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Machtübernahme in Afghanistan: Taliban stellen Regierungschef und Vize vor


Nach Machtübernahme in Afghanistan
Taliban stellen Regierungschef und Vize vor

Von dpa, afp, mam

Aktualisiert am 07.09.2021Lesedauer: 4 Min.
Mohammed Hassan Achund (2.v.r): Der ehemalige afghanische Außenminister ist neuer Premierminister des Landes. (Archivfoto)Vergrößern des Bildes
Mohammed Hassan Achund (2.v.r): Der ehemalige afghanische Außenminister ist neuer Premierminister des Landes. (Archivfoto) (Quelle: B.K. Bangash/dpa)

Vor etwas mehr als drei Wochen haben die Taliban den Präsidentenpalast in Kabul eingenommen. Nun haben sie erste Regierungsmitglieder vorgestellt. Ein Überblick.

Die militant-islamistischen Taliban haben einen Teil ihrer Übergangsregierung in Afghanistan bekanntgegeben. Demnach wird der wenig bekannte Mullah Mohammed Hassan Achund amtierender Vorsitzender der Minister, was einem Premierminister gleichkommt. Das erklärte der Taliban-Sprecher Sabiullah Mudschahid am Dienstag bei einer Pressekonferenz in Kabul.

Achund ist Gründungsmitglied der Taliban. Er war Gouverneur der wichtigen Provinz Kandahar, der Geburtsstätte der Taliban-Bewegung. Zuletzt war er in ihrem Führungsrat, der Rahbari Schura, und gilt als enger Vertrauter des Taliban-Führers Haibatullah Achundsada. Der aus Kandahar stammende Achund hielt bereits während der ersten Taliban-Herrschaft wichtige Posten und gilt als gemäßigt. Als damaliger Außenminister stand er auf der Sanktionsliste des UN-Sicherheitsrats. Nach Angaben der Vereinten Nationen hat er den Ruf "eines der effektivsten Taliban-Befehlshaber".

Mudschahid sagte, man habe sich darauf geeinigt, ein Übergangskabinett zu ernennen und bekannt zugeben, "um die notwendigen Regierungsarbeiten durchführen zu können".

Baradar wird Stellvertreter Achunds

Zu einem von zwei Stellvertretern Achunds wurde Mullah Abdul Ghani Baradar ernannt, der bisherige Vizechef der Taliban. Er wuchs in Kandahar auf – der späteren Geburtsstadt der Taliban. Als Aufständischer trat er erstmals während der sowjetischen Invasion Ende der 70er Jahre in Erscheinung und soll gemeinsam mit dem berüchtigten einäugigen Kleriker Mullah Omar gekämpft haben.

Inmitten des afghanischen Bürgerkriegs, der auf die Sowjetinvasion folgte, gründeten Omar und Baradar Anfang der 90er Jahre die Taliban-Miliz. Nach der US-geführten Invasion und dem Sieg über die Taliban 2001 gehörte Baradar mutmaßlich zu einer kleinen Gruppe innerhalb der Miliz, die dem afghanischen Interimspräsidenten Hamid Karsai eine Vereinbarung vorschlugen, die eine Anerkennung der Regierung in Kabul durch die Taliban vorgesehen hätte.

2010 wurde Baradar in Pakistan verhaftet, 2018 dann auf Druck der USA freigelassen und nach Katar gebracht. Dort steht Baradar dem politischen Büro der Taliban vor, für das er im Februar 2020 die Unterzeichnung des unter dem damaligen US-Präsidenten Donald Trump verhandelten Abkommens von Doha verantwortete. Dieses beinhaltete ein Ende des US-geführten Militäreinsatzes in Afghanistan.

Jakub wird Verteidigungsminister

Die beiden bisherigen Taliban-Vizechefs Mullah Jakub und Siradschuddin Hakkani werden Verteidigungsminister beziehungsweise Innenminister.

Mullah Jakub ist Sohn von Taliban-Gründer Mullah Omar. Mullah Jakub ist seit 2020 Chef der einflussreichen Militärkommission der Taliban, die das Netzwerk an Milizen-Kommandeuren der Taliban steuert. Er soll Verteidigungsminister werden.

