von allen erwartet das Treffen in Brüssel zur Abrechnung mit den Verbündeten genutzt.

Er will, dass die anderen mehr zahlen, er will sein Geld zurück. Im Zentrum der Wut des mächtigsten Mannes der Welt: Deutschland. Trump verlangt, dass Berlin endlich die versprochene Summe von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Rüstung steckt.

In Wahrheit sei es Trump allerdings völlig egal, ob Deutschland zwei Prozent ausgebe, sagt der amerikanische konservative Vordenker Robert Kagan. Der einflussreiche US-Politikberater und Historiker beschreibt im Interview mit t-online.de, wie Trump dabei ist, die Weltordnung über den Haufen zu werfen.

Kagan sieht sein eigenes Land als hemmungslose "Schurken-Supermacht" agieren, die in kleinsten Fragen das persönliche Interesse Trumps über alles stelle. Im Interview warnt er, dass die Deutschen diese Gefahr lange unterschätzt hätten und sieht Angela Merkel vor einer entscheidenden Aufgabe.

t-online.de: Herr Kagan, wird die Nato Donald Trump überleben?

Robert Kagan: Das hängt davon ab, wie lange Trump im Amt bleiben wird. Er hat bereits schweren Schaden angerichtet. Den kann man sicherlich zurechtbiegen, wenn seine Amtszeit kurz bleibt. Doch wenn er noch sechs weitere Jahre regieren sollte, weiß ich nicht, ob der Schaden dann noch reparabel ist.

Kennt Trump überhaupt noch so etwas wie Verbündete?

Er hat keinerlei Sinn für Verpflichtungen, die sich aus einer gemeinsamen Vergangenheit ergeben, oder für gegenseitige Verantwortung. Er sieht alle Beziehungen zu anderen nur unter dem Blickwinkel "Was habt ihr eigentlich für uns getan"? So schmerzhaft das für Europa sein mag, muss man sagen: Er kennt tatsächlich keine Verbündeten.

Lange hat sich etwa die Bundesregierung damit getröstet, dass Trumps Tweets zwar schrill klingen, aber die Politik letztlich konstant bleiben würde. Ein Irrtum, oder?

Ja, anfangs haben es ihnen aber auch viele Amerikaner aus dem Regierungsapparat gesagt: Die Tweets könnt ihr ignorieren. Zuletzt haben wir aber gesehen, dass die Tweets mehr als nur Rhetorik sind. Die Europäer haben immerhin jetzt gemerkt, dass Trump auf eure Regierungen mit einer Gleichgültigkeit, oft sogar mit Feindschaft blickt.

Sieht sich Trump denn zumindest an langfristige US-Interessen in Europa gebunden?

Ich denke nicht, dass er diese Interessen überhaupt versteht, etwa dass uns der Zweite Weltkrieg und der Kalte Krieg veranlasst haben, unsere Interessen so breit zu definieren, dass auch viele andere Staaten darunter fallen. Auch wenn Trump diese Sicht auf die Spitze treibt, bewegen sich viele Amerikaner in dieselbe Richtung. Sie fragen: Warum sollten wir weiter eine solch prominente Rolle in der Welt spielen? Warum sollen wir in der Nato sein? Das ist das Kernproblem. Ohne diese Sichtweise gäbe es auch keinen Präsidenten Trump.

Zur Person: Robert Kagan, 59, ist US-Historiker. Er gründete die neokonservative Denkfabrik Project for a New American Century, die großen Einfluss auf die Außenpolitik der Regierung George W. Bushs hatte – und den Irak-Krieg befürwortete. Kagan hat mehrere republikanische Präsidentschaftskandidaten beraten. Zur Zeit forscht er an der Brookings Institution und ist Kolumnist der "Washington Post". In seinem Buch "The Jungle Grows Back" beschreibt er, wie die Präsidentschaft Trumps die Weltordnung verändert. Es erscheint im September.

Dann wäre der logische Schritt, doch tatsächlich aus der Nato auszutreten.

Nein, das wäre zu radikal. Trump hat schnell verstanden, dass dieser Schritt auf ihn zurückschlagen würde. Es ist so wie bei Robert Mueller…

… dem Sonderermittler in Trumps Russland-Affäre

Trump würde Mueller gern feuern, aber er weiß, dass es politisch unklug wäre. Trumps Statements zur Nato sind doch eindeutig. Dauernd betont er, was für ein schlechter Deal das für die USA sei. Wenn wir seine Logik ernst nehmen, bedeutet das, dass es völlig unerheblich ist, ob Staaten wie Deutschland künftig zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung ausgeben. Denn auch das würde die Realität nicht verändern, dass die USA mehr für die Verteidigung Europas ausgeben als Europa für die Verteidigung Amerikas.

Was für eine Strategie verfolgt Trump dann?

Ich würde sie als reinen Realismus beschreiben.

Mit Realismus meinen sie eine politikwissenschaftliche Theorie, die Machtinteressen einzelner Staaten ins Zentrum rückt.

Ja, in dem Sinne, dass alles unter einem Gesichtspunkt betrachtet wird: Wie nutzt etwas den Vereinigten Staaten? Trump fragt sich eher: Wie nutzt es mir persönlich und meinen Wählern? Jeder Handelspakt, jedes Verhältnis zu einem anderen Staat wird daraufhin abgeklopft.

Eigene Interessen verfolgen, das tun viele Nationen.

Ja, aber die Interessen zu verfolgen, heißt nicht, an jedem einzelnen Punkt gewinnen zu müssen. In Amerikas Interesse lag es etwa, den wirtschaftlichen Aufstieg Deutschlands und Japans zu ermöglichen, auch zum Preis, dass die Länder in manchen Feldern den USA den Rang abliefen. Doch das lag im Interesse der liberalen Weltordnung. Wenn wir nun jede einzelne Beziehung, jede Abmachung unter dem Gesichtspunkt betrachten, ob wir "gewinnen" oder nicht, dann sind wir plötzlich ein sehr anderes Amerika. Für mich sind wir jetzt eine Schurken-Supermacht. Egoistisch wie in 1920er Jahren, aber mit viel mehr Macht.

Was ist eine Schurken-Supermacht?

Eine Supermacht, die ihren Einfluss nicht dafür einsetzt, eine globale Ordnung herzustellen, sondern allein zu eigenen Zwecken, und zwar bei jeder noch so kleinen Frage.

Das mag schlecht für die Welt ausgehen, aber vielleicht doch gut für Trump, wenn er seiner Wählerschaft ein paar Deals präsentieren kann, von denen manche Branchen und Regionen daheim profitieren.

Trump führt den Amerikanern zumindest eines ganz deutlich vor Augen: Wenn die USA ihre enorme Macht einsetzen, um eigene Interessen durchzudrücken, können sie Zugeständnisse bekommen. Ich gehe davon aus, dass er solche Zugeständnisse von Europa und China, von Kanada und Mexiko erhalten wird. Das ist dann ein positives Ergebnis, klar. Aber zu welchem Preis? Was auch immer wir für einen Gewinn daraus ziehen mögen, er ist es nicht wert.

Weil Amerika alle Partner vergrault?

Der Grund, warum wir bislang nicht jeden Dollar aus jedem Handelsabkommen gequetscht haben, ist simpel: Weil wir verstanden haben, dass unsere Bündnisse und die von uns gewünschte Weltordnung wichtiger sind als das einzelne Handelsabkommen.

Die USA haben schon immer gern ihre Interessen durchgesetzt, auch gegen Verbündete. Nehmen wir George W. Bushs Irak-Krieg.

Die Bush-Regierung ist vor die Uno getreten, sie hat eine Koalition gebildet. Und nach dem Krieg hat Bush den Rest seiner Amtszeit versucht, den Bruch mit den Verbündeten in Europa wieder zu kitten. Es gibt einen großen Unterschied zwischen einem Streit unter Verbündeten, wie er damals zu beobachten war, und einer generellen Absage der USA an die Verbündeten, wie wir ihn jetzt sehen.

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Damals ist auch viel kaputt gegangen im transatlantischen Verhältnis.

Die USA haben damals nicht Deutschland ins Visier genommen, sondern den Irak, und Deutschland war damit nicht einverstanden. Damals haben viele in Europa den Teufel an die Wand gemalt, was Amerikas Unilateralismus angeht. Es wäre passender gewesen, hätte man sich das für die aktuelle Lage aufgespart.

Jetzt wirken die Europäer so, als wüssten sie nicht, was sie Trump entgegensetzen können.

In der Theorie der Internationalen Beziehungen würden sich viele Staaten verbünden, wenn sie sich einer Supermacht gegenüber sehen. Europa müsste also zusammenwachsen, sich stärker selbst verteidigen, mehr Kompetenzen bekommen. Das ist momentan aber sehr unwahrscheinlich. Ich fürchte, es gibt eine große Synergie von Trumps Angriffen und den Spaltkräften in Europa, die sich innerhalb der Mitgliedsstaaten und zwischen ihnen bilden. Er befeuert die populistischen Bewegungen noch.

Was muss die mächtigste Regierungschefin Europas, Angela Merkel, tun?

Ihre Aufgabe wird eher darin liegen, diese Spaltkräfte in Deutschland und in Europa zu bewältigen, als Trump gegenüberzutreten. Meiner Meinung kann man Trump gar nicht gegenübertreten. Europa müsste alles mit voller Macht vergelten: bei der Verteidigung, beim Handel, dafür ist Europa jedoch zu schwach. Wenn ich auf Merkel blicke, ist meine größte Frage: Kann sie die Kräfte der Auflösung daheim aufhalten?

Das fragen sich in Europa auch viele.

Ich sehe nicht, dass sie es schafft. Es tut mir Leid, dass ich gerade alles so düster beschreibe. Aber es laufen momentan so viele Dinge parallel aus dem Ruder.

Und parallel zittern die Europäer davor, was Trump Wladimir Putin dealen könnte.

Anders als viele Kollegen sehe ich gar nicht so viel, was Trump Putin anbieten kann. Putin profitiert doch schon von allen Entwicklungen, über die wir gesprochen haben. Wenn die liberale Weltordnung gesund ist, ist Russland nur eine zweitrangige Macht. Ich erwarte, dass Trump genauso erpicht auf kurzfristige Gewinne Putin gegenüber tritt, wie er es bei den Europäern tut. Aber was kann er von Putin wollen?

Die Erfahrung vom Gipfel mit Kim Jong Un lautet, dass Trump zwar nicht den Verbündeten, aber autoritären Herrschern weitreichende Zugeständnisse macht, allein schon dafür, dass man sich getroffen hat.

Das ist hier natürlich auch möglich, etwa bei der Frage einer Krim-Anerkennung. Ich sehe aber einen großen Unterschied: Kim Jong Un hatte mit der Drohung atomarer Aufrüstung Trump gegenüber größere Druckmittel in der Hand als Putin. Der Westen zerfällt, das ist der strategische Gewinn Putins. Putin müsste Trump dafür Danke sagen.

Vielen Dank für das Gespräch.

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