Die genaue Rolle des namhaften Omar-Sprosses in den Rängen der Taliban war bislang recht unklar. Einerseits wird ihm qua seines Namens eine einigende Wirkung in der weitverzweigten Taliban-Bewegung nachgesagt. Andererseits hatten Experten vermutet, dass seine Ernennung zum Chef der Militärkommission lediglich symbolische Gründe gehabt haben könnte.

Anführer des Hakkani-Netzwerks wird Innenminister

Der Sohn des berüchtigten Dschihadisten Dschalaluddin Hakkani, Siradschuddin Hakkani, ist zugleich stellvertretender Taliban-Chef und Anführer des für den Einsatz von Selbstmordattentätern bekannten Hakkani-Netzwerks innerhalb der Miliz. Er soll Innenminister der neuen Regierung werden.

Die USA stufen das Hakkani-Netzwerk als Terrororganisation ein. Es soll für einige der schwersten Anschläge der vergangenen Jahre in Kabul verantwortlich sein, mehrere ranghohe afghanische Regierungsbeamte ermordet und etliche westliche Bürger entführt haben, darunter den 2014 freigelassenen US-Soldaten Bowe Bergdahl.

Dem Hakkani-Netzwerk wird ein hohes taktisches Geschick im Kampf, aber auch bei geschäftlichen Deals nachgesagt. Vermutet wird, dass es die Taliban-Einsätze im gebirgigen Osten des Landes steuert und großen Einfluss in den Führungsgremien der Taliban besitzt.

Bisheriger Chef bleibt im Verborgenen

Der geheimnisumwobene Chef der Taliban, Haibatullah Achundsada, soll nicht Teil der Regierung werden. In einer Erklärung forderte er das neue Kabinett am Dienstag auf, die Anwendung der Scharia in Afghanistan durchzusetzen.

Achundsada steht seit dem Tod des obersten Taliban-Führers Mullah Mansur Achtar bei einem US-Drohnenangriff im Mai 2016 an der Spitze der Miliz. Bis zu seiner Ernennung war er ein islamistischer Prediger ohne großen Bekanntheitsgrad. Seine Ernennung wurde dahingehend gedeutet, dass er eher als ideologische Führungsfigur und weniger als militärischer Kommandeur der Taliban dienen soll.

Ihm wurde die Aufgabe zuteil, die zersplitterte Miliz wieder zu einen, denn nach dem Tod Achtars hatte es auf der Führungsebene der Taliban einen Machtkampf gegeben. Als zentral für die Sicherung seiner Macht wird die Unterstützung Achundsadas durch den Chef des Terrornetzwerks Al-Kaida gewertet. Dessen Anführer Aiman al-Sawahiri erklärte Achundsada 2016 zum "Emir der Gläubigen".

Aber der oberste Taliban-Führer hält sich im Verborgenen: Bisher trat er nie in der Öffentlichkeit auf, und es existiert von ihm nur ein einziges Foto, das die Taliban selbst veröffentlicht haben. Nach Angaben der Miliz befindet sich Achundsada in seiner südafghanischen Heimatstadt Kandahar.

Weitere Ernennungen erwartet

Insgesamt besetzten die Taliban 33 Posten. Die Ernennung der verbleibenden Führungspositionen von Ministerien und Institutionen werde man nach "langer Überlegung" sukzessive bekanntgeben, sagte Mudschahid.

Die Ernennung von Achund zeige, "wie wenig wir im Westen über die Taliban wissen und ihre Entscheidungen voraussagen können", sagt der Afghanistan-Experte Thomas Ruttig von der Kabuler Denkfabrik Afghanistan Analysts Network. Vor der Bekanntgabe waren die allermeisten Beobachter davon ausgegangen, dass Mullah Baradar Premierminister wird.

Die Taliban hatten nach massiven militärischen Gebietsgewinnen Mitte August die Macht in Afghanistan übernommen. Der bisherige Präsident Aschraf Ghani war kurz davor aus dem Land geflohen. Seit ihrer Machtübernahme bemühen sich die Islamisten um eine gemäßigtere Außendarstellung als zu Zeiten ihrer Schreckensherrschaft zwischen 1996 und 2001. Es besteht dennoch weiter die Sorge, dass die militante Gruppe ihre Herrschaft auf Unterdrückung und drakonischen Strafen gründen könnte.

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagenturen dpa, AFP
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